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Politik

Ähneln sich Islamisten und Rechtsextremisten?

9. März 2018

Islamisten und Rechtsextremisten gelten als ideologisch deutlich unterschiedliche Gruppen. Tatsächlich teilen sie einige Überzeugungen. Auch ihre Strategien ähneln sich, sagt die Extremismusforscherin Julia Ebner.

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Bildkombo Salafisten Neonazis
Haben sie was gemeinsam? Demonstrantin auf einer Salafisten-Demo und Teilnehmer an einem Neonazi-Aufmarsch

DW: Frau Ebner, in Ihrem Buch beschreiben Sie Islamisten und Rechtsextremisten als zwei Seiten einer Medaille. Was ist beiden Gruppen gemeinsam?

Julia Ebner: Beide Gruppen verbindet die Überzeugung, dass es zwischen "dem" Westen und "dem" Islam oder auch zwischen Kulturen und "Rassen" einen Konflikt gebe. Beide kultivieren auch antisemitische Verschwörungstheorien, ebenso haben sie sehr ähnliche Vorstellungen von der Rolle der Frau oder der Familie. Beide wollen die sozialen Entwicklungen der Moderne umkehren und zu einer vermeintlich besseren Gesellschaft zurückkehren. Beide pflegen sie auch Verschwörungstheorien mit Blick auf die Rolle der globalen Eliten. Ebenso sprechen sie etwa auf dramatische Weise von der "Invasion des Fremden" - die Islamisten von der Herrschaft des Westens über den Nahen Osten, und die Rechtsextremen von der Immigration. 

Die Nationalsozialisten pflegten enge Beziehungen zu einigen islamischen Geistlichen. Bekannt ist etwa die Beziehung zwischen Hitler und Amin al-Husseini, dem Mufti von Jerusalem. Gab es danach weiter Fälle derartiger Zusammenarbeit?

Nur vereinzelt. Heute allerdings gibt es in einigen rechtsextremen Gruppen fast so etwas wie eine Idealisierung von Dschihadisten. Rechte bewundern die Idee des Märtyrertums. Der US-amerikanische Neonazi Andrew Anglin etwa behauptet von sich, maßgeblich zur Entstehung der rechtsextremistischen "goldenen Morgenröte" in Griechenland beigetragen zu haben. Bei den Strukturen für die Partei ließ er sich von der schiitischen "Hisbollah" im Libanon inspirieren. Politisches und soziales Engagement: Rechtsextreme und islamistische Gruppen verbinden beides.

Vor welchen globalen politischen und sozialen Hintergründen gedeihen der islamistische und der rechte Extremismus?

Julia Ebner Extremismusforscherin
Extremismusforscherin Julia EbnerBild: privat

Die Welt hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Krisen erlebt. In deren Folge fühlen sich sehr viele Menschen im Westen ebenso wie im Nahen und Mittleren Osten allein gelassen. Es haben sich Frustrationen angestaut, die vor allem jüngere Aktivisten sehr stark für ihre Zwecke ausgebeutet haben. Der daraus entstehende Eindruck eines riesigen Konflikts zwischen Ost und West hat sich meiner Einschätzung nach vor allem bei der jüngeren Generation in Folge der Anschläge des Jahres 2001 in New York stark gefestigt. Die Nach-Millenials sind mit diesem Gefühl aufgewachsen. Und das ist die Generation, die etwa als erste in den propagandistischen Focus des IS rückte. Die meisten der aus Europa nach Nahost gereisten Kämpfer sind ja zwischen 18 und 24 Jahren alt. Umgekehrt hat Andrew Anglin diese Jahrgänge "Generation Zyklon" genannt - in Anspielung auf das Gas "Zyklon B", das die Nazis beim Völkermord einsetzten. Er nimmt an, dass diese Generation für seine Ideologie sehr aufnahmefähig ist.

Sie vergleichen auch die Strategien der beiden Gruppen. Was verbindet sie?

