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Utopien beim Beethovenfest 2010

9. September 2010

Sie hat die Zügel des Beethovenfestes fest in der Hand. Zusammen mit ihrem Team und hochkarätigen Musikern hat sich die Intendantin Ilona Schmiel zum Ziel gesetzt, Brücken zwischen den Jahrhunderten zu bauen.

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Ilona Schmiel, Intendantin des Beethovenfestes Bonn (Foto: Barbara Fromann)
Bild: Barbara Frommann

2004 wurde Ilona Schmiel zum Beethovenfest nach Bonn berufen. In den ersten Jahren ihres Wirkens dort gab es diverse Länderschwerpunkte, etwa die Musik Russlands oder Großbritanniens. Danach folgten Themenschwerpunkte wie "Macht - Musik", "Ins Licht" oder in diesem Jahr: "Ins Offene". DW-WORLD.DE sprach mit der Intendantin im Vorfeld des diesjährigen Beethovenfestes.

DW-WORLD.DE: Was bedeutet das Motto "Ins Offene - Utopie und Freiheit in der Musik"?

Ilona Schmiel: Zum einen ist "Ins Offene" tatsächlich kulturhistorisch begründet. Es entstammt einem Gedicht von Hölderlin: "Der Gang ins Offene, der Gang aufs Land", das er um 1800 geschrieben hat. Ausgehend von dieser Zeit versuchen wir, dieses utopische Potential der Musik zu erkunden. Utopie und Freiheit in der Musik bedeutet aber auch, dass wir uns gesellschaftliche Formen ansehen und dass wir gesellschaftliche Utopien untersuchen wie in zwei musikalischen Beispielen aus Südamerika.

Was unternehmen Sie, um neues Publikum zu gewinnen?

Bei uns werden zum Beispiel beim Public Viewing Tausende von Menschen drei Abende hintereinander Konzerte auf der Leinwand sehen können. Das ist ein Weg, in die Öffentlichkeit zu gehen. Ein anderer ist es, Künstler zu finden, die sich der Frage stellen, wie sie mit einem zukünftigen Publikum umgehen wollen. Wir haben zum Beispiel den britischen Geiger Daniel Hope, den wir in einer Straßenbahnhalle in Bonn mit einer deutschen Rockband zusammenbringen. Dieses Projekt wird von Schülermanagern geleitet. Ich habe eine Co-Intendantin an meiner Seite, die 16 Jahre alt ist. Wir nehmen die jungen Menschen an die Hand und zeigen ihnen, was in Abstimmung mit ihnen die Musik der Zukunft sein kann.

Beethoven hatte nicht so viel gute Erinnerungen an seine Geburtsstadt Bonn und an seine Jugendzeit dort. Was hätte er in diesem Jahr zum Festival gesagt?

Ich glaube, es hätte ihm gefallen, dass sich Topsolisten und Toporchester der Herausforderung stellen, seine Musik immer wieder neu zu interpretieren. Gefallen hätte ihm sicher auch, dass die zeitgenössische Musik eine große Rolle spielt, so wie es zu seiner Zeit üblich war.

Jose Antonio Abreu (Foto: AP)
Jose Antonio Abreu ist Schirmherr des Beethovenfestes 2010Bild: AP

Wie sieht das Netzwerk der Beethovenfeste aus? Pflegen Sie Austausch untereinander oder ist es eher eine Konkurrenzsituation?

Also es ist eher ein Netzwerk als eine Konkurrenzsituation. Wir pflegen zum Beispiel intensiven Kontakt mit dem Beethovenfest in Caracas. 2004 bin ich zum ersten Beethovenfest nach Venezuela gereist und habe unser Netzwerk zum "Sistema" und zu dessen Gründer Dr. José Antonio Abreu aufbauen können. Er hat dieses Jahr die Schirmherrschaft über das Beethovenfest 2010 übernommen.

Was zeichnet ihn aus?

Er hat vor 36 Jahren ein utopisches Szenario entwickelt und seinen Traum wahr werden lassen: Um Kindern aus den Armenvierteln der Stadt eine Alternative zum Leben auf der Straßen zu bieten, ließ er sie in Sozialprojekten in klassischer Musik ausbilden. Sein "Sistema des las Orquestas" ist inzwischen fester Bestandteil des venezolanischen Sozialsystems und betreut landesweit rund 350.000 Kinder.

Welche Musiker bringt Abreu mit nach Bonn?

Das "Teresa Carreño Youth Orchestra" wird mit 180 Nachwuchsmusikern im Alter von 12 bis 21 Jahren auf der Bühne stehen. Als es hieß, die Venezolaner kommen, haben wir im Büro Wetten abgeschlossen, wie schnell das Konzert ausverkauft sein wird, aber dass es so schnell ausverkauft war, dass hätte sogar ich nicht geahnt.

Roberto Tibiriçá, Leiter des Orquestra Sinfônica Heliópolis aus Brasilien Quelle: http://www.beethovenfest.de/downloads/1/
Roberto Tibiriçá, Leiter des Orquestra Sinfônica Heliópolis aus BrasilienBild: Tibirica

Gibt es noch ein anderes utopisches Musikprojekt aus Südamerika, das in Bonn auf der Bühne stehen wird?

Ja, unser Orchestercampus wird ein Projekt präsentieren, das aus Brasilien kommt. Es heißt Sinfônica Heliópolis und ist nach dem größten Stadtteil, die größte Favela in São Paulo benannt. Dort leben 150.000 Menschen, also quasi halb Bonn in einem Stadtteil. Und genau dort ist eine Musikschule entstanden, die Silvio Baccarelli, auch so ein Visionär wie Abreu, vor etlichen Jahrzehnten schon gegründet hat. Dieses Projekt haben wir jetzt das erste Mal überhaupt nach Europa geholt. Das ist wirklich eine gelungene Premiere, die wir zusammen mit der Deutschen Welle feiern können.

Welchen Vorteil hat Bonn als Standort für das Beethovenfest?

Sicherlich haben wir den riesigen Vorteil, dass Beethoven hier geboren wurde. Das ist einzigartig. Dennoch sage ich immer den vielen Politikern, die uns nicht gerade unterstützen, dass wir ein neues Festspielhaus brauchen. Die Qualität auf der Bühne und der innovative Geist verdienen einen Raum, der dazu passt - und nicht ein Gebäude das 50, 60 Jahre alt ist. Und das ist natürlich eine Utopie, an der ich festhalte.

Das Beethovenfest Bonn hat schon mit vielen Ländern Kulturaustausch betrieben. Wird es weitere länderübergreifende Kooperationen geben?

Beethoven spielt überall die große Rolle. Mit Brasilien ist ganz klar, dass es weitere Konzerte geben wird. Ich glaube, dass es der Bundesregierung gut anstehen würde, auf so ein Thema wie Musik zu setzen. Wir waren in den Medien in São Paulo viel erfolgreicher als unser Wirtschafts- oder Außenminister und das hat natürlich Gründe.

Das Gespräch führte Rick Fulker
Redaktion: Suzanne Cords/Gudrun Stegen