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Gute Gründe für moderaten EZB-Kurs

Mischa Ehrhardt Frankfurt am Main
17. Dezember 2021

Die EZB muss gerade viel Kritik einstecken wegen ihres zögerlichen Vorgehens gegen die hohe Inflation. Es gibt aber gute Gründe für die Zurückhaltung der obersten Währungshüter des Euroraumes.

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Deutschland | PK Christine Lagarde in Frankfurt
EZB-Chefin Christine LagrdeBild: Thomas Lohnes/REUTERS

Der Blick auf blanke Zahlen wirkt oft erhellend. So hat die EZB ihre Inflationsprognosen deutlich nach oben korrigiert. Für dieses Jahr rechnen die Euro-Banker mit einer Rate von 2,6 Prozent - statt wie bisher 2,2 Prozent. Und für das kommende Jahr hat sich die Prognose auf 3,2 Prozent fast verdoppelt. Trotzdem steuert sie nur langsam um und normalisiert ihre Geldpolitik, während Notenbanken in den USA und England die grassierende Inflation zum Anlass für eine deutliche Kurskorrektur nehmen. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer glaubte zunächst an einen Zahlendreher, wie er twitterte:

Die Begründung für die angepasste Prognose ist ein klares Einerseits-Andererseits: "Wir haben diese widersprechende Situation zwischen starker wirtschaftlicher Erholung und dem Fortschreiten der Pandemie", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag nach der Ratssitzung in Frankfurt am Main. Hohe Energiepreise und die Probleme in den Lieferketten, die wesentlich zur Inflation beitragen, tun ihr Übriges.

Symbolbild | Kennzahlen zur Inflation im Euroraum
Wenn 100 Euro plötzlich nicht mehr 100 Euro wert sind... Bild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Einkommensschwächere stärker betroffen

In der Tat sind das auch nach Ansicht anderer Beobachter Effekte, die im kommenden Jahr vorübergehen - oder zumindest abklingen werden. So geht die Zentralbank in ihren Prognosen auch davon aus, dass die Inflation 2023 bei 1,8 Prozent liegen werde und 2024 auf diesem Niveau verharrt. Das läge ziemlich genau im Zielkorridor der EZB von einer Inflationsrate bei zwei Prozent. Aus dieser Sicht ist die moderate Normalisierung der Geldpolitik verständlich, eine schärfere Korrektur ein unnötiges Risiko inmitten einer Pandemie mit Unbekannten wie Omikron.

Natürlich bereitet die hohe Inflation vielen Menschen zu Recht Sorgen. Im November sind die Preise im Euroraum um fast fünf Prozent gestiegen - ein Rekordwert. Mit den steigenden Preisen wird es vor allem für Menschen und Familien mit geringerem Einkommen schwieriger, ihren Alltag zu bestreiten. Die hohen Inflationsraten allerdings kann man auch relativieren. So ist einer der Haupttreiber der Inflation die Energie. Rechnet man die heraus, lag die Inflation im November bei nur rund drei Prozent.

Zur Berechnung der Inflation muss man zudem berücksichtigen, dass sie sich immer am Vorjahresmonat bemisst. Genau das ist der Ursprung der oberflächlich betrachtet "explodierenden" Energiepreise. Um das zu veranschaulichen: Im Dezember 2019 - also vor der Corona-Krise - kostete ein Fass Öl der Nordseesorte Brent rund 70 Dollar. Heute liegt der Preis bei rund 75 Dollar. Das entspricht einem Anstieg von sieben Prozent - an den internationalen Ölmärkten nichts Besonderes.

Deutschland | Spritpreise an Tankstelle bei Frankfurt am Main
Tanken ist plötzlich wieder ein teures VergnügenBild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Die Sache mit den Basiseffekten

Im Zuge der Krise und weltweiten Wirtschaftseinschränkungen waren die Energiepreise 2020 deutlich in den Keller gerauscht. Daher zieht der Preisanstieg, der eigentlich eine Normalisierung ist, die Inflationsrate in die Höhe. Und so verhält es sich mit vielen anderen Warengruppen auch: Durch Krise und schwindende Nachfrage sackten viele Preise ab.

Mit der Erholung der Wirtschaft und steigender Nachfrage erholen sie sich wieder. Rechnerisch schlägt sich das natürlich in den Inflationszahlen nieder, Ökonomen sprechen hier von "Basiseffekten". Ein anderes Krisenproblem sind gestörte globale Lieferketten. Allerdings ist erwartbar, dass die sich in den kommenden Monaten wieder normalisieren werden, sich der Preisdruck von dieser Seite also eher abschwächen dürfte.

Schließlich gibt es wegen der "Basiseffekte" auch stichhaltige Gründe, warum die Inflation mit Beginn 2022 wieder abflauen wird. Denn einer dieser Effekte stellt die Mehrwertsteuer hierzulande dar. Ab Januar wird sie preisdämpfend wirken - warum? Auch hier muss man zurückschauen. Denn im zweiten Halbjahr 2020 wurde die Mehrwertsteuer im Zuge der Pandemie gesenkt. Zwar galt bereits ab 1. Januar 2021 wieder der normale Mehrwertsteuersatz. Doch inflationstreibend schlug diese Normalisierung erst im zweiten Halbjahr zu Buche. Dieser Effekt verschwindet exakt in der Nacht zum 1. Januar 2022 wieder.

Andere Länder, andere Zinsen

Derartige Effekte gibt es natürlich auch in anderen Regionen der Welt. Und trotzdem reagieren etwa die Bank of England und die US-Notenbank FED entschiedener. Die Bank of England erhöht den Leitzins von 0,15 auf 0,25 Prozent. Und am Mittwoch hatte auch der Chef der US-Notenbank Jerome Powell eine stärkere Bremsung angekündigt. In den USA soll nicht nur das Anleihekaufprogramm auslaufen. Die FED hat darüber hinaus auch bis zu drei Zinsschritte für das kommende Jahr in Aussicht gestellt.

Das liegt vor allem daran, dass die US-Wirtschaft deutlich stärker wächst als im Euroraum. Und das geht auch mit einer stärkeren Inflation einher - sie liegt derzeit bei 6,8 Prozent. "Gleichzeitig haben Arbeitgeber Schwierigkeiten, Joblücken zu schließen", sagte Jerome Powell. Löhne und Gehälter würden in Folge dieser Situation so stark steigen wie seit Jahren nicht mehr.

So will die FED mit ihren Maßnahmen offenbar entschieden der Gefahr einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale entgegenwirken. Bei der schaukeln sich Löhne und steigende Preise gegenseitig in die Höhe - und das ist ein absolut rotes Tuch für Notenbanker. Eine solche Gefahr sehen die meisten Experten für den Euroraum noch nicht. Zwar liegt auch hier die Inflation auf einem Rekordhoch. Doch fallen Lohnsteigerungen im Euroraum - zum Leidwesen der inflationsgeplagten Beschäftigten - noch vergleichsweise moderat aus.