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PolitikEuropa

Interview mit Staatsministerin Claudia Roth in Chisinau

Simion Ciochina (aus Chisinau)
31. Oktober 2024

"Es muss das Interesse der Europäischen Union sein, Moldau zu unterstützen", sagt die Grünen-Politikerin im Interview mit der DW. Sie besuchte die Republik Moldau kurz vor der Stichwahl zum Präsidentenamt.

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Eine weißhaarige Frau, Staatsministerin Claudia Roth, steht in einem Saal und schaut in die Kamera. Sie trägt einen beigen Mantel über einem dunkelblauen Wollpullover und einen bunten Schal um den Hals
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, in ChisinauBild: Simion Ciochina/DW

Die Republik Moldau steht unter gewaltigem Druck. Armut und Angst vor dem Krieg einerseits und russische Desinformation andererseits erschweren dem Land die Annäherung an die Europäische Union. Das zeigte sich bei dem EU-Referendum am 20.10.2024. Nur knapp entschieden sich die Moldauer dafür, das Ziel der EU-Integration in die Verfassung aufzunehmen.

Wie könnte Deutschland die Republik Moldau angesichts dieser Herausforderungen unterstützen? Welche gemeinsamen Initiativen in den Bereichen Politik, Kultur und Medien könnten entwickelt werden, um die Informationssicherheit und demokratische Wahlen zu stärken?

Darüber sprach die DW mit Claudia Roth, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, bei ihrem Besuch in der moldauischen Hauptstadt Chisinau.

DW: Die Ergebnisse des Referendums zur EU-Integration haben gezeigt, dass die Republik Moldau zwischen West und Ost gespalten ist. Dennoch haben die Anhänger der EU-Integration mit einem sehr knappen Vorsprung gewonnen. Wie enttäuschend ist das für die EU?

Claudia Roth: Ich glaube, das Ergebnis des Referendums ist sehr wichtig. Ja, es war knapp, aber es ist positiv. Es zeigt, dass die Mehrheit für eine EU-Integration ist, und das ist für die Menschen hier in der Region, hier in der Moldau, sehr wichtig. Und das ist natürlich für die Europäische Union wichtig, denn das Land liegt ja in einer geografischen Lage, die sehr wichtig und auch sehr dramatisch ist. Denn unmittelbar in der Nachbarschaft tobt ein grauenhafter, schrecklicher, zermürbender, aggressiver Angriffskrieg.

Außerdem wird versucht, von außen Einfluss zu nehmen mit Desinformationskampagnen, mit Fake News, mit Deepfake, mit dem Kaufen von Stimmen. Und deswegen ist der Ausgang des Referendums sehr gut.

Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu in einem hellbeigen Mantel wirft ihren Stimmzettel in eine transparente Wahlurne. Hinter ihr stehen Fotografen, die sie dabei fotografieren.
Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu bei der Stimmabgabe am 20.10.2024. Sandu steht für die Annäherung der Moldau an die EUBild: Elena Covalenco/DW

Es muss jetzt das Interesse der Europäischen Union sein, die Republik Moldau auf dem Weg nach Europa, in die europäische Integration zu unterstützen. Das tut Deutschland sehr intensiv. Mein Besuch soll ein Zeichen sein, dass wir die Verbindungen verstärken wollen, wenn es um Kultur und um unabhängige, freie Medien und faire Berichterstattung geht. Wir sind in diesen Fragen an der Seite der Republik Moldau.

Die Polizei hat konkrete Beweise dafür vorgelegt, dass bei den Präsidentschaftswahlen und dem Referendum in der Republik Moldau hunderttausende Stimmen gekauft wurden - mit massiver russischer Hilfe. Wie kann Deutschland der Moldau helfen, dieses Phänomen zu bekämpfen?

Wir können helfen und das tun wir ja auch, in dem wir den gemeinsamen Kampf gegen Desinformationskampagnen stärken und die unabhängigen, freien Medien unterstützen. Auch die Deutsche Welle arbeitet mit Journalistinnen und Journalisten hier im Land gut zusammen, um eine Berichterstattung zu ermöglichen, die der sehr gefährlichen Desinformation etwas entgegensetzt. 

