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PolitikAsien

Iran: Todesstrafe wegen brennenden Mülleimers?

9. November 2022

Knapp sieben Wochen nach Ausbruch der Massenproteste im Iran stellt das Regime die ersten inhaftierten Demonstranten vor Revolutionsgerichte wegen "Krieg gegen Gott". Ihnen droht die Todesstrafe.

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Potestierende auf einer Straße, in der Mitte brennende Gegenstände
Frauen nehmen ihre Kopftücher ab und verbrennen sie in der Öffentlichkeit Bild: ZUMA Press/picture alliance

Gholam-Hossein Mohseni-Ejei setzt auf Härte. Wenn es nach ihm ginge, sollten Menschen für ihre Teilnahme an Straßenprotesten mit dem Tode bezahlen. Mohseni-Ejei ist Chef der iranischen Justiz und damit der Oberste Richter der Islamischen Republik. In der wöchentlichen Sitzung des Obersten Rates der Justiz am 7. November forderte Mohseni-Ejei die Justizbeamten auf, inhaftierte Demonstranten möglichst schnell mit abschreckenden Urteilen zu bestrafen. 

Damit reagierte der Oberste Richter auf eine Forderung des Parlaments. In einer am Sonntag von iranischen Staatsmedien veröffentlichten Erklärung forderten 227 von 290 Abgeordneten die Justiz auf, "sich so schnell wie möglich mit den Menschen, die gegen Gott kämpfen" zu befassen und "ein göttliches Urteil gegen sie" zu erlassen.

Der Straftatbestand "Krieg gegen Gott" gilt im islamischen Recht als eines der größten Verbrechen und wird mit dem Tode bestraft. Was "Krieg gegen Gott" konkret heißt, ist allerdings nicht klar definiert. Der Terminus bietet viel Raum für Interpretationen. Die Justiz wendet ihn jetzt in weitestem Sinne gegen Demonstranten an.

Zum Beispiel im Fall von Sahand Nourmohammad-Zadeh. Der 17-Jährige wurde am 7. November in der Hauptstadt Teheran vor ein Revolutionsgericht gestellt. Er soll einen Mülleimer in Brand gesetzt haben. Damit habe er federführend zum "Krieg gegen Gott" aufgerufen und die öffentliche Ordnung gefährdet, argumentierte der Staatsanwalt, der als Beweismittel Bilder der Überwachungskameras präsentierte. Allerdings sieht man auf den Fotos lediglich, wie der minderjährige Sahand bei einer Protestkundgebung sein Moped von den Flammen eines in Brand gesetzten Mülleimers entfernte.

Schauprozesse sollen einschüchtern

"Über diesen und ähnliche Fälle berichten Medien ausführlich, die den Sicherheitskreisen nahestehen, um in der Gesellschaft ein Klima der Angst zu schüren", sagt Moein Khazaeli im Gespräch mit der Deutschen Welle. Khazaeli hat in Teheran und im schwedischen Malmö Rechts- und Politikwissenschaften studiert und arbeitet derzeit als Rechtsberater für diverse Medienunternehmen in Europa. "Wir sehen zum ersten Mal, dass inhaftierten Demonstranten der 'Krieg gegen Gott' vorgeworfen wird, nur weil sie neben einem brennenden Mülleimer standen. Dieser Vorwurf wurde bis jetzt mindestens gegen sechs weitere Demonstranten erhoben. Es kann sein, dass die Angeklagten tatsächlich schnell zum Tode verurteilt und hingerichtet werden, um andere Protestierende abzuschrecken. So etwas haben wir in der Vergangenheit wiederholt erlebt, zum Beispiel im Fall von Mohammad Salas."

