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Itaborai: mit Öl und Gas zurück an die Spitze

Tobias Käufer aus Rio de Janeiro
6. Oktober 2023

Milliardeninvestitionen in die brasilianische Öl- und Gas-Industrie machen es möglich: Die Industriestadt Itaborai steht exemplarisch für die Ambitionen der Regierung Lula da Silva und hofft auf einen Wiederaufstieg.

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Der Schriftzug EU-Itaborai auf einem Hügel
Die Hoffnung von Itabori liegen in der EnergieautonomieBild: Tobias Käufer

Mit dem Namen Itaborai verbinden viele Menschen in Brasilien einen schleichenden wirtschaftlichen Niedergang des Landes. Die Industriestadt, gut eine Autostunde von Rio de Janeiro entfernt, stand im Zentrum von Korruptionsermittlungen rund um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras. Fallende Erdölpreise und die Corona-Pandemie besorgten den Rest. Statt blühenden Industrielandschaften gab es Entlassungen und eine tiefe Depression.

"Wir waren praktisch im Winterschlaf", sagt Thiago Rodrigues da Silva von der Gewerkschaft Sintramon im Gespräch mit der DW. Doch nun gibt es Hoffnung. Das liegt an den Plänen der Regierung des linksgerichteten Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, der Itaborai als Zentrum der Erdöl- und Gasproduktion wiederbeleben und ausbauen will.

Der Gewerkschafter Thiago Rodrigues da Silva
Gewerkschafter Thiago Rodrigues da Silva: "Wir waren im Winterschlaf" Bild: Tobias Käufer

Energie-Unabhängigkeit sichern

Itaborais Vize-Bürgermeister Lourival Cabula, der wie Lula der linken Arbeiterpartei PT angehört, glaubt fest an die zweite Chance seiner Kommune. Der Standort existiert, es müssten nur noch überschaubare Investitionen umgesetzt werden, sagt er der DW: "Die Fertigstellung der beiden Raffinerien ist für Brasilien von entscheidender Bedeutung für die Energie-Unabhängigkeit. Vor allem für die Verringerung der Abhängigkeit von im Ausland behandeltem Öl. Heute exportieren wir den Rohstoff ins Ausland und importieren dann das Endprodukt wieder nach Brasilien. Das wollen wir nun selber machen und hier in Itaborai haben wir aber alle Voraussetzungen dafür." Gewerkschafter Thiago Rodrigues ist zurückhaltender, aber ebenfalls zuversichtlich: "Es sieht so aus, als würde das Geschäft wieder anziehen."

Vize-Bürgermeister von Itaborai: Lourival Cabula
Glaubt an eine Zukunft für Itaborei: Vize-Bürgermeister Lourival CabulaBild: Tobias Käufer

Der Präsident des brasilianischen Öl- und Gasinstituts (IBP), Roberto Ardenghy, begrüßt diese Entwicklung. Dem Wirtschaftsmagazin Valor sagte der Öl-Lobbyist: "Warum nicht den Raffineriepark ausbauen und Brasilien in ein Land mit mehr Raffineriekapazität verwandeln? Solche Investitionen seien unerlässlich, um Versorgungsengpässe zu vermeiden, insbesondere bei Dieselkraftsoff.

Investitionen in fossile Brennstoffe in der Kritik

Nicht überall werden die Ölambitionen der Lula-Regierung begeistert aufgenommen. Umweltschützer sind angesichts von Explorationsplänen in der Amazonas-Region, die Lula eigentlich zu schützen versprochen hat, entsetzt. Ein Großteil der Energie-Investitionen im Haushaltsplan fließen in den Sektor fossiler Energien, so dass die Tageszeitung Estadao kritisch kommentierte: "Petrobras: der letzte Ölförderer der Welt". Kolumnist Celso Wing schreibt: "In Brasilien gibt es große Widersprüche und Unklarheiten über die Strategie für die Energiewende, die den Wettbewerbsvorteil des Landes gefährden könnten."

Ölbohrplattformen an der Küste von Rio de Janeiro
Ölbohrplattformen an der Küste von Rio de JaneiroBild: Tobias Käufer

Während in Europa Brasilien als Produzent von grünem Wasserstoff gehandelt wird, setzt die brasilianische Regierung simultan weiterhin auf den Ausbau der Förderung fossiler Brennstoffe. Im Mai 2023 stieg die Petrobras-Erdölproduktion auf über drei Millionen Barrel monatlich, im März 2016 waren es noch 2,12 Millionen Barrel. Eigentlich fordern Klimaschützer genau eine gegensätzliche Entwicklung.

Faire Bewertung der Erdölpläne

Itaborais Vize-Bürgermeister Cabula fordert eine faire Einschätzung: "Wir werden im Einklang mit den internationalen Standards arbeiten. Die Ölförderung in Brasilien wird alle Regeln einhalten, da können Sie sicher sein. Lula wird nichts tun, was nicht getan werden kann", verspricht Cabula. Die brasilianische Strategie sei zweigleisig. Einerseits soll die Energie-Autonomie des Landes gestärkt werden, andererseits "werde es keine zehn Jahre dauern, bis Brasilien zu einem der größten Produzenten von erneuerbaren Energien in der Welt wird".

Szene im Stadtzentrum von Itaborai im Bundesstaat Rio de Janeiro in Brasilien
Szene im Stadtzentrum von Itaborai Bild: Tobias Käufer

Man dürfe nur die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, sagt Cabula. "Die Menschen dürfen nicht noch einmal für diese Fehler bezahlen." Die Stadt habe die Chance gehabt, eine der größten Städte im Bundesstaat Rio de Janeiro zu werden, doch dann sei die Krise gekommen mit geschlossenen Hotels, geschlossenen Geschäften und enttäuschte Menschen. So etwas dürfe sich nicht wiederholen. Inzwischen gäbe es neue Hoffnung, auch wenn noch nicht alle überzeugt seien. "Ich glaube wirklich an das Projekt."

Auch Gewerkschafter Thiago Rodrigues spürt den Aufschwung: "Sie können spüren, dass es bereits heute eine Verbesserung gibt. Investitionen fließen, die Menschen sind optimistischer. Ich hoffe, dass Itaborai in drei, vier Jahren wieder das sein wird, was es damals war, eine große Gemeinde mit einer guten Einnahmesituation und Bürgern, die stolz darauf sind, in ihrer Stadt zu arbeiten und nicht mehr woanders Arbeit suchen zu müssen."

Mitarbeit: Ramona Samuel