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Indien: Lebensbedrohliche Rekordhitze in Delhi

Murali Krishnan
1. Juni 2024

Mehrere Regionen Indiens erleben Hitzewellen. In der Hauptstadtregion Delhi gilt Alarmstufe Rot. Doch viele Menschen können sich kaum schützen vor den lebensbedrohlichen Temperaturen - am wenigsten die ärmeren.

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Indien Neu Delhi: Ein Mann sitzt neben einer Mauer auf einem Bettgestell auf dem Bürgersteig
Vor allem Menschen, die im Freien leben, bedroht die RekordhitzeBild: Priyansu Singh/REUTERS

Rohit Garg liefert Essensbestellungen in der indischen Hauptstadtregion Delhi mit dem Moped aus. Bei seinem letzten Auftrag setze ihm die Arbeit in der sengenden Hitze derart zu, dass er ohnmächtig zusammenbrach. Mit erhöhter Körpertemperatur und am ganzen Leib zitternd wurde der 24-Jährige in das Safdarjung-Krankenhaus eingeliefert: "Sein Blutzuckerspiegel war abgesackt und er war stark dehydriert. Er hatte einen Hitzschlag erlitten und wir mussten ihm Flüssigkeit zuführen", berichtet der Arzt Ashutosch Singh der DW.

Jagan Das hat Ähnliches erlebt. Der Bauarbeiter verlässt gerade das Krankenhaus, in dem er vier Tage lang intravenös mit Flüssigkeit versorgt worden ist, als er der DW seine Geschichte erzählt: "Ich kann von Glück sagen, dass ich überlebt habe. Zehn-Stunden-Schichten in diesen hohen Temperaturen haben mir massiv zugesetzt."

Nach Hitzerekorden Abkühlung in Sicht

Am Mittwoch zeigte eine Messstation in Mungeshpur, einem Vorort von Delhi, 52,9 Grad Celsius an - die höchste je in Indien gemessene Temperatur. Der Wert ist zwar ein Ausreißer und noch wird überprüft, ob ein Messfehler vorliegt. Doch tags zuvor wurden an zwei verschiedenen Punkten Delhis 49,9 Grad gemessen. Auch dies wären Rekorde - zumindest für die Hauptstadt.

Für gewöhnlich wird die heiße Luft, die von Norden um diese Jahreszeit in die Region strömt, durch mildere Winde aus dem Westen etwas abgekühlt. Doch diese haben Mitte Mai eine Pause eingelegt. Immerhin geht das Indische Meteorologie-Amt (India Meteorological Department) davon aus, dass sie in den nächsten Tagen wieder auffrischen und zusammen mit dem Monsun aus dem Indischen Ozean die Temperaturen etwas senken.

Zahl der hitzebedingten Notaufnahmen gestiegen

Doch noch erleben viele Orte in Indien Hitzewellen. In den Bundesstaaten Bihar, Uttar Pradesh und Odisha sind mindestens 33 Menschen in Folge der hohen Temperaturen ums Leben gekommen. In Delhi ist die Zahl der Patienten, die Ambulanzen mit hitzebedingten Beschwerden aufgesucht haben, in den vergangenen 14 Tagen um 10 bis 15 Prozent gestiegen. Viele Hospitäler haben sich auf die Behandlung großer Zahlen von Patienten mit hitzebedingten Gesundheitsproblemen wie Hitzekollaps oder Hitzschlägen vorbereitet. Einige Krankenhäuser haben dafür eigene Stationen eingerichtet.

"Wir sensibilisieren unser Krankenhauspersonal, um schnelle Diagnosen zu ermöglichen, und können die Patienten je nach Schwere des Hitzeschlags mit Rehydrationstherapie behandeln", erklärt Sumit Ray, medizinischer Leiter des Holy Family Hospitals in Neu-Delhi, der DW. Dabei werden wässrige Elektrolytlösungen zum Trinken oder intravenös durch einen Tropf verabreicht.

Behörden reagieren auf Hitzewarnung

Das indische Wetteramt hat die höchste Warnstufe Rot für die Hauptstadt ausgerufen. Dort haben die Behörden Krankenhäuser aufgefordert, einen Hitzeaktionsplan zu erstellen. Auch Schulen, die nicht ohnehin bereits für die Sommerferien geschlossen sind, wurden angewiesen, dies mit sofortiger Wirkung zu tun. Öffentliche Parks und Märkte verzeichnen niedrige Besucherzahlen und zoologische Gärten haben begonnen, Tiere abzuspritzen und Wasserkübel zum Abkühlen in den Gehegen aufzustellen.

