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Israel, Iran und die Wirtschaft

2. Oktober 2024

Nach den Raketenangriffen des Iran auf Israel​​​​​​​ ist der Ölpreis am Mittwochmorgen gestiegen. Was bedeutet die Eskalation des Konflikts im Nahen Osten für den Ölpreis und die Wirtschaft Irans und Israels?

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Illustration | Ölförderung im Iran
Öl-Exporte sind für Iran eine wichtige EinnahmequelleBild: Maksym Yemelyanov/Zoonar/picture alliance

Die Nordsee-Rohölsorte Brent und die US-Sorte WTI verteuerten sich am Mittwochmorgen nach den Raketenangriffen um jeweils mehr als anderthalb Prozent auf 74,74 und 71,04 Dollar je Barrel (1 Barrel = 159 Liter). Bereits am Dienstag waren die Preise um jeweils rund 2,5 Prozent gestiegen.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat bereits Vergeltung für Irans Angriff angekündigt, ohne aber Details zu nennen. Ziel könnten Ölanlagen im Iran und andere strategische Standorte sein, meldete das US-Nachrichtenportal Axios unter Berufung auf israelische Behördenvertreter.

"Der Iran liefert etwa vier Prozent der globalen Ölversorgung. Wichtig ist nun, ob Saudi-Arabien seine Produktion erhöht, falls die iranischen Lieferungen unterbrochen werden", schrieben die Experten des Analysehauses Capital Economics.

Öl-Exporte trotz Sanktionen

Für den Iran sind Öl-Exporte eine wichtige Einnahmequelle. Und obwohl die USA im Jahr 2018 das Atomabkommen mit dem Iran verlassen und wieder Sanktionen gegen die Ölindustrie des Landes verhängt haben, die seitdem ausgeweitet wurden, gelingt es dem Iran, Öl ins Ausland zu verkaufen, vor allem nach China. Im Jahr 2023 summierten sich die Öl-Exporte des Landes auf "mehr als 35 Milliarden Dollar", wie Ölminister Javad Owji im März verkündete - die Financial Times berichtete darüber.

Für den Zeitraum Januar bis Mai 2024 hat die auf den Energiesektor spezialisierte Analysefirma Vortexa einen Anstieg auf im Schnitt 1,56 Million Barrel pro Tag errechnet. "Der Anstieg der Exporte wurde möglich durch eine gesteigerte Rohölproduktion, größere Nachfrage aus China und eine Ausweitung der Dunklen Flotte", so Vortexa Ende Juni 2024. Als Dunkle Flotte oder auch Schattenflotte werden getarnte Schiffe bezeichnet, die Öl schmuggeln und so Sanktionen umgehen. Laut der gemeinnützigen US-Organisation United Against Nuclear Iran (UANI) umfasst Irans Schattenflotte mindestens 383 Schiffe.

Iran verkauft sein Öl mit einem Abschlag von 20 Prozent auf den Weltmarktpreis, schätzt der in London ansässige TV-Sender Iran International, als Gegenleistung für das Risiko der Käufer, wegen der US-Sanktionen Ärger zu bekommen. "Chinesische Raffinerien sind die Hauptabnehmer von Irans illegalen Öl-Lieferungen, die von Zwischenhändlern mit Lieferungen aus anderen Ländern vermischt werden und in China als Importe aus Singapur oder anderen Herkunftsländern deklariert werden", so der Sender. 

Schwacher Rial, hohe Inflation

Die Sanktionen des Westens beziehen sich nicht nur auf die Ölindustrie, sondern auch den internationalen Zahlungsverkehr mit dem Iran. Das hat die nationale Währung Rial abstürzen lassen. Für einen US-Dollar müssen Iraner auf dem Schwarzmarkt heute 580.000 Rial zahlen. Nach Unterzeichnung des Abkommens über einen Stopp des iranischen Atomprogramms 2015 war ein Dollar noch 32.000 Rial wert.

Iran | iranische Währung. Rial-Scheine in den Händen eines Straßen-Geldwechsler in Teheran
Rial-Scheine in den Händen eines Straßen-Geldwechsler in TeheranBild: Vahid Salemi/AP/picture alliance

Sanktionen und der schlechte Wechselkurs sorgen dafür, dass sich die Güter des täglichen Bedarfs enorm verteuern - auch weil der Iran bei der Versorgung mit Lebensmitteln nicht unabhängig ist. Die Inflationsrate liegt derzeit bei rund 40 Prozent.

Vergleich der Wirschaftskraft

Obwohl sich die Einnahmen aus dem Ölexport in den vergangenen Jahren stabilisiert haben, ist der Iran alles andere als ein ökonomisches Schwergewicht. Seine Bevölkerung ist mit rund 88 Millionen Menschen fast zehnmal so groß ist wie die Israels (neun Millionen). Doch die iranische Wirtschaftsleistung war 2023 mit rund 403 Milliarden US-Dollar deutlich niedriger als die israelische mit rund 509 Milliarden Dollar.

Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn man den Gesamtwert aller in einem Jahr produzierten Waren und Dienstleistungen, das Bruttoinlandsprodukt (BIP), ins Verhältnis zur Bevölkerung setzt. Im Iran lag das BIP pro Kopf im vergangenen Jahr bei 4663 Dollar, in Israel bei über 52.000 Dollar, so Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Für die Mittelschicht habe sich die wirtschaftliche Lage in den letzten beiden Jahrzehnten spürbar verschlechtert. "Der Lebensstandard ist wegen der Sanktionen wieder auf dem Stand von vor 20 Jahren", sagte Djavad Salehi-Isfahani, Wirtschafts-Professor an der US-Hochschule Virginia Tech, im Interview mit der DW.

Korruption und Intransparenz

Viel Geld versickert ohnehin in den intransparenten Strukturen der Machthaber in Teheran. Im Index von Transparency International, der die wahrgenommene Korruption misst, steht Iran auf Platz 149 von 180 Ländern. Israel liegt auf Platz 33. Zum Vergleich: Die USA belegen Platz 24, Deutschland Platz neun.

Kann sich der Iran einen Krieg mit Israel leisten?

Besonders undurchsichtig ist die Rolle der Revolutionsgarden (eine Parallelarmee) und religiösen Stiftungen, die zentrale Teile der Wirtschaft kontrollieren. Sie zahlen keine Steuern, müssen keine Bilanzen vorlegen und unterstehen vor allem dem politischen und religiösen Oberhaupt der Islamischen Republik, Ajatollah Ali Chamenei.

Unzufriedenheit der iranischen Bevölkerung

Im Iran wird der Präsident vom Volk gewählt, zuletzt im Juli 2024, doch das Land ist keine Demokratie. Von den 80 Bewerbern ließ der erzkonservative Wächterrat nur sechs Kandidaten zur Wahl zu. Das Regime ist bemüht, sich durch Subventionen etwa für Lebensmittel und Benzin den sozialen Frieden zu erkaufen. Trotz aller Repressionen scheint es die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu fürchten.  Immer wieder gibt es Proteste gegen die politische Führung, ausgelöst etwa durch steigende Preise oder die Kopftuchpflicht für Frauen.

Ein Krieg mit Israel wäre für den Iran wirtschaftlich eine große Belastung. Das könnte dazu führen, dass die Regierung an anderer Stelle sparen muss, was in der Folge die Unzufriedenheit im Land noch verstärken würde.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
Thomas Kohlmann
Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.