In Afghanistan lahmt der politische Prozess
7. November 2011Die Afghanistan-Strategie der USA lässt sich kurz zusammenfassen: "Fight, talk, build" - kämpfen, reden und aufbauen. Und zwar gleichzeitig. "Der beste Weg, um alle Parteien an den Verhandlungstisch zu bekommen, ist militärischer Druck", sagte die stellvertretende US-Sondergesandte für Afghanistan, Elizabeth Jones, auf einer Fachkonferenz in Berlin im Vorfeld der für Dezember geplanten Afghanistan-Konferenz in Bonn.
Zwar hat sich die US-Regierung in der Vergangenheit um Kontakte zu militanten Gruppen wie dem mächtigen Hakkani-Netzwerk bemüht. Jedoch war die Ermordung des früheren afghanischen Staatspräsidenten Burhanuddin Rabbani im September, mutmaßlich durch die Taliban, ein herber Rückschlag für die Aussöhnungsbemühungen. Präsident Hamid Karsai hatte den Vorsitzenden des Hohen Friedensrates damit beauftragt, Verhandlungen mit den Taliban zu führen.
Mit Gewalt Verhandlungen erzwingen?
Ohne weiteren militärischen Druck, so die Befürchtung der großen Truppensteller USA, Großbritannien und Deutschland, würden die Taliban mit dem Gewehr in der Hand den Abzug der ISAF abwarten - getreu der Devise: Ihr habt die Uhren, aber die Zeit arbeitet für uns. Die Bereitschaft zur Aussöhnung sei noch unterentwickelt, räumt auch Michael Steiner ein, der Afghanistan-Beauftragte der Bundesregierung. "Wenn wir heute einpacken würden, gäbe es den politischen Prozess nicht."
Von Aussöhnung werde zwar viel geredet, aber er sehe davon nichts, sagt der pakistanische Afghanistan-Kenner Rahimullah Yusufzai. Der Journalist aus Peschawar bezweifelt, dass die ISAF-Soldaten die Taliban mit Waffengewalt an den Verhandlungstisch zwingen können. Immer wieder führt Yusufzai selbst Gespräche mit den Anführern der Taliban. "Genau wie die USA wollen auch die Taliban nicht aus einer Position der Schwäche, sondern aus einer Position der Stärke heraus verhandeln."
In der Schlüsselrolle: Die USA und Pakistan
Yusufzai plädiert dafür, sofort mit Verhandlungen zu beginnen. "Nach meiner Einschätzung sind die Taliban bereit, mit den Amerikanern zu reden." Mit Präsident Hamid Karsai wollten sie hingegen nicht sprechen, ihn hielten sie für schwach. Karsai wiederum wolle sich nicht mit den Taliban an einen Tisch setzen, erklärt der Journalist die festgefahrene Lage, sondern mit der pakistanischen Regierung. In ihr sehe Karsai die eigentliche Macht hinter den Taliban.
Auch die afghanische Politikerin Sima Samar, die Vorsitzende der Unabhängigen Menschenrechtskommission in ihrem Land, hält den bisherigen Ansatz für unzureichend. "Es gibt keine abgestimmte Strategie zwischen der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft." Jeder wolle irgendwie mit den Taliban sprechen, aber keiner wisse, wer dies dann tatsächlich tue und mit welcher Motivation. Dass sich verschiedene Gruppierungen mit divergierenden Interessen als Taliban bezeichnen oder ihnen nahe stehen, macht das Problem nur noch komplexer.
Es fehlt der Rahmen für Gespräche
"Es ist offensichtlich, dass überhaupt keiner wirklich die Bedingungen schafft, um zu reden", beklagt der Grünen-Politiker Tom Koenigs, früherer UN-Sondergesandter in Afghanistan. "Das wichtigste wäre doch ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats, der alle autorisiert und beauftragt zu verhandeln." Diese Gespräche, schlägt Koenigs vor, könnten zunächst zwischen den Staaten der Region beginnen.
Immer wieder hat die internationale Gemeinschaft versucht, die Nachbarstaaten, allen voran Pakistan, zur Nicht-Einmischung in Afghanistan zu verpflichten. Ein Teil der militanten Gruppen hat seine Operationsbasis in Pakistan und wird vom dortigen Geheimdienst unterstützt.
Ob an der internationalen Bonner Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember auch Vertreter der Taliban teilnehmen werden, wisse er nicht, sagt der deutsche Afghanistan-Beauftragte Michael Steiner. Die Afghanen würden definitiv nur mit einer Delegation anreisen, und zwar - so ist es verabredet - mit einer möglichst repräsentativen. "Wer am Ende dabei ist, ist alleine die Entscheidung der afghanischen Regierung."
Autorin: Nina Werkhäuser
Redaktion: Sabine Kinkartz