Mittlerweile rationieren die Behörden das Leitungswasser in manchen Gebieten der Region, um - wie es heißt - einer Verschwendung vorzubeugen. Vielen Menschen bleibt seit dem nichts anderes übrig, als sich zu Fuß aufzumachen, um mit Eimern Wasser von Tankwagen zu holen.

Mittagspause für Wahlkämpfer

Am 1. Juni enden in Indien die Parlamentswahlen, doch bei Temperaturen an die 50 Grad lassen selbst die Kandidaten und ihre Helfer den Wahlkampf im Freien zwischen 12 und 15 Uhr ruhen. Raghu Jain ist einer von denen, die in den Wochen der Wahl von Tür zu Tür gingen. Der DW berichtet er, wie er und andere Wahlkampfhelfer versucht hätten, sich vor der Hitze zu schützen: "Wenn die Sonne am höchsten steht, klopfen wir nicht mehr an die Türen, um Broschüren und Aufkleber zu verteilen und die Wähler über Parteilogos zu informieren. Dann machen wir eine Pause." Doch lange halte die so verschaffte Erholung nicht an: "Der Hitzestress belastet den Körper und mehrere Parteimitarbeiter sind durch die absolute Erschöpfung krank geworden."

Besonders betroffen: die Armen

Am härtesten trifft die Hitze jedoch Arme, Obdachlose und andere Menschen, die im Freien arbeiten und schlafen. "Wir bekommen die Hitzewelle mit voller Wucht ab", klagt Bauarbeiterin Meena Devi. "Fast täglich gibt es Fälle von Dehydrierung und Hitzschlag und es fehlt an einfachsten Mitteln, um sich vor der Hitze zu schützen."

Viele Auftraggeber treffen nicht einmal grundlegende Vorkehrungen für ihre Arbeiter. Mangelnder Zugang zu angemessenen Gesundheitsdiensten gefährden das Wohlergehen der Arbeitskräfte zusätzlich. Deren Not macht es möglich: "Die Arbeit fällt schwer, aber wenn ich nicht arbeite, habe ich kein Einkommen", erklärt Devi, die versucht, Kopf und Gesicht mit einem Tuch zu schützen. Auch ihre beiden kleinen Kinder, die sie zur Baustelle mitbringt, litten unter der Hitze, sagt sie.

Ungleichheit in Indien

Oft versuchen solche Menschen, sich mit einfachen Mitteln zu helfen und sich im Schatten unter Bäumen und in Parks aufzuhalten oder mit Planen etwas Schatten zu verschaffen. "Große Teile unserer Bevölkerung sind stark gefährdet durch Hitzewellen", macht Sunita Narain, Direktorin des Centre for Science and Environment (CSE), im Gespräch mit der DW deutlich. "Sie verfügen zu Hause über weniger Komfort, können schlechter lesen und schreiben und haben eingeschränkten Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen."

Hiralal Paswan, der sein Geld als Lumpensammler verdient, weiß trotzdem, dass die aktuelle Hitze außergewöhnlich ist: "Die Zahl der Hitzetage ist gestiegen. Wir haben nicht nur tagsüber mit der Hitze zu kämpfen, auch nachts bleiben die Temperaturen hoch." 

Luftfeuchtigkeit macht hohe Temperaturen lebensbedrohlich

Dichte Bebauung und versiegelte Flächen lassen die Temperaturen höher steigen. Insbesondere in Gebieten mit wenig Baumbestand oder Grünflächen entstehen Wärmeinseln. Besonders gefährlich ist das, wenn wie derzeit auch noch die Luftfeuchtigkeit hoch ist. Setzt sich die gegenwärtige Entwicklung fort, warnen Fachleute, würden immer häufiger lebensbedrohliche "Feuchtkugeltemperaturen" erreicht.

Mann verschafft einem anderen Mann mit einem Wasserschlauch Abkühlung
Ist die "Feuchtkugeltemperatur" erreicht, hilft nur noch Abkühlung von außen, Schwitzen allein genügt dann nicht mehrBild: Murali Krishnan/DW

Die Feuchtkugeltemperatur ist diejenige Temperatur, ab der keine Kälte mehr durch Verdunstung erzeugt werden kann. Je höher die Luftfeuchtigkeit, umso niedriger liegt diese "Kühlgrenztemperatur". Wenn an einem Ort die Feuchtkugeltemperatur erreicht wird, bedeutet das für Lebewesen, dass sie ihren Körper nicht mehr allein durch Schwitzen senken können. Sind Menschen einer Feuchtkugeltemperatur von 35 Grad ausgesetzt, sinken die Überlebenschancen rapide; ab sechs Stunden - selbst ruhend im Schatten - besteht akute Lebensgefahr.

Die wahren Folgen der Hitzewellen in Indien lassen sich nur schwer bemessen. Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass pro Jahr bis zu Tausend Menschen einen Hitzetod sterben. 

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.