Desinformationskampagnen finden ja nicht nur in der Moldau statt, sondern auch in unserem Land. Überall versucht Russland, massiv Einfluss zu nehmen, Wahlen zu beeinflussen bis hin zu einer offenen Manipulation. Wenn für 75 Euro eine Stimme gekauft wird, dann ist das ein Unding. Darum hoffe ich sehr, dass die Präsidentschaftswahl für die amtierende Präsidentin Maia Sandu in einem guten Sinne ausgehen wird.

Darüber hinaus muss es darum gehen, dass die demokratischen Kräfte in der Moldau auch im Hinblick auf die nationalen Wahlen im nächsten Jahr gestärkt und unterstützt werden. Das kann man tun, indem man zeigt: Wir stehen an der Seite der demokratischen und proeuropäischen Kräfte in der Moldau. Wir unterstützen ökonomisch und mit unterschiedlichen Projekten, und wir verstärken auch die kulturelle Zusammenarbeit mit der Moldau. 

Roth: Das Ergebnis der EU-Referendums in Moldau ist gut

Diese Beispiele zeigen, dass die russische Propaganda einen starken Einfluss in der Moldau hat. Womit kann Deutschland im Kampf gegen Fake News und Manipulation helfen? Gibt es schon konkrete Projekte?

Ich habe mit jungen Influencerinnen gesprochen, mit Journalisten und Kulturschaffenden, die sagen: "Man muss auch aufs Land gehen. Man muss mit den Menschen reden. Man darf nicht zulassen, dass Stadt und Land so auseinanderfallen." Ich glaube, es wird Aufgabe sein, Vertrauen in die herrschende Politik und in die Regierung zu gewinnen und in die europäische Perspektive. Denn natürlich kann Europa nicht sofort die Mieten senken oder neue Wohnungen errichten. Es gibt da ganz große Erwartungen, was Europa bedeutet und was Europa leisten kann. Aber das muss man erklären und erläutern. Ich hoffe, dass die neue rumänische EU-Kommissarin, die auch für Kultur zuständig sein wird, ihre Arbeit so versteht, dass sie auch Menschen in der Moldau stärkt, damit sie der Europäischen Union vertrauen.

Der Krieg in der Ukraine ist ein harter Schlag für die Wirtschaft der Moldau. Was kann die EU anbieten, um dem Land zu helfen?

Ein Satz, den wir immer wieder gehört haben, lautet: "Wenn Odessa fällt, dann fällt die Moldau". Wir haben also nicht nur ein Interesse, dass die Ukraine selbstbestimmt, in Freiheit und in Frieden eigenständig leben kann, sondern wir wollen auch, dass das für die Nachbarstaaten wie die Moldau gilt. Denn tatsächlich ist der gierige Griff Putins und des Kreml nach der Moldau ja schon spürbar. Deswegen muss man die Moldau auf allen Ebenen unterstützen, resilient zu sein, stark zu sein - auch ökonomisch, überlebensfähig zu sein. Die Menschen sollen sicher sein, dass sie nicht allein gelassen werden. Und wir müssen die Ukraine unterstützen in ihrem Kampf, denn die Vorstellung, dass Putin gewinnt ist, wäre eine grauenhafte Vorstellung für Gesamteuropa. 

Roth: Europa muss die Republik Moldau unterstützen

Kann Deutschland der Republik Moldau irgendwelche neuen Projekte im Kultur- und Medienbereich anbieten? Haben Sie schon konkrete Ideen, die beide Seiten einander näherbringen könnten?

Ich hatte zwei sehr spannende und wirklich tolle Gespräche. Eine sehr freundschaftliche Begegnung mit Kulturminister Sergiu Prodan. Er ist ein wunderbarer Mensch, selbst Künstler und dem Kulturbereich verbunden. Er hat sehr tolle Filme gemacht, er lebt für die Kunst und für die Kultur.

