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Ist der Welfenschatz doch NS-Raubkunst?

10. Februar 2025

Wem gehört der millionenschwere Welfenschatz? Die Frage scheint wieder offen, seit neue Dokumente den Verdacht auf Nazi-Raubkunst nähren. Kommt es zur Rückgabe an die jüdischen Erben?

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Ein mit Eldelsteinen besetztes mittelalterliches Kreuz
Teil des Welfenschatzes ist dieses mittelalterliche Kreuz - muss es restituiert werden?Bild: Markus Schreiber/AP/picture alliance

Armreliquiare, Kreuze, Heiligenbildnisse - fein geprägt in Gold und Silber, besetzt mit Perlmutt, Bergkristallen und Elfenbein: Der Welfenschatz gehört zu den bedeutendsten Kirchenschätzen des Mittelalters. Er umfasst 44 Meisterwerke mittelalterlicher Kirchenkunst. Die Welfen sind das älteste Fürstenhaus Europas, die Familie sammelte zahlreiche Schätze an. Der Wert: hunderte Millionen Euro. Zu bestaunen sind die Preziosen aktuell in der Gemäldegalerie zu Berlin - noch: Denn ob die sie tragende Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK)  rechtmäßige Eigentümerin ist oder ob es sich um Nazi-Raubkunst handelt, diese Frage ist jetzt wieder offen.

Ein goldenes Kuppelreliquiar steht in einer Vitrine im Museum
Dieses Kuppelreliquiar wurde gegen Ende des 12. Jahrhunderts gefertigt - heute steht es im Berliner-Bode-MuseumBild: Stephanie Pilick/AP/picture alliance

Dabei schien der Fall längst klar: In der Nazizeit wurde der Welfenschatz von einem Konsortium aus jüdischen Frankfurter Kunsthändlern, die ihn 1929 von dem Fürstenhaus erworben hatten, an den preußischen Staat verkauft. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging er in das Eigentum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über. Vor zehn Jahren entschied die Beratende ("Limbach"-)Kommission, dass der Welfenschatz keine Raubkunst sei. Offenbar fand das Expertengremium keinen Beleg dafür, dass der Verkauf von den Nazis erzwungen worden war. Eine Klage der Nachfahren vor US-Gerichten auf Herausgabe des Welfenschatzes wurde 2023 abgewiesen.

Juristisches Tauziehen um den Welfenschatz

Seit 2008 hatten die jüdischen Erben Restitutions-Ansprüche erhoben. Es begann ein juristisches Tauziehen. Auf 100 Millionen Euro schätzte die Preußenstiftung den Wert des Schatzes, die klagenden Erbe auf 260 Millionen Euro. Dokumente, die 2022 im Hessischen Staatsarchiv auftauchten, legen den Verdacht nahe, dass der Verkauf des Welfenschatzes nicht so freiwillig war, wie bisher angenommen.

Eine Frau betrachtet Armreliquiare des Welfenschatzes, ausgestellt in einer Museumsvitrine
Als wollten sie sich zu Wort melden: Armreliquiare des Welfenschatzes im Berliner Kunstgewerbemuseum Bild: Alina Novopashina/dpa/picture alliance

Verkauf doch unter Zwang?

Demnach erhielt Alice Koch - die jüdische Miteigentümerin des Welfenschatzes, der ein Viertel des Schatzes gehörte - 1935 zwar 1.115.000 Reichsmark ausgezahlt, doch wurde ihr die Summe als "Reichsfluchtsteuer" unmittelbar danach wieder abgepresst. 

"Die Reichsfluchtsteuer war ein Instrument, um von jüdischen Mitbürgern, die ausreisen wollten, das Vermögen abzuschöpfen", sagte der Berliner Opferanwalt Jörg Roßbach dem Sender RBB (Rundfunk Berlin-Brandenburg). "Ohne Zahlung der Reichsfluchtsteuer gab's keine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, ohne steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung gab's keine Ausreisegenehmigung."

Ein bisher unbekanntes Dokument zeigt: Alice Koch erhielt so einen Reichsfluchtsteuerbescheid - über eine Million Reichsmark. Ohne ihn hätte sie nicht aus Nazi-Deutschland fliehen können. Schon vier Tage nach dem Steuerbescheid zahlte Alice Koch, erhielt vom Finanzamt ihre Unbedenklichkeitsbescheinigung und konnte ausreisen.

Wird der Fall jetzt neu aufgerollt?

Bringt dieses Dokument die Wende in Sachen Welfenschatz? Nicht ganz: Die Raubkunst-Kommission kann den Fall erst dann neu aufrollen, wenn auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zustimmt. Nach monatelangem Zögern scheint sie dazu bereit. "Die SPK würde einer Befassung zustimmen", heißt es in einer Stellungnahme, "sofern die Voraussetzungen entsprechend der Verfahrensordnung geklärt sind." Dazu müsse sie erneut Kontakt mit der Kommission und den Anwälten der Nachfahren von Alice Koch aufnehmen, "um die noch offenen Fragen zu klären." Der Vorsitzende der Kommission, der Jurist Hans-Jürgen Papier, hingegen will mehr Tempo in die Sache bringen: "Die SPK ist (...) dazu verpflichtet, einer Anrufung der Kommission unverzüglich zuzustimmen. Die Prüfung der Zulässigkeit ist allein Sache der Kommission."

Ein tragbarer, aufwendig gearbeiteter Altar
Der mittelalterliche tragbare Eilbertus-Altar ist ebenfalls Teil des WelfenschatzesBild: Markus Schreiber/AP/picture alliance

Zwar gibt es in Deutschland bis heute kein Restitutionsgesetz, doch sieht sich das Land den Grundsätzen der Washingtoner Erklärung von 1998 verpflichtet. Danach sollen für Raubkunst der Nazis "gerechte und faire Lösungen" gefunden werden. Dies ist bisher Aufgabe der sogenannten Limbach-Kommission, benannt nach ihrer ersten Vorsitzenden, der inzwischen verstorbenen Verfassungsrichterin Jutta Limbach. Künftig sollen Schiedsgerichte, die anders als bisher auch von einer Streitpartei angerufen werden können, über strittige Fälle entscheiden.