Mohammad Salas war ein sogenannter Derwisch, Mitglied des muslimischen Gonabadi-Ordens. Er wurde im Februar 2018 bei einem Sitzstreik mit circa 1000 Anhängern seines Ordens in Teheran festgenommen. Bei der Festnahme kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Derwischen und Sicherheitskräften. Drei Sicherheitskräfte wurden von einem Bus überfahren und kamen ums Leben. Salas soll am Steuer gesessen haben. Ihm wurde später der Mordprozess gemacht. Er selbst bestritt die Vorwürfe, wurde schuldig gesprochen und im Juni 2018 hingerichtet. Viele Fragen zu diesem Fall wurden nie geklärt, zum Beispiel, warum keine Fingerabdrücke im Bus präsentiert wurden, die beweisen könnten, dass Salas tatsächlich den Bus gefahren hatte.

Sicherheitskräfte riegeln einen Platz ab
Sicherheitskräfte gehen mit aller Härte gegen Demonstranten vor Bild: AP Photo/picture alliance

"In der Vergangenheit hatte die Justiz in der Öffentlichkeit immer einen Mordfall inszeniert, um Inhaftierte zum Tode zu verurteilen. Jetzt reicht bereits ein verbrannter Mülleimer", betont Khazaeli. "Wir werden in den kommenden Wochen und vielleicht Monaten viele weitere haltlose Anschuldigungen sehen." Allein in der Hauptstadt Teheran seien rund 1000 Menschen angeklagt worden. "Die Betroffenen haben bei den jüngsten Ereignissen Sabotage begangen", erklärt die halbamtliche Nachrichtenagentur Tasnim Ende Oktober. Die Angeklagten hätten auch Sicherheitskräfte verletzt oder getötet und öffentliches Eigentum in Brand gesteckt, so die Meldung.

"Das Regime muss zur Rechenschaft gezogen werden"

"Egal, was sie den Demonstranten vorwerfen, den Behörden glaubt keiner. Auch die Sicherheitskräfte haben Verbrechen begangen. Die sollen auch vor Gericht gestellt werden", fordert Azam Jangravi im Gespräch mit der Deutschen Welle. Die Frauenaktivistin gehört zu den ersten, die Ende 2017 bei öffentlichen Protesten ihr Kopftuch abnahmen und deswegen festgenommen wurden. Damals wurde sie in einem Eilverfahren zu drei Jahren Haft verurteilt. Im Sommer 2018, kurz bevor Jangravi ihre Haftstrafe antreten sollte, floh sie mit ihrer Tochter zu Fuß über die Grenze in die Türkei. Sie lebt heute im kanadischen Exil.

An Jangravi hat Mitte Oktober der deutsche TV-Entertainer Joko Winterscheidt als Solidarität mit den Frauen im Iran seinen privaten Instagram-Kanal mit 1,2 Millionen Followern übertragen. 

Dank sozialer Netzwerke könne sie nun endlich lauter sein als die staatliche Propaganda im Iran, glaubt die 39-jährige Aktivistin. "Schätzungsweise kamen seit September mindestens 300 Menschen im Iran bei andauernden Protestaktionen ums Leben, darunter mindestens 30 Minderjährige. Ihre Namen wurden von Amnesty International dokumentiert." sagt Jangravi und fügt hinzu: "Das Regime muss zur Rechenschaft gezogen werden. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat das uns versprochen. Sie sprach auch von einem speziellen Schutzprogramm für besonders gefährdete Personen im Iran. Menschen, die von der Todesstrafe bedroht sind, sind auch gefährdet", sagt Jangravi.

Deutschland will nach Angaben der Bundesaußenministerin Baerbock für "besonders gefährdete Personen aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft" Plätze in speziellen Schutzprogrammen bereitstellen. Außerdem setze sich Deutschland für einen Sonder-Menschenrechtsrat in Genf ein, so Baerbock Ende Oktober. Bis zur Einrichtung eines UN-Mechanismus sollen die Nichtregierungsorganisationen bei der Aufgabe unterstützt werden, Beweise für Menschenrechtsverbrechen zu dokumentieren und zu sammeln, hieß es weiter im Auswärtigen Amt.