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Indigene klagen an

Christina Ruta3. Mai 2012

Sie demonstrieren gegen den Bau von Straßen und Staudämmen oder gegen den sorglosen Umgang mit Rohstoffen. Immer häufger werden indigene Aktivisten deswegen verhaftet. Der Staat bedient sich der Antiterrorgesetze.

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Indigenen-Protest 2011 in Bolivien (Foto: dapd)
Bild: dapd

Erst vor wenigen Tagen gingen die Demonstrationen gegen die geplante Fernstraße durch ein Naturschutzgebiet in Bolivien in die zweite Runde. Bereits im September 2011 hatten indigene Gruppen und ihre Unterstützer einen Protestmarsch in die Hauptstadt La Paz veranstaltet. Es kam zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften. Gegen 24 indigene Führer wird nun unter anderem wegen Entführungsdelikten ermittelt.

In Ecuador wurden in den letzten Jahren Verfahren gegen 194 indigene Führer wegen Terrorismus und Sabotage eröffnet. Dort richtete sich die Kritik der Protestler ebenfalls gegen die Rohstoff- und Umweltpolitik der Regierung. Aktuelles Streitobjekt ist der Vertragsabschluss mit einem chinesischen Großunternehmen über eine Kupfermine.

Auch in Chile und Peru beklagen indigene Organisationen die strafrechtliche Verfolgung von Mapuche, Rapa Nui und indigenen Bauern. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte spricht davon, dass mit gezielter Kriminalisierung, Einschüchterung und Stigmatisierung der indigenen Bewegung versucht werde, die Verteidigung ihrer Gebiete und Bodenschätze zu verhindern sowie ihr Recht auf Autonomie und kulturelle Identität zu brechen.

Protestmarsch in La Paz im September 2011 (Foto: EPA)
Protestzug nach La Paz gegen den Bau einer Straße durch das bolivianische Naturschutzgebiet TIPNISBild: picture alliance/dpa

Hartes Durchgreifen gegen Protestierende

Generell seien in vielen lateinamerikanischen Ländern die Maßnahmen gegen Protestierende recht repressiv, meint Almut Schilling-Vacaflor, Lateinamerikaexpertin vom German Institute of Global and Area Studies: "Ein großes Problem in Chile, Peru und Ecuador sind die scharfen und fragwürdigen Antiterrorgesetze, die einmal zum Kampf gegen Guerilla-Gruppen dienten und nun gegen Umwelt- oder Menschenrechtsaktivisten angewendet werden." Beispielsweise gelte es in Peru schon als Entführung, wenn im Rahmen von Protesten ein Gebäude besetzt werde, so Schilling-Vacaflor. Da es in den letzten Jahren viele Konflikte um Bodenschätze auf indigenen Gebieten gab, steht gerade die dortige Bevölkerung im Fokus der Repressionsmaßnahmen. Das Problem stellt sich Almut Schilling-Vacaflor zufolge aber grundsätzlich: "Nach dem 11. September 2001 muss man mit dem Terrorbegriff vorsichtig sein. Global verwenden ihn Regierungen gerne gegen Gruppen, die ihnen unangenehm sind.“

Dass der Protestmarsch nach La Paz bis zum Eingreifen der Sicherheitskräfte friedlich verlief, kann Susanne Käss bestätigen. Die Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bolivien hält den Vorwurf der Entführung für übertrieben: "Nachdem die Protestler nicht mit dem Präsidenten Evo Morales sprechen durften, haben sie den Außenminister - wie der Präsident selbst indigener Herkunft - in ihre Mitte genommen und ihn für rund drei Stunden zum Mitmarschieren gezwungen." Die Medien seien aber die gesamte Zeit präsent gewesen und die Zuschauer hätten gewusst, wo sich der Außenminister befindet, sagt Susanne Käss.

Konflikte zwischen Regierung und Opposition

Die Situation hält sie dennoch für vielschichtiger. Vor allem verlaufe die Konfliktlinie nicht zwischen indigener und nicht-indigener Bevölkerung, sondern zwischen Regierung und Opposition. So seien die indigenen Bewohner des bolivianischen Andentieflandes, die einen stärkeren Bezug zur "Mutter Erde“ und ihrem Naturschutzgebiet haben sowie die beiden größten indigenen Dachverbände des Landes gegen die Fernstraße gewesen. Die Straße sollte aber vor allem auf Forderungen der indigenen Kokabauern aus dem Hochland, die ihr Anbaugebiet erweitern wollten, gebaut werden. Die Kokabauern, meist Aymara oder Quechua, stehen der Regierung sehr nahe, Evo Morales ist selbst oberster Gewerkschaftsführer der sechs großen Kokaanbau-Gewerkschaften aus Cochabamba. "Es ist nicht immer so, dass alle Indigenen grundsätzlich gegen Infrastrukturmaßnahmen sind. Auch auf indigener Seite spielen wirtschaftliche Interessen und Korruption eine Rolle“, erklärt Susanne Käss.

Bolivianischer Präsident Evo Morales mit seinem peruanischen Kollegen Ollanto Humala (Foto: dpa/aa)
Evo Morales - der erste indigene Präsident LateinamerikasBild: picture alliance / dpa

Rohstoffe als Wirtschaftsfaktor

Ähnlich wie in Peru oder Ecuador ist die Regierung in Bolivien mit Unterstützung der indigenen Wählerstimmen an die Macht gekommen. Nun werfen viele Indigene den Regierungen vor, sich nicht mehr für ihre Anliegen einzusetzen.

Die Regierungen müssen ihrerseits eine Gratwanderung schaffen. Einerseits macht der Export von Rohstoffen einen großen Teil der Wirtschaftsleistung aus. Die Rohstoffe liegen aber meist in den Gebieten der indigenen Bevölkerung. Andererseits haben die meisten Länder Lateinamerikas die Konvention 196 der Internationalen Arbeitsorganisation unterschrieben. Die Konvention verpflichtet die Regierungen, bei Infrastrukturprojekten auch mit den betroffenen Gemeinden Rücksprache zu halten und diese frühzeitig zu informieren.

Reste einer Rohölbohrung in Ecuador (Foto: Christina Aanestad)
Reste einer Rohöl-Bohrung in EcuadorBild: Christina Aanestad

Genau da sieht Susanne Käss auch die Lösung der Konflikte. Anstatt die Informationspflicht zu ignorieren, müssten die Verantwortlichen die Bewohner vor Ort besser informieren, denn nur so könnten diese zwischen den Vor- und Nachteilen der Projekte abwägen. Die Umweltstandards müssten in jedem Fall eingehalten werden. Außerdem dürfe nicht länger versucht werden, die indigenen Anwohner mit kleinen Anteilen an den Gewinnen zu manipulieren. Dies gelte sowohl für die Unternehmen als auch für diejenigen indigenen Führer, die in die eigene Tasche wirtschafteten. Schließlich müssten die betroffenen Anwohner eine Garantie auf gerechte Kompensationszahlungen erhalten.