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Hungern im Mutterleib erhöht das Diabetes-Risiko

4. September 2024

Hunger und Mangelernährung können immer bleibende Schäden hinterlassen. Die langfristigen Folgen sind jedoch besonders gravierend, wenn ein noch ungeborenes Kind nicht genügend Nährstoffe bekommt.

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Fötus
Das erste Drittel der Schwangerschaft ist besonders heikel - schädliche Umwelteinflusse können den Fötus dauerhaft schädigenBild: Peter Endig/dpa/picture alliance

Ein Baby im Mutterleib ist vor schädlichen Einflüssen von außen geschützt - davon gingen Mediziner und werdende Eltern lange aus. Schwangere rauchten, tranken Alkohol und bekamen Medikamente verschrieben. Spätestens der sogenannte Contergan-Skandal in den frühen 1960er Jahren entlarvte diese Annahme als grundlegend falsch. Der in dem Beruhigungsmittel Contergan enthaltene Wirkstoff Thalidomid führte vielfach zu Fehlbildungen bei Babys, deren Mütter das Medikament in den frühen Schwangerschaftsmonaten eingenommen hatten.

Auch Alkohol, Tabak und andere Drogen können die Entwicklung eines ungeborenen Kindes stören und zu massiven Fehlbildungen führen. Hunger und Mangelernährung während der Schwangerschaft spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle für die gesunde Entwicklung des Ungeborenen: das Risiko langfristiger gesundheitlicher Folgen für Kinder ist besonders hoch, darauf deuten  Untersuchungen hin, wenn Nährstoffe während des ersten Schwangerschaftsdrittels fehlen.

Eine aktuelle Forschungsarbeit hat sich mit den Folgen des sogenannten Holodomors befasst - einer extremen Hungersnot in der Ukraine in den frühen 1930er Jahren. Das Ergebnis: Ungeborene, deren Mutter während der Schwangerschaft extremen Hunger gelitten hat, hatten im späteren Erwachsenenalter ein vielfach höheres Risiko, an Diabetes zu erkranken.

Doch nicht nur das Diabetes-Risiko steigt: Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie eingeschränktes Hör- und Sehvermögen können die Folgen im späteren Leben eines Kindes sein, das bereits im Mutterleib mangelernährt war.

Fetale Programmierung: Die Barker-Hypothese

Der britische Mediziner und Epidemiologe David Barker war einer der ersten Vertreter der Hypothese, dass die Grundlage für Krankheiten bereits in der frühen Entwicklung des Fötus gelegt wird. Auf dieser Annahme basiert die sogenannte "Barker-Hypothese": Der Fötus im Mutterleib ist nicht von der Umwelt abgeschirmt - im Gegenteil.

Gerade die Frühschwangerschaft ist eine sensible Phase: Es entwickeln sich Herz, Gehirn, Stoffwechsel und Gliedmaßen des Fötus. Hormone, Nährstoffe und Stoffwechselprodukte liefern dem ungeborenen Kind über die Plazenta und den Kreislauf der Mutter Informationen über die Welt, in die es geboren werden soll. 

"Wenn die Botschaft ist, dass wir in Zeiten von Nahrungsknappheit leben, kommt es zu Anpassungen des kindlichen Stoffwechsels. In Vorbereitung auf das, was dieses Kind erwartet", erklärt Martin Klingenspor die Barker-Hypothese weiter. Er ist Biologe und Professor für Molekulare Ernährungsmedizin am Else Kröner Fresenius Zentrum für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München (TUM). 

"Evolutionsbiologisch könnte diese Anpassung ein Vorteil gewesen sein", sagt Klingenspor. Sie wird allerdings dann zum Problem, wenn die Hungerzeit vorüber ist und plötzlich ein Überfluss an Nahrung herrscht. Untersuchungen zum sogenannten "Dutch Hunger Winter" während des Zweiten Weltkrieges zeigen einen Zusammenhang zwischen Mangelernährung der Mutter und verschiedenen Erkrankungen im späteren Leben des Kindes. Neben Diabetes gehören dazu auch Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie ein eingeschränktes Hör- und Sehvermögen.

Mögliche epigenetische Anpassung an Nahrungssituation

Ein möglicher Mechanismus, der hinter der Umprogrammierung und damit Anpassung des Stoffwechsels stehen könnte, sei eine epigenetische Veränderungen der DNA, so Klingenspor. "Epigenetisch heißt, dass unsere Chromosomen biochemisch verändert werden, in Reaktion auf Umweltsignale." Auf diese Weise können Umwelteinflüsse die Aktivität von Genen regulieren und so den Stoffwechsel verändern. 

"Tierstudien zeigen, dass sich epigenetische Veränderungen auch auf die Nachkommen übertragen", sagt Klingenspor. Das könnte auch eine weitere Erklärung für eine andere Form der Mangelernährung sein: Übergewicht und Adipositas. "Mütter, die während der Schwangerschaft schon übergewichtig oder fettleibig sind, bringen Kinder zur Welt, die ein höheres Risiko haben, ebenfalls fettleibig zu werden", sagt Klingenspor. Untersuchungen hätten allerdings auch gezeigt, dass Frauen, die ihr Übergewicht vor der nächsten Schwangerschaft reduzieren können, damit das Gesundheitsrisiko für ihre weiteren Kinder senken. 

Quellen:
Science: Fetal exposure to the Ukraine famine of 1932–1933 and adult type 2 diabetes mellitus, 2024
Population and Development Review: Windows of Vulnerability: Consequences of Exposure Timing during the Dutch Hunger Winter, 2022

Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.