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"Humanitäre Intervention" und "Kollateralschäden"

23. März 2004

- Ursachen und Verlauf der NATO-Angriffe auf Jugoslawien 1999

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Bonn, 22.3.2004, DW-RADIO, Klaus Dahmann

"Humanitäre Intervention" - so bezeichnete die NATO die Luftangriffe auf Jugoslawien, die am 24. März 1999 begannen. Mit den Bombardierungen sollte Präsident Slobodan Milosevic zur Einstellung der Militär- und Polizei-Aktionen gegen albanische Zivilisten im Kosovo gezwungen werden. An die Hintergründe und den Verlauf der Angriffe erinnert Klaus Dahmann.

Der amerikanische Präsident Bill Clinton verkündete am 24. März 1999, dass im Kosovo-Konflikt die diplomatischen Mittel erschöpft seien:

"Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten und ihrer NATO-Partner haben mit Luftangriffen auf Militär-Ziele in Ex-Jugoslawien begonnen."

Kosovo - 10 Jahre zuvor: Slobodan Milosevic hatte die Autonomie der südserbischen Provinz abgeschafft, die Kosovo-Albaner begannen, eine Art Untergrund-Staat aufzubauen. Eigenmächtig organisierten sie Parlaments-Wahlen und ein Referendum, bei dem 99 Prozent für die Unabhängigkeit des Kosovo stimmten. Während der Kriege in Kroatien und Bosnien herrschte jedoch gespannte Ruhe in und um Prishtina.

Es war die Ruhe vor dem Sturm: 1996 machte die selbsternannte kosovarische Befreiungsarmee UCK erstmals Schlagzeilen mit Anschlägen auf serbische Polizei-Stationen. Zwei Jahre später brachen offene Kämpfe aus. Die internationale Balkan-Kontaktgruppe versuchte zu vermitteln, die Vereinten Nationen erließen Resolutionen. Doch all das konnte die Spirale der Gewalt nicht stoppen. Ebenso wenig die OSZE-Beobachter, die in die Unruhe-Provinz entsandt wurden. Die Gefechte gingen weiter. Tausende kosovarische Zivilisten waren auf der Flucht und berichteten von ethnischen Säuberungen und Massakern.

Die letzte Hoffnung: eine Konferenz mit serbischen und kosovarischen Vertretern im Februar 1999 im französischen Rambouillet. Doch die Konferenz endete ergebnislos, auch die Gespräche im Anschluss in Paris. Slobodan Milosevic war zu keinem Kompromiss bereit, der die Kämpfe beendet und dem Kosovo mehr Autonomie eingeräumt hätte.

Am 24. März starteten die ersten NATO-Bomber zu Luftangriffen auf Ziele in Jugoslawien. Aktiv an den Bombardierungen beteiligt: deutsche Kampfflugzeuge vom Typ Tornado - der erste Kampfeinsatz in der Geschichte der Bundeswehr begann. Ein Tabu-Bruch, umso mehr, weil die NATO ohne ausdrückliches Mandat der Vereinten Nationen agierte. Der Druck von der Basis der Regierungsparteien SPD und Bündnis90/Grüne und aus der Bevölkerung war Bundeskanzler Gerhard Schröder anzumerken, als er den Beginn der Angriffe verkündete: "Wir führen keinen Krieg. Aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen." Belgrad setzte eine massenhafte Vertreibung von Kosovo-Albanern in Gang. Die Flüchtlings-Ströme in Richtung Albanien und Mazedonien schwollen auf Hunderttausende von Menschen an. NATO-Strategen hofften weiter, dass es eine kurze Militär-Operation würde: Zwei, drei Wochen Bombardement - dann würde Milosevic schon einlenken, wie zuvor in Bosnien. Doch Milosevic spielte auf Zeit: Er hoffte seinerseits, dass die Regierungen der NATO-Länder, je länger der Krieg dauerte, irgendwann wegen des wachsenden Protests in den NATO-Ländern aufgeben müssten.

Doch die NATO-Angriffe gingen weiter - trotz verheerender Fehlschläge: Eine Bombe traf einen albanischen Flüchtlings-Konvoi, eine andere zerstörte die chinesische Botschaft in Belgrad. Im NATO-Jargon wurden die versehentliche Tötung von Zivilisten und Zerstörung von Gebäuden verharmlosend als "Kollateralschäden" bezeichnet. Den Militärs gingen die Ziele aus, zahlreiche Gebäude wurden mehrfach unter Beschuss genommen. Einige Staaten in der NATO schlossen nicht mehr aus, mit Bodentruppen einzumarschieren - für die deutsche Regierung ein heikler Punkt, sagt Kosovo-Experte Rafael Biermann: "Das zentrale Ziel aus Sicht der Bundesregierung war, eine Bodenoperation zu verhindern. Das musste es sein, weil eine Bodenoperation zum Zersprengen der rot-grünen Koalition geführt hätte."

Ende Mai kamen aus Belgrad erste Zeichen, dass Milosevic zum Einlenken bereit sei. Am 10. Juni war es dann soweit: Nach fast 80 Tagen mit mehr als 37 000 Bomber-Einsätzen verkündete NATO-Generalsekretär Javier Solana: "Vor wenigen Minuten habe ich General Wesley Clark angewiesen, die Luftangriffe auf Jugoslawien einzustellen." (fp)