Iran: Dem Energie-Riesen geht das Gas aus
21. Dezember 2024Der Iran zählt zu den Ländern mit den größten Erdgas- und Erdölreserven weltweit - er hat die zweitgrößten nachgewiesenen Gasreserven und die viertgrößten nachgewiesenen Erdölreserven. Dennoch steht das Land vor einer Energiekrise, denn die Nachfrage nach Erdgas übersteigt die Produktion.
In den vergangenen Tagen sahen sich die iranischen Behörden nicht zum ersten Mal gezwungen, den Strom zu rationieren. Sie ordneten an, Schulen und Ämter im ganzen Land zu schließen. An den Hauptverkehrsadern der Hauptstadt Teheran und anderer Kommunen wurden die Straßenlaternen ausgeschaltet.
In einer Videobotschaft forderte Präsident Massud Peseschkian die Bürger des Landes auf, die Heizungstemperatur in ihren Wohnräumen um zwei Grad zu senken, um die Energiekrise überwinden zu helfen.
Sein Aufruf macht deutlich, wie groß das Energiedefizit ist. Verschärft wird es durch die starke Abhängigkeit von Gaskraftwerken, die im Jahr 2023 bis zu 86 Prozent des im Land genutzten Stroms erzeugten.
Wegen des Gasmangels lassen die Behörden nun Masut verbrennen, um Strom zu erzeugen. Masut ist ein preisgünstiger, aber äußerst umweltschädlicher Erdölrückstand, der die Luftqualität in den Großstädten weiter verschlechtert hat.
Warum ist das Gas so knapp?
Für den Gasmangel machen iranische Behörden westliche Sanktionen verantwortlich. Diese richten sich unter anderem gegen iranische Ölexporte, den Bankensektor und die Schifffahrt. Sie wurden verhängt, um Teheran zu zwingen, seine Nuklear- und Raketenprogramme zu stoppen. Die Wirtschaft des Landes wurde durch die Sanktionen praktisch lahmgelegt.
Teheran zufolge verhinderten sie Investitionen in die Erschließung von Gasfeldern, den Bau von Kraftwerken sowie die Steigerung der Effizienz. Dem Gasmangel liegen allerdings auch systemische Probleme zugrunde.
Laut den Daten der US-Energieinformationsbehörde US Energy Information Administration generierte der Iran während der ersten drei Jahre der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden Einnahmen aus dem Ölgeschäft in Höhe von 144 Milliarden US-Dollar (138,5 Milliarden Euro).
Teheran erziele zwar ein erhebliches Einkommen durch diese Ölexporte, sagt Arezoo Karimi, die für das Nachrichtenportal IranWire über die iranische Wirtschaft berichtet. Und viele dieser Gewinne entgingen "dank Strohfirmen und geheimer Konten der internationalen Aufmerksamkeit" , so Karimi gegenüber der DW.
Doch ein großer Teil dieser Einnahmen werde verwendet, um die geopolitischen Ziele der Regierung zu verwirklichen. "Es gibt Hinweise darauf, dass Milliarden in die Finanzierung regionaler Prioritäten geflossen sind - und nicht in die Infrastruktur des Landes." Laut Karimi stützte der Iran das Regime seines Verbündeten Baschar al-Assad über Jahrzehnte mit Milliarden von US-Dollar, unter anderem durch die Lieferung von Millionen von Barrel kostenlosen Rohöls.
"Berichten zufolge hat der Iran mehr als 25 Milliarden US-Dollar (24 Milliarden Euro) für Syrien ausgegeben, hauptsächlich durch Öllieferungen", erläutert Karimi. Dass die Regierung in Teheran lieber in regionale Allianzen investierte als in Infrastruktur wie etwa die Gasförderung, habe dazu geführt, "dass der iranische Energiesektor grundlegend erneuert werden muss".
Die iranischen Behörden sind sich bewusst, dass das Land Milliarden in die Modernisierung seiner Öl- und Gasförderung investieren muss. Omid Shokri ist Energieanalyst bei der in Washington ansässigen Beraterfirma Gulf State Analytics (GSA). Er ist überzeugt, dass ausländische Unternehmen erst dann im Iran investieren werden, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Wenn das Land ein Atomabkommen mit den USA abgeschlossen hat, wenn die Sanktionen aufgehoben sind und wenn der Iran die Standards zur Geldwäschebekämpfung und Prävention von Terrorismusfinanzierung erfüllt, die die internationale Financial Action Task Force (FATF) festgelegt hat.
"Selbst wenn der Iran diese Bedingungen heute erfüllt, wird es drei bis fünf Jahre dauern, bis internationale Unternehmen zurückkehren", macht Shokri deutlich. "Derweil fehlen dem Iran täglich 350 Millionen Kubikmeter Erdgas und 20 Gigawatt Strom. Der Benzinbedarf ist auf 15 Millionen Liter pro Tag gestiegen. Wir stecken in der größten Energiekrise seit der Revolution von 1979."
Strategische Fehler in der Energiepolitik
Nachbarländer wie die Türkei haben sich bemüht, ihren Energiemix zu diversifizieren und ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Kohle, Erdgas, Öl und erneuerbaren Energien herzustellen. Der Iran hingegen ist überwiegend auf Erdgas angewiesen. Mehr als 95 Prozent der Haushalte sind an die Gasversorgung angeschlossen, eine Schwerpunktsetzung, die Analysten für fehlgeleitet halten.
Welche Konsequenzen das hat, macht Energieexperte Hossein Mirafzali deutlich: "Der Iran hat 430.000 Kilometer Gasleitungen installiert, um auch in die entferntesten Dörfer Gas zu liefern. Diese Förderung der privaten gegenüber der industriellen Nutzung hat jedoch schwere wirtschaftliche Verluste verursacht. Engpässe bei der Gasversorgung haben zur Abschaltung industrieller Anlagen geführt und der Wirtschaft erheblich geschadet."
Die Abhängigkeit des Iran von Gaskraftwerken verstärkt zudem die Umweltbelastung. Das Land zählt zu den größten Emittenten von Treibhausgas weltweit, wobei die Verschmutzung in keinem Verhältnis zur Wirtschaftsleistung steht.
Vom Energieexporteur zum Importeur
Lösungen sind nicht in Sicht und Analysten gehen davon aus, dass der Iran gezwungen sein wird, Erdgas zu importieren, um die Nachfrage im Land zu decken. Turkmenistan bietet sich als Lieferant an. Das Land hat den Iran bereits von 2005 bis 2013, während der Amtszeit von Präsident Mahmud Ahmadineschad, mit Gas beliefert. Das unterstreicht, wie paradox die Situation ist: Eine Nation, die über immense Gasreserven verfügt, muss Energie importieren.
Die Folgen: Fabriken schließen, in den Haushalten fällt über Stunden der Strom aus und die Umweltverschmutzung erreicht nie dagewesene Ausmaße. Die gegenwärtige Energiekrise im Iran ist das Ergebnis internationaler Sanktionen ebenso wie jahrzehntelangen internen Missmanagements. Ohne einen grundlegenden Strategie- und Politikwechsel drohen dem Iran eine noch tiefere wirtschaftliche Stagnation, öffentlicher Unmut und eine wachsende Abhängigkeit von Energieimporten.
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.