Auf strategischer Ebene spielen beide einander sehr in die Hände. Beide versuchen, die Gesellschaft noch weiter zu polarisieren, um den Krieg, von dessen Kommen sie überzeugt sind, noch etwas schneller herbeizuführen. Beide Gruppen wollen diese Auseinandersetzung beschleunigen, da sie überzeugt sind, sie seien beide - noch - in der jeweils stärkeren Position. In verschlüsselten Nazi-Netzwerken im Internet ist etwa vom "Tag X" die Rede, an dem es zu einem Krieg der "Rassen" oder Kulturen komme. Darum meinen sie, den Gegner präventiv angreifen zu müssen, um so eine Niederlage abzuwenden. Das gilt für die Rhetorik der Rechtsextremen ebenso wie die des "Islamischen Staats" (IS). Bei Islamisten gibt es diesen "End-of-times"-Mythos, nach dem es zu einer Konfrontation zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen komme. Vor dem Hintergrund dieser apokalyptischen Szenerien glauben beide Seiten immer auch bestimmte Zeichen zu erkennen, etwa in Naturkatastrophen. Das gilt vor allem für Islamisten, teils aber auch für Rechtsextreme. 

Was setzt man diesen Erzählungen entgegen? Wie bewahrt man junge Menschen davor, sich auf dergleichen einzulassen?

In der Präventionsarbeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass Überraschungserlebnisse mit dem wahrgenommenen Gegner sehr hilfreich sind - wenn etwa plötzlich ein konstruktives Gespräch entsteht. Auch ehemalige Extremisten sind sehr hilfreich bei der Präventionsarbeit. Sie haben zum einen große Erfahrung, zum anderen genießen sie bei jungen Leuten hohe Glaubwürdigkeit. Gelingt es, einen Baustein des Weltbilds infrage zu stellen, kann es leicht zu weiteren Desillusionierungen kommen, an deren Ende der Abschied vom Extremismus steht. Auch ist es oft hilfreich, wenn sich die Betroffenen die politischen Konsequenzen ihrer Weltbilder klar machen - die desaströsen Folgen, die sie durch ihre Taten heraufbeschwören.

Das heißt aber offenbar auch, dass Zufälle sehr wichtig sein können. Aber kann das angesichts der hohen Zahl gefährdeter Jugendlichen auf beiden Seiten alles sein?

Nein. Deswegen besteht eine Taktik in der Prävention darin, die genannten Schlüsselerlebnisse künstlich herbeizuführen. Eben das versuchen wir in den Interventionsprogrammen. Das gilt aber vor allem für Personen, deren Ideologisierung bereits einigermaßen fortgeschritten ist. Bei Personen, die sich noch im Anfangsstadium befinden, versuchen wir kritisches Denken und soziale Kompetenzen zu fördern. Wir hoffen, damit die üblichen Schwarz-Weiß-Bilder in Frage stellen zu können.

Nun sind ja auch in der größeren Öffentlichkeit erhebliche Sorgen entstanden, in Deutschland insbesondere seit dem Jahr 2015, als rund 800 000 Flüchtlinge und Migranten ins Land kamen. Wie geht man mit den Sorgen der breiten Bevölkerung um?

Viele dieser Sorgen sind völlig legitim. Man muss sie darum auch offen ansprechen, denn wir sind ja nun gerade auf dem Weg in pluralistischere Gesellschaften. Es gibt sehr viele kreative Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme. So kann man etwa aufzeigen, was Migranten zu unterschiedlichen Gesellschaftsfeldern beitragen können. In Österreich weist man etwa Arbeitgeber darauf hin, es mal mit Migranten zu versuchen. Man spricht gezielt solche Unternehmen an, die diese Möglichkeit bislang noch nicht in Betracht gezogen hatten. Grundsätzlich gilt aber, dass man Sorgen offen ansprechen und diskutieren muss.

Die Extremismus- und Terrorismusforscherin Julia Ebner arbeitet für das Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD). Im Theiss-Verlag erschien ihr Buch "Wut. Was Islamisten und Rechtsextremisten mit uns machen".

Das Interview führte Kersten Knipp.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika