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Im Schatten der Macht

Dorothea Marcus 12. August 2002

Seit 1991 ist Irak ein geächtetes Land und gilt als der "Schurkenstaat" schlechthin. Das öffentliche Leben wird vom Staat streng überwacht. Dennoch gibt es Nischen: zum Beispiel das Theater.

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Land ohne FreiheitBild: AP

Das Embargo gilt auch für die Kultur: Die Buchproduktion im Irak ist um 90 Prozent zurückgegangen, der Analphabetismus immens gestiegen. Es gibt keine ausländischen Zeitungen. Selbst Bleistiftminen sind verboten, weil sie Graphit enthalten, mit dem man Raketen herstellen kann.

Das Theaterleben in Bagdad

Menschen feiern Ramadan
Freitagsgebet in der Moschee von BagdadBild: Ap

Kurz nach dem Gebetsruf um 18 Uhr beginnen im Irak die Theatervorstellungen. Das Theater Al-Rasheed in Bagdad ist ein silberner Bau in sozialistischem Stil, mit Lichterketten geschmückt. Davor drängen sich die Besucher. Es sind fast nur Männer, Frauen sind kaum zu sehen, und wenn, dann meist europäisch gekleidet. Innen ist das Theater gepflastert mit Bildnissen von Saddam Hussein.

Es hat 500 Plätze, im Foyer werden Tee und Kekse verkauft. Gespielt wird Der Apfel des Herzens von Fellah Shakr. Die Geschichte eines Diktators, der zum Überleben das Herz einer jungen Untertanin braucht. Er verliebt sich in sie, und sie opfert sich für ihn. Der Text wird stark deklamiert, auf der Bühne liegt ein großer Apfel aus Pappmaché, im Hintergrund sieht man das brüchige Tor der Welt.

2000 Dinar kostet eine Eintrittskarte, das ist umgerechnet ein Dollar. Awni Karoumi ist empört. "Ein Theaterbesuch kostet soviel wie der Lohn eines Arbeiters. Wer bezahlt das? Eine bestimmte Schicht. Die Kriegsgewinner, die Embargogewinner. Die regierende Partei." Karoumi ist ein bekannter irakischer Regisseur und Theaterwissenschaftler. Er hat in der DDR studiert und lebt seit 1995 wieder in Deutschland. Er besitzt ein kleines Theater in Berlin. Nach Bagdad zurückkehren kann er nicht mehr.

Einheimische und westliche Autoren

Sechs bis zehn Stücke werden im Irak jährlich vom Kultur- und Informationsministerium gefördert und an den fünf großen Theaterhäusern gespielt. Daneben besteht Theater zu 75 Prozent aus seichten Boulevardproduktionen, die sich durch Eintrittskarten finanzieren. Gespielt werden vor allem zeitgenössische irakische Autoren.

Selbst der Präsident dichtet: Im April hatte Zabiba und der König Premiere, die Bühnenadaption eines Romans von Saddam Hussein. Es ist eine Liebesgeschichte zwischen einem Herrscher und einer einfachen Frau, die kurz nach Beginn des Golfkriegs Opfer einer Vergewaltigung wird.

Aber im Irak werden auch westliche Autoren gezeigt: Shakespeare,Tschechov, und gerne auch Brecht, der hier hohes Ansehen genießt. Doch westlich-aufklärerische Herrschaftskritik wird gerne umgedeutet: der verordnete Feind ist der amerikanische Imperialismus.

"Zweisprachigkeit" mit doppelter Zunge

Irak: Soldaten marschieren vor dem Märtyrer Monument in Bagdad
Soldaten paradieren vor dem Märtyerermonument in BagdadBild: AP

Fünf Geheimdienste sind im Irak aktiv, Menschen verschwinden, einfach so. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gibt es nicht. Der Leiter des irakischen Nationaltheaters, Aziz Khayoun, erklärt, wie er damit umgeht. "Überall gibt es Zensur. Die Frage ist nur, wie stark ist sie im jeweiligen Land? Bei uns gibt es Zensuren für den Text, für die Aufführung und für die Gesellschaft allgemein. Das heißt: Alles, was Moral, Religion und Politik betrifft."

Doch man weiß sich zu helfen: durch feine Andeutungen, durch einen bestimmten Rhythmus beim Klatschen kann Kritik am Staat geübt werden: "Unser Zuschauer kann 'zwischen den Zeilen lesen'. Wenn wir sagen: Wenn ein Fisch vom Kopf verfault ist, dann kann man ihn nicht essen - das wird verstanden." Das Publikum geht sogar noch weiter: Wenn das Stück nicht eine doppelte Meinung vermittelt, wird es von den Zuschauern verachtet und beschimpft und auch nicht als Kunst betrachtet.

Auch wenn es zehn große Theater und drei große arabische Theaterfestivals im Irak gibt - die Schauspieler können nicht von ihrer Arbeit leben. Kinofilme können sie nicht drehen. Denn die Zelluloid-Filmrollen fallen unter das Embargo. Oft sind sie nebenher Verkäufer oder Taxifahrer, wie viele andere Iraker auch, oder machen billige Fernsehproduktionen.