1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Iran und der Konflikt um Berg-Karabach

12. Oktober 2020

Im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan hat sich der Iran als Vermittler angeboten. Allerdings ist Teheran keineswegs ein unbeteiligter Dritter, insbesondere was Aserbaidschan betrifft.

https://p.dw.com/p/3jnc3
Teheran Iran | Alijew bei Ruhani 2016
Irans Präsident Hassan Ruhani (re) begrüßt Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew im Jahr 2016 (Archivbild)Bild: Fatemeh Bahrami/AA/picture-alliance

Der iranische Innenminister Rahmani Fasli gab sich entschlossen. Sollten die Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan auch auf das Territorium seines Landes übergreifen, werde sein Land reagieren. Fasli bezog sich auf den Abschuss einer Rakete aus dem Kampfgebiet, die vergangene Woche in einem Dorf in der Grenzregion im Nordwesten des Irans niedergegangen war. Man habe den Regierungen Aserbeidschans und Armeniens mitgeteilt, dass sie das Kampfgeschehen besser kontrollieren müssten. Verbessere sich die Lage nicht, "werden wir, wenn nötig, entsprechende Maßnahmen ergreifen", so Fasli.

Zugleich bietet sich die Regierung in Teheran als Mittlerin in dem Konflikt an. "Wir rufen beide Seiten auf, Zurückhaltung zu üben, den Konflikt umgehend zu beenden und die Verhandlungen wieder aufzunehmen", hatte der iranische Außenamtssprecher Said Chatibsadeh erklärt.

Irans "Aseri-Türken"

Die Regierung in Teheran will vor allem verhindern, dass der Konflikt auf die iranische Gesellschaft überspringt. Denn im Iran lebt sowohl eine armenische als auch eine aserbaidschanische Minderheit. Dabei ist die armenische mit etwa 100.000 Personen deutlich kleiner als die der sogenannten "Aseri-Türken", wie die iranischen Bürger mit aserbaidschanischen Wurzeln genannt werden. Deren Zahl beträgt rund 15 Millionen, von 82 Millionen Einwohnern Irans insgesamt. Damit ist ihre Zahl auch größer als die der aserbaidschanischen Staatsbürger. Dort leben insgesamt rund 10,3 Millionen Menschen.

Heute gehören die Aseris zu den einflussreichsten Ethnien im Iran. So kontrollieren sie große Teile des Teheraner Basars, des bedeutendsten Marktplatzes des Landes. Auch der geistliche Führer Ali Chamenei ist väterlicherseits aserbaidschanischer Abstammung. Vier seiner Vertreter veröffentlichten vor wenigen Tagen eine Stellungnahme, der zufolge es "keinen Zweifel" gebe, dass die umkämpfte Region Berg-Karabach zu Aserbaidschan gehöre. Präsident Hassan Rohani ließ den armenischen Premier Nikol Pashinian wissen, Armenien müsse sich darum bemühen, den Konflikt zu beenden.

Rauch steigt auf nach Beschuss der Stadt Stepanakert in Berg-Karabach
Seit Ende September ist der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach wieder aufgeflammtBild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

Stellungnahmen wie diese sind auch ein Spiegel der internen Kräfteverhältnisse im Iran. Anders als die Armenier, die wenig auffallen, stehen viele Aseris offen auf der Seite ihrer "muslimischen Brüder" in Aserbaidschan. Vergangene Woche hatten sie mehrere große Kundgebungen in Städten Westirans organisiert. Dort war unter anderem auch die Parole "Tod Armenien" zu hören. Iranischen Medien zufolge lösten Sicherheitskräfte diese Versammlungen auf.

Misstrauisches Auge auf Baku

Die Beziehungen beider Länder reichen weit zurück. Teile des heutigen Aserbaidschans gehörten bis ins 19. Jahrhundert zum persischen Reich. Im Jahr 1828 trat dieses die Region um Baku an Russland ab. 1991 wurde Aserbaidschan im Zuge der Auflösung der Sowjetunion unabhängig. Seitdem sorgt sich die Regierung in Teheran über den Einfluss Bakus auf die aserische Minderheit im Iran. Immer wieder wird die Befürchtung geäußert, Aserbaidschan wolle den Iran mit Unterstützung der USA zerschlagen, um die iranischen Provinzen West- und Ost-Aserbaidschan dann seinem eigenen Territorium einzuverleiben. Sorge bereitet der Regierung auch die enge Zusammenarbeit zwischen Aserbaidschan und den USA sowie Israel. Beiden Ländern gilt Aserbaidschan militärisch wie wirtschaftspolitisch als Schlüsselland im Südkaukasus.

Die indirekte Beteiligung Russlands und der Türkei an dem Krieg in seiner unmittelbaren Nachbarschaft bereitet Teheran ebenfalls Kopfzerbrechen. Während die Türkei Aserbaidschan unterstützt, steht Russland an der Seite Armeniens. Zu beiden Ländern unterhält der Iran ein ebenso komplexes wie fragiles Beziehungsnetz. So steht er in Syrien zusammen mit Russland an der Seite des Assad-Regimes. Die Türkei wiederum unterstützt die Assad-Gegner. Miteinander verbunden sind der Iran und die Türkei durch eine mehr oder minder starke Gegnerschaft zu Israel. Beide Staaten äußerten sich ablehnend zum jüngst unterzeichnete Normalisierungsabkommen des jüdischen Staates mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain. Außerdem stehen sie beide an der Seite des Emirats Katar, das sich einem von Saudi-Arabien angeführten Boykott gegenüber sieht.

Bund gibt Milliardengarantie für Pipeline aus Aserbaidschan
Die Öl- und Gasfelder Bakus sind auch für die EU interessant. Eine Pipeline führt bereits durch die Türkei zum MittelmeerBild: picture-alliance/dpa

Dauerhafter Verlierer beim Ölexport?

Für die Beziehungen Teherans zur Türkei und Aserbaidschan spielen auch ökonomische Aspekte eine wichtige Rolle. Aserbeidschan hat insbesondere auf dem Rohstoffsektor enge Beziehungen zur Türkei. So ging im Jahr 2005 die über 1700 Kilometer lange Pipeline zwischen Baku und dem türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan in Betrieb. Bereits vor der Verhängung von Sanktionen stellte diese Leitung eine starke Konkurrenz für die iranischen Erdöl-Exporte dar. Während diese zusammengeschrumpft sind, muss die Regierung in Teheran zusehen, wie sich über die Pipeline die türkisch-aserbaidschanischen Handelsbeziehungen festigen und in ihrer Folge auch die der beiden Länder zu Europa. Denn von der Türkei aus wird das aus Baku eintreffende Erdöl weiter in Richtung der europäischen Abnehmerstaaten verschifft. So hat sich auf diesem Sektor eine Dynamik entwickelt, an die der Iran, sollten die US-Sanktionen irgendwann aufgehoben werden, nur mit größter Mühe wieder Anschluss erhalten kann.

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika