1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Iran-Israel: Wird sich die Türkei einmischen?

4. Oktober 2024

Die Türkei unterstützt die Palästinenser und kritisiert Israel, während sie den Einfluss des Iran in der Region beobachtet. Experten halten eine militärische Beteiligung der Türkei aber für unwahrscheinlich.

https://p.dw.com/p/4lOvZ
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei einer großen pro-palästinensischen Kundgebung in Istanbul, im Hintergrund die Al-Aksa-Moschee sowie palästinensische und türkische Flaggen
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach bei einer großen pro-palästinensischen Kundgebung im Oktober 2023 in IstanbulBild: DHA

Die Sorge davor, dass sich der Krieg im Nahen Osten ausweiten könnte, ist seit dem jüngsten Angriff des Iran auf Israel weiter gestiegen. Es ist eine Eskalation, vor der zahlreiche Länder schon seit vielen Monaten gewarnt haben.

Der Iran ist eine der regionalen Mächte im Nahen Osten. Eine andere ist die Türkei. Die Führung in Ankara steht schon seit dem 8. Oktober, als Israel als Reaktion auf den Angriff der Terrororganisation Hamas den Gazastreifen angriff, auf der Seite des palästinensischen Volkes. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan warf Israel mehrmals vor, einen "Genozid" zu begehen. In seinen Augen sei die Hamas auch keine Terrororganisation, betonte er immer wieder und er spricht häufig von seinen "palästinensischen Brüdern". 

"Israel möchte uns angreifen"

Erdogan schürte erst kürzlich Ängste innerhalb der eigenen Bevölkerung: In einer Rede im türkischen Parlament am 1. Oktober 2024 warf er Israel vor, auch die Türkei angreifen zu wollen. "Die im Heiligen Land wahnsinnig gewordene israelische Regierung wird mit ihrem religiösen Fanatismus nach Palästina und dem Libanon womöglich auf unser Vaterland zielen", sagte er. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu träume davon, Anatolien zu besetzen und "laufe einer Utopie hinterher".

Doch Experten bewerten Erdogans Aussagen als unrealistisch. "Ich halte dieses Szenario für unmöglich", so Selin Nasi, Politikwissenschaftlerin der London School of Economics (LSE). "Die Türkei ist ein NATO-Mitglied. Die Türkei anzugreifen würde bedeuten, die NATO und die USA zu konfrontieren. Außerdem gibt es gar keinen Grund für Israel, die Türkei anzugreifen." 

Erdogan versuche mit seinen Worten seine Basis zu konsolidieren und sich mit den Palästinensern solidarisch zu zeigen. Die Türkei besitzt die zweitgrößte Armee in der NATO: Die Türkei ist also nicht nur militärisch stark, sie ist auch ein enger Verbündeter der Vereinigten Staaten - genauso wie Israel.

 Irans Raketenangriff in Aschkelon
Israels Luftabwehrsystem "Iron Dome" konnte viele iranische Raketen abfangenBild: Amir Cohen/REUTERS

Doch Erdogan gehe es bei solchen Aussagen um etwas anderes, sagt Ilter Turan, emeritierter Professor für internationale Beziehungen und ehemaliger Rektor der Bilgi-Universität in Istanbul. "Der Präsident instrumentalisiert die Außenpolitik für seine innenpolitischen Ziele. Israel hat auf keinen Fall eine solche Absicht." Turan sagte, die türkische Regierung versuche angesichts großer innenpolitischer Misserfolge, die Aufmerksamkeit der Menschen auf andere Themen zu lenken. Erdogan selbst hat spätestens seit den letzten Kommunalwahlen politischen Rückhalt verloren und das Land befindet sich in einer Wirtschaftskrise.

Würde sich die Türkei einmischen?

Laut Turan liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Türkei jemals Kriegspartei wird, bei null. "Die Türkei wird sich nicht aktiv am Konflikt beteiligen, da Ankara kein Teil des Krieges sein möchte", betont er. Eine mögliche Vergeltung Israels gegen den Iran werde Ankara zwar nicht gutheißen, da die Türkei mit dem Iran eine distanzierte Freundschaft pflege. Ankara könnte Teheran möglicherweise geistliche Unterstützung anbieten, aber es werde nicht darüber hinausgehen, so Turan.

"Aufgrund der pro-palästinensischen und anti-israelischen Haltung der türkischen Regierung ist der falsche Eindruck entstanden, dass sie den Iran und dessen Milizen unterstützt. Das ist irreführend", erklärt Selin Nasi. Die Türkei konzentriere sich derzeit auf die Stabilisierung ihrer Wirtschaft, und ein regionaler Konflikt würde nur zusätzliche Instabilität bringen. Es sei daher nicht zu erwarten, dass die Türkei in Gaza oder im Libanon interveniert. "Die Türkei wird Israel nicht militärisch konfrontieren wollen", prognostiziert Nasi.

Recep Tayyip Erdogan und Ismail Hanija geben sich die Hand
Erdogan empfing Hamas-Chef Ismail Hanija Wochen vor seinem Tod im Präsidentenpalast in AnkaraBild: Mustafa Kamaci/Anadolu/picture alliance

Konkurrenten mit gegenseitigem Respekt

Die Türkei, der Iran und Saudi-Arabien stünden "wie in der Vergangenheit auch heute weiterhin in Konkurrenz", so der frühere Diplomat Mithat Rende. Er ist ehemaliger türkischer Botschafter in Katar und mit der geopolitischen Dynamik der Region vertraut. Die Türkei pflege ihre Beziehungen zum Iran "mit Sorgfalt und Respekt", obwohl Teheran und Ankara oft unterschiedlicher Meinungen seien, was die unterschiedlichen regionalen Konflikte angehe.

"Die Türkei will nicht, dass der Iran durch die von ihm unterstützten und bewaffneten nicht-staatlichen Akteure seine Dominanz in der Region ausbaut. Gleichzeitig teilt die Türkei mit anderen regionalen Mächten das Ziel, zu verhindern, dass der Iran zur Atommacht wird", erläutert Rende.

Recep Tayyip Erdogan und Benjamin Netanjahu lächeln vor laufenden Kameras
Diese lächelnden Gesichter sind vorerst Geschichte: Erdogan und Netanjahu posierten freundschaftlich vor laufenden Kameras im September 2023Bild: AK Party/Zuma/picture alliance

Wie betrachtet die Türkei die Hisbollah?

Eine grundlegende Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden islamisch geprägten Mächten liegt in der unterschiedlichen Auslegung des Islam: Die Türkei ist überwiegend sunnitisch und die Regierung unter Erdogan unterstützt vor allem sunnitische Organisationen wie die Hamas, die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Im Gegensatz dazu ist die iranische Bevölkerung mehrheitlich schiitisch, was zu engen Verbindungen des iranischen Regimes mit schiitischen Gruppierungen wie der Hisbollah im Libanon und den Huthi-Rebellen im Jemen führt. Diese religiös-politischen Differenzen prägen dementsprechend auch die geopolitischen Allianzen der beiden Länder.

Der Unterschied spiegelt sich jüngst auch in den Beileidsbekundungen Ankaras wider: Als Hamas-Chef Ismail Hanija getötet wurde, rief Erdogan für ihn eine Staatstrauer aus. Nach der Tötung von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah zeigte er sich solidarisch mit dem libanesischen Volk, erwähnte aber Nasrallahs Namen nicht. "Dass man da keine vergleichbare Betroffenheit zeigt, ist verständlich und nicht überraschend", so Turan.

DW Mitarbeiter l Burak Ünveren, DW-Journalist
Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.