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PolitikIndien

Indien: Parlament verfehlt gesellschaftliche Vielfalt

Murali Krishnan
29. Juni 2024

Die Zusammensetzung des neuen indischen Parlaments zieht die Kritik von Bürgerrechtlern auf sich: So sind Frauen und Muslime deutlich unterrepräsentiert.

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Narendra Modi bei einer Pressekonferenz in Delhi, 24.6.2024
Der alte und der neue Premier: Narendra Modi bei einer Pressekonferenz in Delhi, 24.6.2024Bild: -/AFP/Getty Images

In dieser Woche sind die frisch gewählten Abgeordneten des neuen indischen Parlaments zu ihrer ersten Sitzungsperiode zusammengetreten. Bis zum 3. Juli tagt ein Parlament mit deutlichen Veränderungen in der Zusammensetzung. Bisher dominierte die Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi die Abgeordnetenkammer.

Bei den diesjährigen Parlamentswahlen musste die BJP jedoch einen Rückschlag hinnehmen. Die Partei verfügt über keine eigenständige Mehrheit mehr. Damit ist sie auf Koalitionspartner angewiesen.

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Wenige Frauen im Kabinett

Der 73 Jahre alte Narendra Modi kann mit der Unterstützung der Koalitionspartner im Amt bleiben. Er ist bislang erst der zweite Premierminister Indiens, der eine dritte Amtszeit in Folge gewann.

Bei der Regierungsbildung ließ der Besetzung von Schlüsselpositionen unverändert. Das Kabinett wird auch weiterhin von der BJP dominiert.

Oppositionspolitiker und politische Beobachter sind von der Zusammensetzung des Ministerrats wenig angetan: Sie monieren, dass Frauen unterrepräsentiert seien; wie auch die Muslime als größte religiöse Minderheit Indiens. 

So etwa wies Derek O'Brien, Abgeordneter der Oppositionspartei Trinamool Congress (TMC), darauf hin, dass nur sieben der 71 von Modi in seiner dritten Amtszeit ernannten Minister Frauen sind.

"Und nur zwei von ihnen wurden mit Schlüsselpositionen im Kabinett betraut", so O'Brien zur DW unter Verweis auf Finanzministerin Nirmala Sitharaman und die Ministerin für Frauen und Kinderentwicklung, Annapurna Devi.

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Geringere Chancen für Frauen

Es sei bemerkenswert, dass das neu gewählte Parlament weniger Frauen und weniger Muslime als das vorherige habe, sagt Zoya Hasan, Politikwissenschaftlerin und emeritierte Professorin an der Jawaharlal Nehru University in Delhi. Die politischen Parteien hätten den Frauen weniger Möglichkeiten zur Kandidatur geboten - und das, obwohl im vergangenen Jahr ein Gesetz verabschiedet wurde, das mehr Sitze für Politikerinnen garantiert.

Das Gesetz sollte allerdings erst nach der nächsten Volkszählung in Indien und nach einer Revision der Wahlkreisgrenzen in Kraft treten. Beide Maßnahmen sind für das Jahr 2026 vorgesehen. 

Laut der Association for Democratic Reforms (ADR), die die Wahlen beobachtet hat, stellten Frauen nicht einmal zehn Prozent der bei den Wahlen angetretenen Kandidaten.

Bürgerrechtsgruppen kritisieren, dass sich in Indien Frauen, die in die Politik gehen wollten, immer noch tief verwurzelten strukturellen Hindernissen gegenüber sähen. Darunter fallen unter anderem gesellschaftliche Voreingenommenheit, Diskriminierung und mangelnder Zugang zu Ressourcen.

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Frauen vor allem aus politischen Eliten 

Zudem würden die meisten Frauen, die bei den Wahlen kandidieren, aus einflussreichen politischen Familien kommen, sagt die Sozialpolitikerin Cynthia Stephen im DW-Gespräch. "Zugleich gibt es viele politisch aktive Frauen in den Parteien, sowohl an der Basis als auch auf höherer Ebene, denen die Kandidatur mit der Begründung 'mangelnder Wählbarkeit' verweigert wird, was ein sehr vager Begriff ist."

"Seit den 1950er Jahren ist es uns nicht gelungen, die Zahl der weiblichen Abgeordneten auf über 15 Prozent zu erhöhen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns", so Stephen weiter. Insgesamt repräsentierten die Wahlen die Bevölkerung und ihren politischen Willen nicht angemessen. "Denn Geld und Geschlecht haben starken Einfluss auf die Wahl oder Nicht-Wahl der einzelnen Kandidaten."

Es kann aber auch anders laufen. So weist der TMC-Politiker O'Brien darauf hin, dass elf der zwölf weiblichen Kandidaten, die von seiner Partei im östlichen Bundesstaat Westbengalen nominierten wurden, bei den Wahlen gewonnen hätten. "Westbengalen ist auf dem Weg zur Geschlechterparität", betonte er. "Der Rest Indiens kann sich daran ein Beispiel nehmen."

Narendra Modi vor Anhängern in Delhi, 4.6. 2024
Premier Narendra Modi lässt sich von Anhängern in Delhi am 4.6. 2024 feiern, obwohl seine Partei BJP bei der Wahl Verluste hinnehmen musste und nun auf Koalitionspartner angewiesen ist.Bild: ARUN SANKAR/AFP

Geringer Anteil muslimischer Abgeordneter

Auch mit Blick auf die Religionszugehörigkeit ist das neue indische Parlament wenig ausgewogen. So hat es den niedrigsten Anteil muslimischer Abgeordneter seit sechs Jahrzehnten. Weniger als fünf Prozent seiner Mitglieder sind Muslime. Mit 15 Prozent der über 1,4 Milliarden Menschen bilden die Muslime aber die größte religiöse Minderheit Indiens. 

Keiner der 240 Abgeordneten der regierenden BJP ist Muslim. Und Modi hat keinen einzigen muslimischen Minister ernannt. 

Allerdings sollte der Minderheitendiskurs in Indien nicht auf Hindus und Muslime reduziert werden, sagt Aditi Narayan Paswan, Politologin an der Universität Delhi. "Mit Kiren Rijiju ist erstmals ein Buddhist an die Spitze des Ministeriums für Minderheitenangelegenheiten berufen worden." Es sei bemerkenswert, dass Jitan Ram Manjhi der Musahar-Gemeinschaft angehöre und nun dem dritten Kabinett von Modi angehöre, so Paswan zur DW.

Die Musahar sind eine sozial marginalisierte Gemeinschaft. In Indiens hierarchischem Kastensystem steht sie auf der untersten Stufe.

Eine angemessene politische Vertretung von Muslimen und anderen benachteiligten Gruppen sei notwendig, damit Demokratie und Vielfalt gedeihen können, fordert Zoya Hasan. "Politische Ausgrenzung ist die Folge einer konkurrenzorientierten kommunalen Politik in Indien. Demokratie erfordert aber eine faire Vertretung aller Gruppen."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.