Ins Leere verhandelt
31. August 2004Die Theorie klingt gut: Nach dem Kompromiss der WTO-Konferenz in Genf sollten arme Länder Zugang zu billigen Medikamenten erhalten. Das heißt, sie sollten AIDS-Medikamente ohne Patent selbst produzieren dürfen oder günstig importieren können, wenn die Produktionstechnik fehlt.
Die Praxis sieht anders aus. Die Regelungen sind derart kompliziert, dass davon bislang kaum ein Land Gebrauch machen konnte. "Das einzige Land, das eine Zwangslizenz nutzt, ist Simbabwe", sagt Kerstin Roll von der "Kampagne gegen Aids", einem Zusammenschluss WTO-kritischer Initiativen in Deutschland. "Ein Land - das ist nicht gerade repräsentativ. Unsere Bedenken von vor einem Jahr sind damit bestätigt worden. Der ausgehandelte Kompromiss ist zu bürokratisch", sagt Roll.
Viele Länder scheuen den Konflikt
Zwangslizenzen sind eine Möglichkeit, für bestimmte Zeit ein billiges Nachahmer-Medikament selbst herzustellen. Brasilien etwa setzte sich vor einigen Jahren über die Patentregeln für AIDS-Medikamente hinweg und verteilte im Interesse seiner Bürger kostenlos günstig hergestellte Tabletten. Daraufhin starben nur noch halb so viele Menschen an Aids wie erwartet.
Das Problem: Andere, kleinere Länder scheuen den Konflikt mit der Pharmalobby der "Ersten Welt". Ihre Regierungen lassen sich einschüchtern, wollen des Patentkonflikts wegen andere Interessen nicht aufs Spiel setzen. Im Gegenzug könnten die WTO-Staaten aus der schleppenden Inanspruchnahme schließen, dass in den armen Ländern doch keine Notsituation vorliegt. Dann würden auch wieder Änderungswünsche laut werden, denn der ausgehandelte Kompromiss soll erst Ende 2004 gänzlich festgeschrieben werden.
Pharmalobby will Regelungen einschränken
Bei der Bundesregierung ist man zufrieden mit dem WTO-Kompromiss: "Wir haben die Lockerung des Patentschutzes unterstützt, hier ist eine Lücke geschlossen worden", sagt Martin Schieferdecker vom Bundesministerium für Wirtschaft. Wichtig sei, dass Mindestvereinbarungen getroffen würden, damit die Möglichkeit zur Nachahmung und zum Export von Medikamenten nicht profitträchtig missbraucht werde.
Trotzdem haben Betroffene nicht ausreichend Zugang zu Arzneien, sagen Kritiker. Der Patentschutz ist tatsächlich nicht das Hauptproblem, weil viele Wirkstoffe etwa gegen Malaria lange genug existieren. An neuen, wirksameren Medikamenten wird von den Pharmaunternehmen ohnehin kaum geforscht. Viel belastender sind jedoch die Regeln für den Export verbilligter Medikamente.
Man habe die Hürden viel zu hoch gesetzt, um die pharmazeutische Industrie zu schützen, sagt Pascale Boulet von der Organisation "Ärzte ohne Grenzen". Man hätte eine flexiblere Lösung gebraucht, auch um die Generikaproduzenten zu motivieren."
Mit Tricks Interessen sichern
Der Wettbewerb unter den Herstellern von Generika hat sich nur schwach entwickelt. "Der Handel funktioniert nicht, wie man sich das bei der WTO-Runde vorgestellt hat", sagt Roll von der "Kampagne gegen Aids". Oft würden Pharmakonzerne durch Schenkungen Konflikte umgehen.
Außerdem schießt Amerika quer: Die USA haben sich sowieso am härtesten gegen eine Lockerung von des Patentschutzes gewehrt. Jetzt führen sie die hohen Barrieren wieder ein, wenn sie mit Ländern bilaterale Handelsverträge zu oft ganz anderen Themen aushandeln - und schützen so die heimische Industrie.