Ein Sänger (Pavel Pasha Parfeni) und zwei Tänzerinnen stehen auf einer runden beleuchteten Bühne. Im Hintergrund sind Zuschauer zu erkennen
Die Moldau schickt regelmäßig Teilnehmer zum Eurovision Song Contest - wie hier in Liverpool im Jahr 2023 den Sänger Pavel Pasha ParfeniBild: Corinne Cumming/EBU

Wir haben gemeinsam überlegt, in welchen Bereichen wir kooperieren können. Zum Beispiel in der Musik: Wie kann man im Sommer ein gemeinsames Opernfestival mit der Moldau, Deutschland und der Ukraine veranstalten. Ich habe ihm gesagt, dass die Moldau durch die Beiträge zum Eurovision Song Contest in Deutschland bekannt und populär geworden ist. Ich erinnere mich an dieses großartige Video, an die Band, die von Chisinau nach Bukarest im Zug fährt. Es ist ein wahnsinnig populäres Lied. Ich habe ganz oft dafür abgestimmt und mir gewünscht, dass es gewinnt. Das ist so ein toller Ethno-Pop und Rock, ganz toll, und dafür steht Moldau. (Anm. d. Red.: Claudia Roth bezieht sich auf den offiziellen Beitrag der Moldau zum Eurovision Song Contest im Jahr 2022. Der Song Trenuletul beschrieb die Freundschaft zwischen der Moldau und Rumänien.) 

Triumphbogen im Vordergrund und orthodoxe Kathedrale im Hintergrund des Bildes in der moldauischen Hauptstadt Chisinau
Triumphbogen und orthodoxe Kathedrale in der moldauischen Hauptstadt ChisinauBild: blickwinkel/IMAGO

Wir haben uns auch überlegt, wie man den Tourismus unterstützen kann. Der Kulturminister ist ja auch für Tourismus zuständig. Die Moldau hat herausragende Weingüter, hat wunderbaren, großartigen Wein. Wie kann man Wein und Kultur, Wein und Literatur miteinander verbinden? Oder den Wein mit den Regionen? In der Moldau gibt es noch diese wunderschönen kleinen Dörfer, die mit ihren Blumen und bunten Häusern eine schöne, warmherzige Ausstrahlung haben. Das hat bei mir sehr romantische Gefühle ausgelöst. Also wie kann man Touristinnen und Touristen finden, die Wein, Natur und Literatur lieben? Ich glaube, das ist eine große Chance.

Wir haben überlegt, dass wir die Moldau dabei unterstützen, dass sie sich auf den großen Buchmessen in Deutschland präsentieren kann, in Frankfurt und Leipzig, damit die Literatur der Moldau auch bei uns bekannter wird. Wir überlegen, wie wir gemeinsam die Erinnerungskultur stärken - das ist mir ein großes Anliegen. Ich glaube, dass die wenigsten Menschen in Deutschland wissen, welche Verbrechen von Nationalsozialisten hier begangen wurden, dass die moldauische Hauptstadt Chisinau vor dem nationalsozialistischen Terror 46 Prozent jüdische Einwohner hatte. Hunderttausende sind ermordet worden. Das ist etwas, dass bei uns in Deutschland viel zu wenig bekannt ist. Für Deutschland ist es eine sehr große Aufgabe und Verantwortung, diese Geschichte so darzustellen, dass die Jugend sich erinnern kann.

Wir unterstützen die Moldau ökonomisch, in der Landwirtschaft, in der Wirtschaft, in der Umwelt, in der Energiepolitik, dann darf man auf gar keinen Fall Kunst und Kultur vergessen. Denn Kunst und Kultur sind der Sound jeder Demokratie, sie halten die Gesellschaft zusammen. Und ich glaube, es gibt eine große Offenheit auch bei uns in Deutschland, dieses Land mit seiner Kultur kennenzulernen.

Portrait eines Mannes mit Bart, der vor einem weißen Gebäude steht
Simion Ciochina DW-Korrespondent, Autor, Journalist, Reporter