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Menschenrechte 2011

31. Mai 2011

Als die Idee für das Projekt im Herbst 2010 entstand, gab es noch keinen Aufstand in Tunis, Kairo, Misrata und Daraa, keinen durchdringenden Ruf nach mehr Gerechtigkeit. Der Entstehungsprozess wurde eine Herausforderung.

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Die existentiellen Grundbedürfnisse - das Menschenrecht auf faire Arbeitsbedingungen, auf Nahrung und auf Wohnen - das wollten wir in den Mittelpunkt stellen. Wir wollten "nur" diese meist weniger bekannten wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte betrachten unter dem Aspekt globaler Veränderungen. Eine Berührung oder gar Konfrontationen mit den Mächtigen war nicht geplant.

Dann kommt der Aufruhr in der arabischen Welt. Die nicht mehr überhörbare Forderung nach mehr Gerechtigkeit. Anna Würth vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin erklärt uns, wie viel der Aufstand in Ägypten mit der Verweigerung des Rechtes auf Wohnen für junge Menschen durch den Staat zu tun hat. Das Recht auf Versammlungsfreiheit, soeben im UN-Menschenrechtsrat in Genf mit dem Mandat eines Sonderberichterstatters in den Fokus genommen, gewinnt brisante Aktualität. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte - und dazu zählt unsere getroffene Auswahl - sind ohne Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit nicht zu haben.

Teil der Dynamik

Das erleben wir aktuell, durch Kolleginnen und Kollegen, in den Nachrichten und fast "hautnah" durch persönliche Kontakte in die Region. Das Thema kommt rein - aber ohne Reportage, wir wollen niemand gefährden. Bis das Projekt fertig ist, wäre ohnehin die sich rasant ändernde Realität über uns hinweggefegt. Wir entscheiden uns für andere Reportagen und andere Orte. Soweit die Überlegungen an den Bonner Schreibtischen.

Arbeitslosigkeit im Wohlfahrtsstaat Deutschland (Foto: AP)
Arbeitslosigkeit im Wohlfahrtsstaat DeutschlandBild: AP

Als die ersten Reporter sich auf den Weg machen, wird schnell deutlich: allein die Beschreibung brisanter Arbeitsbedingungen wird Teil der Dynamik um die es geht. Eine Protagonistin aus Dresden befürchtet Konsequenzen: Sie will nicht wiedererkannt werden. Ein Interview - mitten in Deutschland - gibt es nur unter der Bedingung, dass die Stimme nicht erkannt wird. Sie fürchtet ihren Arbeitsplatz in einem Callcenter zu verlieren. Wir lassen uns überzeugen und stimmen zu.

Beobachter leben gefährlich

Auch die Recherchen über die Arbeitsbedingungen in einer indischen Schrottwerft hatten es in sich. Kontaktmänner arbeiten hier unerkannt für NGOs und Gewerkschaften. Auf exklusive Fotos müssen wir verzichten. Es wäre zu gefährlich für die Gesprächspartner. Sie könnten Schwierigkeiten bekommen, ihren Job verlieren und sogar verhaftet werden. Die Reporterin ist professionell und vorsichtig. Alles geht am Ende glatt.

Vorsichtig und nicht weniger professionell war auch der dritte Kollege, der sich mit Arbeitsbedingungen in Russland beschäftigt. Dennoch wird er in der Nähe einer Kohlegrube festgenommen. Kommt nach ein paar Stunden wieder raus aus der Sache, meldet sich. Gott sein Dank. Wir ändern die Geschichte - müssen auf die "Untertageperspektive" in einem sibirischen Bergwerk verzichten.

Mit Bodyguards am Interviewtreffpunkt

Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien leben gefährlich (Foto: José Ospina-Valencia)
Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien leben gefährlichBild: DW

Richtig dramatisch wird es in Kolumbien. Von der geplanten Recherche auf dem Land müssen wir gleich ganz Abstand nehmen. Im Januar und Februar werden vier Studenten ermordet, die das Schicksal von Landvertriebenen genau in der Region dokumentieren wollten, in die unser Reporter ursprünglich reisen wollte. Unter schwierigen Umständen kommt schließlich ein Treffen mit einem Menschenrechtsaktivisten zu Stande, der sich einem staatlichen Zeugenschutzprogramm anvertraut hat. In Begleitung von Bodyguards findet das Interview in einem Cafe in Medellín statt. Mehrmals muss der Tisch gewechselt werden. Alles geht gut.

Für einen Freund und Mitstreiter unseres Protagonisten geht der Tag dann allerdings tragisch aus. Der 70jährige Menschenrechtsaktivist David Jesus Góes wird am gleichen Nachmittag, in einem Cafe ganz in der Nähe, von einem Auftragskiller ermordet. Goés hatte sich vor dem Obersten Gericht Kolumbiens für die Rechte von 120 Familien eingesetzt, die aus Urabá von Drogenbanden vertrieben worden waren. Unser Reporter erfährt es in den Hauptnachrichten, kurz bevor er das Land wieder verlässt.

Digitale Medien brauchen Strom

Strom ist in vielen Regionen Afrikas Mangelware (Foto: FRES)
Strom ist in vielen Regionen Afrikas MangelwareBild: FRES

Dagegen mutet das Schicksal des Kollegen im Senegal harmlos an: Tagelang gibt es keinen Strom, das Handy funktioniert nur punktuell, die Informationsübermittlung ist schwierig.

Als die Vor-Ort-Recherche dennoch komplett ist und die Töne aufgenommen sind, gibt es einen neuen Stromausfall. Das Laptop bleibt dunkel - Text und Töne können nicht überspielt werden. Zwei Wochen warten wir geduldig, ob es doch noch klappt. Hat es dann.

Am Ende haben alle Beteiligten verschiedene Erfahrungen gemacht. Wenigstens eine davon teilen sie: Auch bei wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten bleibt der Berichterstatter nicht der abgeklärte Beobachter. Gewollt oder nicht, er oder sie wird Teil des Geschehens, über das es zu berichten gilt.

Autorin: Ulrike Mast-Kirschning
Redaktion: Andreas Brenner