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"In Serbien wird eine künstliche Anti-Haag-Stimmung erzeugt"

20. August 2004

– Serbisch-montenegrinischer Außenminister, Vuk Draskovic, kritisiert serbische Regierung

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Bonn, 19.8.2004, DW-RADIO/Serbisch, Ljiljana Renke

Der Außenminister von Serbien und Montenegro, Vuk Draskovic, hat heute der Deutschen Welle erklärt, "in Serbien wird eine künstliche Anti-Haag-Stimmung erzeugt. Die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien [ICTY] in Den Haag sei eine nationale Verpflichtung, "weil wir uns als Nation von der Milosevic-Ära distanzieren müssen".

Frage:

Herr Draskovic, wenn über die Außenpolitik von Serbien und Montenegro die Rede ist, dann ist die Frage der Kooperation mit dem ICTY unausweichlich. Nur läuft diese nicht so, wie es sein sollte. Es werden – wie es heißt – auch neue Anklagen vorbereitet, allerdings kommt man mit den bereits bestehenden nicht zu Rande.

Antwort:

Ich benutze den Begriff Kooperation nicht, weil ich glaube, dass es sich um unsere Pflicht handelt, und zwar in doppelter Hinsicht: auf internationaler und auf nationaler Ebene. International sind wir dazu verpflichtet, das zu erfüllen, weil diesen Gerichtshof der UN-Sicherheitsrat gegründet hat. Vorrang hat aber die nationale Pflicht, dass wir uns als Nation vollkommen von Slobodan Milosevic und allen, die Kriegsverbrechen begangen haben, distanzieren müssen. Dies kann nicht auf das Gewissen der gesamten serbischen Nation abgewälzt werden.

Im Hinblick auf neue Anklagen glaube ich, dass unnötig Staub aufgewirbelt wird. So weit ich weiß, werden bis zum Jahresende eine oder eventuell auch gar keine Anklage erwartet. Und warum die Angeklagten nicht ausgeliefert werden, müssen Sie die serbische Regierung fragen. Ich glaube, in Serbien wird künstlich eine Anti-Haag-Stimmung erzeugt, damit sich gewisse Politiker dann dahinter verstecken und es als Rechtfertigung gegenüber dem Kriegsverbrecher-Tribunal einsetzen können, dass sie ihre Pflichten nicht erfüllen.

Frage:

Sie haben sich bereits dafür ausgesprochen, die Anklage gegen die NATO-Staaten zurückzuziehen.

Antwort:

Die Anklage gegen acht NATO-Staaten zurückzuziehen, ist eine der Voraussetzungen für die Aufnahme unseres Landes in die Partnerschaft für den Frieden. Die Bomben-Angriffe auf Serbien habe ich verurteilt und verurteile sie auch jetzt. Aber Serbien wäre nicht bombardiert worden, wenn es nicht Slobodan Milosevic gegeben hätte, der mit seiner Politik das Land absichtlich dem NATO-Bombardement ausgesetzt hat. Ich sage jetzt absichtlich, dass ich sowohl die Ursache als auch die Wirkung verurteile. Ich kann aber die Tatsache nicht akzeptieren, dass nun die Ursache – und das ist die Politik Slobodan Milosevics – nun die Wirkung anklagt und die neue Regierung, die Slobodan Milosevic besiegt hat, die Klage Milosevics vertritt. Die Anklage lautet auf Völkermord. Wenn wir die Politik vertreten, dass diese Staaten Völkermord am serbischen Volk verübt haben, dann müssen wir alle Gespräche mit diesen Ländern über unsere Aufnahme in die EU und die NATO abbrechen. Das ist einfach nicht logisch. Ich habe angeregt, dass wir einseitig die Anklage zurückziehen, aus der Überzeugung, dass unsere Freunde in der EU und NATO uns verstehen, und wir so hohe Glaubwürdigkeit bei bestimmten Aktionen erlagen, die schließlich dazu führen würden, dass auch Bosnien-Herzegowina und Kroatien ihre Klagen gegen Serbien und Montenegro zurückziehen.

Frage:

Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit mit der EU und insbesondere mit Deutschland ein?

Antwort:

Ich bin mit dem Grad der Kooperation mit Deutschland nicht zufrieden. Wenn wir der EU beitreten wollen, müssen wir uns dessen bewusst sein, dass Deutschland sowohl wirtschaftlich als auch in jedem anderen Bereich zu den zentralen Staaten der EU gehört, und wir müssen unsere politischen und wirtschaftlichen Beziehungen an diese Tatsache anpassen. Unsere Beziehungen zu Deutschland müssen sich in jedem Bereich verbessern. Wir müssen in Deutschland einen besonderen und unverzichtbaren Partner gewinnen. Ich glaube, Serbien muss die Türen für deutsches Kapital und deutsche Firmen so weit wie möglich öffnen. In Deutschland leben heute fast eine halbe Million Menschen aus Serbien und Montenegro, die dort bereits seit Jahrzehnten arbeiten und die Ehrfahrung und das Kapital dieser Menschen ist für uns wertvoll. (md)