Italien: "Erste Spuren von Panik"
29. Mai 2018Die politischen Wirren in Italien schüren Ängste vor einem erneuten Aufflammen der Schuldenkrise in Europa. An den Finanzmärkten kam es am Dienstag zu starken Kurseinbrüchen, die teils an die der schweren Euro-Krise 2011/2012 erinnerten. Auch der Euro geriet unter Druck und fiel fast bis auf 1,15 US-Dollar. Die Europäische Zentralbank (EZB) warnte vor einer Eskalation der Lage.
Die Kursausschläge seien so hoch, dass es für Broker schwierig werde, realistische Preise zu ermitteln, sagte Anlagestratege Antoine Bouvet von der Investmentbank Mizhuo. Sein Kollege Martin Van Vliet von der ING Bank wertete den Renditeanstieg als Zeichen für die Furcht vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone.
Turbulenzen in ganz Südeuropa
Die Aktienbörsen in Italien und Spanien gerieten ins Taumeln. So sackte der Mailänder Leitindex FTSE MIB um bis zu 3,7 Prozent ab. Besonders heftig erwischt es Bankaktien wie Intesa Sanpaolo und Unicredit, die um rund 6 Prozent einbrachen.
In Madrid ging es für den Ibex 35 um fast 3 Prozent runter. Auch der Dax konnte sich den Turbulenzen nicht entziehen und stand zuletzt 1,5 Prozent tiefer. In Deutschland litten vor allem die Aktien der Commerzbank und der Deutschen Bank, die zu den größten Geldgebern Italiens gehören.
An den Staatsanleihemärkten Italiens und Portugals verschlechterte sich die Stimmung weiter. Italienische Staatstitel mit einer Laufzeit von zehn Jahren warfen erstmals seit 2014 mehr als drei Prozent Rendite ab. Portugiesische Anleihen mit gleicher Laufzeit rentierten mit bis zu 2,4 Prozent - ein Hoch seit Herbst 2017. In Spanien stiegen die Renditen ebenfalls, wenngleich weniger stark. Eine hohe Rendite zeugt von wenig Vertrauen und ist als Risikoaufschlag zu werten.
Zum Vergleich: Deutschland genießt an den Finanzmärkten viel mehr Vertrauen - der Bund kann sich schon für 0,31 Prozent Geld über zehnjährige Bundesanleihen besorgen.
Brüssel hofft, Athen hat Angst, Berlin wartet ab
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger gibt der neuen Führung in Rom einen Vertrauensvorschuss. In einem Exklusivinterview der DW sagte er: "Wir haben Vertrauen in den Präsidenten Italiens, der Koalitionspartner möglicher Regierungen auf ihre Rechte und Pflichten hinweist, die sich aus der Mitgliedschaft der Europäischen Union und der Eurozone ergeben." Ebenso habe man Vertrauen in die neue technokratische Regierung.
Die Befürchtung, dass die populistischen Parteien bei möglichen Neuwahlen noch stärker werden könnten und dass es womöglich zu einem Austritt Italiens aus der Eurozone oder gar der EU selbst kommen könnte, teilt Oettinger nicht. Er erwarte vielmehr, dass die Märkte und die italienische Wirtschaftsentwicklung für die Wähler ein mögliches Signal seien, nicht Populisten von links und rechts zu wählen.
Die griechische Regierung fürchtet bei zunehmender finanzieller Instabilität in Italien ein Überschwappen der Probleme auf ihr Land. "Wir machen uns Sorgen, dass uns diese Finanzlage vielleicht zusätzliche Probleme schaffen könnte", sagte der griechische Außenminister Nikos Kotzias am Dienstag in Berlin nach einem Treffen mit seinem deutschen Kollegen Heiko Maas. Seine Regierung wolle ein stabiles, pro-europäisches Italien.
Griechenland leidet gemessen an der Wirtschaftsleistung vor Italien unter der höchsten Verschuldung in der EU und will nach zahlreichen Reformen das dritte Euro-Rettungsprogramm im Sommer hinter sich lassen.
Was macht die EZB?
"Wir sehen einige unglaubliche Preisbewegungen bei italienischen Anleihen", sagte Analyst Neil Wilson. "Der Markt bewegt sich mit einer Geschwindigkeit, die man seit den schwersten Zeiten der Euro-Krise nicht gesehen hat." Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partners sprach gar von "ersten Spuren von Panik", vor allem am Anleihenmarkt.
Die Entwicklung bei den Anleihen können gerade die Bilanzen der italienischen Banken belasten, die viele heimische Staatsbonds im Depot haben und ohnehin unter einem Berg fauler Wertpapiere ächzen.
EZB-Vizepräsident Vitor Constâncio warnte Italien vor einer erneuten Staatsschuldenkrise. "Als 2012 Finanzmärkte das Land attackiert haben, hat das gezeigt: Sie können in ihrer Wahrnehmung sprunghaft sein und die Risikoeinschätzung für einen Schuldner abrupt und schnell ändern, manchmal mit gravierenden Folgen", sagte er dem "Spiegel".
Ob die EZB Italien notfalls vor der Pleite retten würde, ließ er offen. Jede Intervention müsse "der Erfüllung unseres Mandats dienen", erklärte Constâncio. Demnach ist die EZB allein für Geldpolitik zuständig und darf keine Staaten finanzieren.
Wenn aus der Regierungskrise eine Finanzkrise wird
Nach der gescheiterten Regierungsbildung findet sich in Rom kein Ausweg. Zwar kündigte die populistische Fünf-Sterne-Bewegung am Dienstagabend an, sie bestehe nicht weiter auf einer Amtsenthebung von Präsident Sergio Mattarella. Aber auch die geplante Übergangsregierung des Finanzexperten Carlo Cottarelli beruhigte die Märkte nicht. Der Präsidentenpalast in Rom musste am Abend sogar Gerüchte dementieren, Cottarelli wolle aufgeben.
Nach monatelanger Hängepartie könnten schon bald Neuwahlen ins Haus stehen, bei denen ein europakritisches Bündnis gute Siegchancen hätte. Eine von rechter Lega und populistischer 5-Sterne-Bewegung erwogene Allianz setzt auf höhere Ausgaben, obwohl sich in Italien bereits ein staatlicher Schuldenberg von mehr als 130 Prozent der Wirtschaftsleistung auftürmt.
Diese mit den EU-Stabilitätsregeln kaum zu vereinbarenden Pläne sorgen nicht nur in der Zentralbank für Alarmstimmung, sondern machen auch die Investoren an den Finanzmärkten zusehends nervös.
Es geht um Italiens Zukunft in Europa
Auch die italienische Notenbank zeigte sich alarmiert. "Wir dürfen niemals vergessen, dass wir immer nur ein paar Schritte von dem sehr ernsten Risiko eines Verlusts des unersetzbaren Guts von Vertrauen entfernt sind", sagte der Gouverneur der italienischen Notenbank, Ignazio Visco in Rom. Eine Finanzkrise müsse vermieden werden.
Er forderte die Politik in Italien auf, die Reformpolitik fortzusetzen. Die europäischen Vorgaben müssten akzeptiert werden. "Die Zukunft Italiens ist in Europa", sagte Visco. Nicht die Vorgaben der EU oder Spekulanten seien für die Turbulenzen verantwortlich. Vielmehr hätten die Italiener mit ihrem Handeln und politischen Vorstellungen Umschichtungen an den Finanzmärkten ausgelöst.
dk/hb (dpa,rtr)