Huthi-Attacken stärken Machtanspruch der Miliz im Jemen
19. Januar 2024Die verschärfte Auseinandersetzung mit der US-geführten internationalen Marinekoalition im Roten Meer komme den Huthi-Milizen im Jemen in vielerlei Hinsicht entgegen, sagen Analysten. Die vom Iran unterstützten Rebellen würden die Eskalation sogar begrüßen.
"Die Huthi haben nach einer Gelegenheit für eine Konfrontation mit den Vereinigten Staaten gesucht, weil sie ihren Anhängern seit Jahren erzählen, dass sie sich im Krieg mit den USA wie auch mit Israel befänden", sagt Hisham Al-Omeisy. Der Jemen-Experte arbeitete derzeit beim European Institute of Peace in Brüssel. "Nun müssen sie diese Behauptung bestätigen. In gewisser Weise ist das jetzt eine goldene Gelegenheit für sie, die sie darum auch nutzen wollen."
Im Jemen herrscht seit 2014 Krieg. Damals nahmen die vom Iran unterstützten Huthi den Kampf gegen die von Saudi-Arabien unterstützte Regierung auf. Inzwischen ist der Jemen in mehrere Machtblöcke zerteilt. Die Huthi kontrollieren den Norden und Westen des Landes, einschließlich der Hauptstadt Sanaa und der Meerenge Bab al-Mandab.
Die Infrastruktur des Jemen ist weitgehend zerstört, die jahrelangen Kämpfe haben die Bevölkerung in eine der weltweit schlimmsten humanitären Krisen gestürzt.
Bereits seit einiger Zeit führen die Huthi mit Saudi-Arabien, das auf Seiten der international anerkannten Regierung lange mit Luftangriffen in den innerjemenitischen Machtkampf eingegriffen hatte, Gespräche über einen langfristigen Waffenstillstand. Noch in diesem Monat wird der US-Sondergesandte für den Jemen, Tim Lenderking, in Riad erwartet. Unter seiner Vermittlung sollen beiden Seiten ein Friedensabkommen aushandeln - so jedenfalls der bisherige Plan. "Die Huthi wollen die Saudis zwingen, sie als nationale Regierung des Jemen anzuerkennen. Dadurch hoffen sie, dass der Rest der Welt folgen und ihnen internationale Legitimität verleihen wird", sagt Hisham Al-Omeisy.
De-facto-Regierung ohne internationale Anerkennung
Bislang habe nur der Iran die Huthi als rechtmäßige Regierung des Jemen anerkannt, erklärt der Nahost-Analyst Thomas Juneau von der Universität Ottawa im Gespräch mit der DW. "Die Huthi sind die De-facto-Regierung im Nordwesten des Jemen. Sie wollen die internationale Gemeinschaft zwingen, sich mit ihnen zu befassen. Darum entführen sie Schiffe, feuern sie Raketen ab, verhandeln sie mit Saudi-Arabien und inszenieren sich als wichtiges Mitglied der vom Iran angeführten 'Achse des Widerstands' gegen die USA und Israel", so Juneau.
Die Angriffe der Huthi auf Frachtschiffe im Roten Meer haben die dortige, international sehr wichtige Handelsroute massiv gestört. Die Huthi sehen und rechtfertigen ihre Angriffe als eine Reaktion auf die israelische Kriegsführung im Gazastreifen.
Huthi erhalten viel Zuspruch
Und was sagt die Bevölkerung? "Die Angriffe der Huthi machen mir Angst, sie bedrohen unsere fragile Stabilität", sagt die 20 Jahre alte Manar S. aus Sanaa der DW. "Der Jemen hat seit neun Jahren keinen wirklichen Frieden und keine Stabilität mehr erlebt." Die Palästinenser sollten unterstützt werden, findet sie. "Allerdings nicht dadurch, dass der Jemen erneut geopfert wird."
Auch die Jemenitin Um A. findet es richtig, die Palästinenser "auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen." Das aber solle auf eine Weise geschehen, die dem Land nicht schade.
Insgesamt jedoch erscheint das Stimmungsbild eindeutig. "Die Öffentlichkeit steht weitgehend hinter den Huthi, denn die Jemeniten unterstützen die Anliegen der Palästinenser leidenschaftlich", sagt Abdulghani al-Iryani, leitender Forscher am jemenitischen Think Tank Sanaa Center for Strategic Studies, der DW.
In den letzten Wochen habe sich die Wahrnehmung der Huthi im Jemen verändert, so Al-Iryani. "Nachdem die Huthi für ihren harten Umgang mit der Bevölkerung, die von ihnen praktizierte Korruption, Unterdrückung und Ideologie jahrelang verhasst waren, haben sie nun breite Unterstützung in der Bevölkerung gewonnen", so al-Iryani gegenüber der DW. "Die Huthi haben die Konfrontation an dem Tag gewonnen, an dem sie die erste Rakete abfeuerten."
Militärischer Sieg kein vorrangiges Ziel
Auch Mohammed al-Iriani, Forschungsanalyst am Yemen Policy Center, ist der Ansicht, die aktuelle Dynamik werde nicht vom militärischen Kräfteverhältnis bestimmt. Bislang, fügt er hinzu, habe schließlich auch die US-geführte Marinekoalition keinen militärischen Sieg über die Huthi errungen.
"Dies gibt den Huthi Spielraum für weitere Provokationen", so Al-Iryani. "Ihre Strategie gründet offenbar auf der Annahme, die USA seien derzeit so sehr mit den kommenden Wahlen beschäftigt, dass sie nur begrenzt in der Lage seien, wirksam zu reagieren."
Zudem sei der Konflikt für die Huthi offenbar recht kostengünstig zu führen. Ein Drohnenangriff koste sie umgerechnet rund 1100 Euro. Ihre Schnellboote bauten sie vor Ort, so Experte Hisham Al-Omeisy. Für die US-geführte Allianz hingegen seien die Kosten mit knapp 1,4 Millionen Euro pro Bombe deutlich höher.
Wende nur durch eine Bodenoffensive?
Eine entscheidende Wendung in der Auseinandersetzung könne derzeit nur eine Bodenoffensive bringen, so Al-Omeisy. Allerdings würde ein solcher Kampf der Huthi gegen die übermächtigen USA das Ansehen der Huthi nicht nur im Jemen, sondern auch in der gesamten Region weiter stärken, warnt er: "Wir haben in den letzten Wochen beobachtet, dass sogar Gegner der Huthi mit diesen sympathisieren." Zudem hätten die Huthi den Krieg in Gaza genutzt, um eine massive Rekrutierungskampagne zu starten.
"Man darf nicht vergessen, dass 80 Prozent der Bevölkerung im Jemen auf Hilfe angewiesen sind. Viele Menschen sind verarmt. Wenn die derzeitige Situation ihnen die Möglichkeit bietet, durch eine Anstellung in der Armee oder bei einer der anderen Gruppierungen etwas Geld zu verdienen, werden sie diese nutzen", sagt Al-Omeisy der DW.
"Die Jemeniten wollen keinen Krieg. Aber wenn er ihnen aufgezwungen wird, sind sie ziemlich gute Kämpfer", meint der Experte des Brüsseler European Institute of Peace. "Das haben sie in den letzten acht Jahren bewiesen."
Mitarbeit: Safia Mahdi, Jemen.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.