Rückschlag bei Millenniumszielen
3. Mai 2012Hunger und Unterernährung sind nicht nur die Folge von Armut, sondern auch ihre wichtigsten Ursachen. Zu diesem Fazit kommt der Global Monitoring Report 2012, den Weltbank und Internationaler Währungsfond herausgegeben haben. Der Bericht misst in jedem Jahr, wie es um die Umsetzung der insgesamt acht Millenniumsziele bestellt ist, die die Vereinten Nationen im Jahr 2000 beschlossen hatten - mit dem obersten Ziel, die Armut bis zum Jahr 2015 weltweit zu halbieren. Die Erkenntnis im Jahr 2012: Nahrungskrise und globale Preissteigerung bei Lebensmitteln haben Erfolge bei der Armutsbekämpfung an manchen Stellen wieder rückgängig gemacht.
Die globalen Nahrungsmittelpreise waren bereits 2007 und 2008 drastisch angestiegen und erreichten im vergangenen Jahr ein erneutes Hoch. Darunter leiden zuallererst die Armen, die immer weniger Geld für Lebensmittel zur Verfügung haben und deshalb nicht nur zu weniger, sondern auch zu schlechterer Nahrung greifen. All das wirkt sich verheerend auf Kleinkinder aus, denn, so Jos Verbeek, Weltbankvertreter und federführender Autor des Global Monitoring Reports 2012: "Die ersten 1000 Tage sind extrem wichtig für die geistige Entwicklung eines Kindes. Und wenn diese in den ersten 1000 Tagen nicht gewährleistet ist, dann ist das Kind für sein Leben lang benachteiligt."
Ein unterernährtes Kind wird Statistiken zufolge etwa sieben Monate später als üblich eingeschult und hat im Laufe seines Lebens in der Regel auch weniger Einkommen - nämlich bis zu 17 Prozent weniger im Vergleich zu einem gut ernährten Kind. Unterernährung ist zu einem Drittel auch die Ursache für Kindersterblichkeit bei Unter-Fünfjährigen. Auch schwangere Frauen und junge Mütter sind von schlechter Ernährung besonders bedroht.
Armut ist in den Städten besonders dramatisch
Hohe Lebensmittelpreise beeinträchtigen allen voran städtische Haushalte, die in der Regel keinen eigenen Nahrungsanbau haben, sowie allein von Frauen geführte Haushalte, weil die sich zumeist in Städten befinden. Die Schätzung des Reports von Weltbank und Internationalem Währungsfond: 105 Millionen Menschen gelang es durch die Preissteigerungen 2007/08 nicht, der Armut zu entkommen. Weitere 48 Millionen werden durch den erneuten Anstieg 2010/11 in Armut gehalten.
Für diese besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppen müssen in den Entwicklungs- und Schwellenländern selbst soziale Schutzprogramme eingerichtet werden, um sie besser gegen die extremen Schwankungen der globalen Wirtschaft zu wappnen, so Verbeek. Als Beispiel nennt er Brasilien und Mexiko, wo die Regierungen mit derlei Schutzprogrammen bereits erfolgreich waren. "Andere Länder haben gar nichts in dieser Richtung", so Verbeek. "Doch es ist wichtig, dass sie solche Programme so schnell wie möglich einrichten."
Das allerdings wird nicht ohne die Hilfe der internationalen Gemeinschaft möglich sein. Doch die hat das Thema Ernährungssicherheit bislang viel zu wenig im Blick, wie im Global Monitoring Report kritisiert wird. Nur zehn Prozent der gesamten Entwicklungshilfegelder fließen derzeit in die Bereiche Ernährung und Landwirtschaft, gar nur drei Prozent in die Grundversorgung mit Lebensmitteln. Das muss sich ändern, fordert auch Natalia Alonso, Leiterin des EU-Büros von Oxfam International. Außerdem müsse die internationale Gemeinschaft den Entwicklungsländern dabei helfen, ihre eigenen Steuersysteme zu stärken und Steuerflucht einzudämmen.
Globale Handelsliberalisierung gefordert
Der Global Monitoring Report schlägt darüber hinaus öffentliche Interventionen, wie etwa Rückkaufoptionen auf Nahrungsmittel vor, so genannte REPOs (repurse options). Nach diesem Modell schließt eine Regierung mit lokalen Farmern ein Abkommen, im Falle einer Lebensmittelverknappung zu einem festgelegten Preis und Datum zum Beispiel Korn oder Mais zu kaufen. Die Farmer erhalten außerdem eine Prämie dafür, dass sie die Vorräte über mehrere Monate hinweg lagern. Wird der Vorrat schließlich im Land doch nicht benötigt, so kann ein Farmer ihn zum dann gültigen Weltmarktpreis exportieren.
Außerdem setzen die Autoren des Reports auf globale Handelsliberalisierung. Nur wenn die heimischen Märkte nicht vom globalen Markt abgeschottet würden, sei Ernährungssicherung langfristig möglich, so das Argument. Damit jedoch Lebensmittelimporte nicht auch noch die heimische Landwirtschaft beeinträchtigen, sollten die Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation wieder in Gang kommen, meint Brad McDonald vom Internationalen Währungsfonds. Denn was dort inzwischen an Angeboten auf dem Tisch liege, sei für die Entwicklungsländer durchaus fair. McDonald: "Zum Beispiel könnte man die Agrarsubventionen, die von manchen reichen Ländern gezahlt werden und die tatsächlich die globalen Lebensmittelpreise durcheinander bringen und damit Bauern in den Entwicklungsländern bedrohen, besser regulieren, wenn die Doha Entwicklungsrunde abgeschlossen würde."
Der Markt braucht Regeln
Dagegen warnt Natalia Alonso von Oxfam davor, in Handel und Wettbewerb allein ein "magisches Instrument" zur Bekämpfung von Preisschwankungen und Nahrungsmittelknappheit zu sehen. Denn auch Farmer und Händler seien nun mal in erster Linie an Gewinnen orientiert. Alonso: "Der Markt selbst sorgt nicht dafür, dass alle zu Essen haben. Wir brauchen Interventionen seitens der Regierungen, damit sie vorhandenes Potenzial stärken." So werde derzeit in Afrika südlich der Sahara nur rund ein Viertel des Potenzials genutzt, das die dortigen Kleinbauern eigentlich haben. "Doch um ihre Erträge steigern zu können, brauchen diese Farmer Zugang zu Märkten, zu Infrastruktur und Dienstleistungen", so Alonso. "Und deshalb müssen wir mehr in die kleinbäuerliche Landwirtschaft investieren."
Immerhin räumt man auch beim Internationalen Währungsfonds ein, dass zumindest eine gewisse Trendwende geboten ist. So seien Wachstum und makroökonomische Entwicklung zwar immer noch wichtig zur Bekämpfung von Armut und Hunger, doch Wachstum müsse begleitet werden durch gezieltes Eingreifen gegen Rezession. "Wir können nicht nur dafür sorgen, dass es auf mittlere Sicht starkes Wachstum gibt", sagt Brad McDonald vom IWF, "sondern wir müssen auch lernen, wie wir Schwankungen angehen und sie managen."