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Hoffnung für Julian Assange

Marcel Fürstenau Mitarbeit: Matthias von Hein
2. Juli 2021

Ein Kronzeuge der Anklage gegen den inhaftierten Wikileaks-Gründer widerruft seine Aussage und Abgeordnete fast aller Parteien appellieren an US-Präsident Joe Biden - aber auch an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

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London Anhänger von Assange jubeln
Unterstützer von Wikileaks-Gründer Julian Assange fordern am 4. Januar 2021 in London seine FreilassungBild: Henry Nicholls/REUTERS

Er ist der berühmteste Journalist, der in einem westlichen Gefängnis sitzt: Julian Assange. Seit April 2019 ist er in London inhaftiert. Die USA verlangen seine Auslieferung – wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente über die Militär-Einsätze im Irak und in Afghanistan. Das von der Whistleblowerin Chelsea Manning zugespielte Material, darunter Videos über mutmaßliche Kriegsverbrechen, hatte Assange 2010 auf seiner Enthüllungsplattform Wikileaks ins Internet gestellt.

Hauptvorwurf der unter US-Präsident Donald Trump verfassten Anklage: Offenlegung und Gefährdung von Geheimdienstquellen. Theoretische Höchststrafe: 175 Jahre. Im Januar 2021 lehnte ein Londoner Gericht die Auslieferung Assanges unter anderem mit der Begründung ab, es bestehe Suizidgefahr. Wobei die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nach Einschätzung des UN-Sonderberichterstatters über Folter, Nils Melzer, auch Folge der Haftbedingungen in Großbritannien ist.

Eine Freilassung auf Kaution lehnte das Gericht jedoch ab – wegen angeblicher Fluchtgefahr. Doch nun gibt es einen Hoffnungsschimmer für Assange, denn ein gleichermaßen wichtiger wie zwielichtiger Zeuge der Anklage hat nach einem Bericht der isländischen Zeitung "Stundin" seine gegen den Wikileaks-Gründer erhobenen Vorwürfe widerrufen. Sigurdur Ingi Thordarson hatte ursprünglich behauptet, von Assange zum Ausspionieren von Politikern und dem Hacken von Computern aufgefordert worden zu sein.

Anschuldigungen gegen Assange "konstruiert und haltlos"

Diese Aussagen nahm der in kriminelle Machenschaften verwickelte Isländer jetzt zurück. Sie seien frei erfunden, er habe sie gegen die Zusicherung von Straffreiheit von Seiten des US-Justizministeriums und des Federal Bureau of Investigation (FBI) gemacht. Das FBI ist die zentrale Strafverfolgungsbehörde der amerikanischen Regierung und zugleich Inlandsgeheimdienst.   

Deutsche Bundestagsabgeordnete, die sich schon lange für Assange einsetzen, fühlen sich durch diese überraschende Kehrtwende bestätigt: "Die jüngsten Enthüllungen über erfundene Hacking-Vorwürfe eines mit dem FBI kooperierenden Kronzeugen zeigen einmal mehr, dass die Anschuldigungen gegen den Journalisten Julian Assange konstruiert und haltlos sind", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Parlamentariern aller im Bundestag vertretenen Fraktionen mit Ausnahme der Alternative für Deutschland (AfD). 

Wikileaks-Gründer in Isolationshaft

Die Mitglieder der Abgeordneten-Arbeitsgemeinschaft "Freiheit für Julian Assange" appellieren an US-Präsident Joe Biden, das unter der Vorgängerregierung von Donald Trump begonnene Auslieferungsverfahren "ein für alle Mal zu beenden und die Verfolgung des Wikileaks-Gründers zu stoppen". Julian Assange sitze seit mehr als zwei Jahren unter "folterähnlichen Bedingungen" im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Dort müsse er trotz kritischem Gesundheitszustand in Isolationshaft am 3. Juli seinen 50. Geburtstag verbringen.

Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange gefordert
Prominente Unterstützung für Julian Assange im Februar 2020: Linken-Politikerin Sevim Dağdelen, Investigativjournalist Günter Wallraff und der ehemalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (v.l.n.r.)Bild: picture-alliance/AA/A. Hosbas

Zugleich fordert die fraktionsübergreifende Initiative Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich beim bevorstehenden Besuch von US-Präsident Biden in Washington "mit Nachdruck" für ein Ende der Verfolgung von Julian Assange einzusetzen und auf die Achtung von Presse- und Meinungsfreiheit zu pochen. "Erst recht, nachdem wichtige Teile der Vorwürfe, auf die sich die US-Anklageschrift stützt, sich als offensichtlich erfunden entpuppten", betont die Linken-Politikerin Sevim Dağdelen.

"Rechtsstaatlicher und humanitärer Skandal"

Freidemokrat Djir-Sarai kritisiert, die abgelehnte Freilassung von Assange auf Kaution sei "angesichts der schlimmen Haftbedingungen ein rechtsstaatlicher und humanitärer Skandal". Die US-Regierung von Präsident Biden solle die Chance nutzen, "die Trump-Ära auch in diesem Punkt gänzlich hinter sich zu lassen", ergänzt Christdemokrat Frank Heinrich. Der Umgang mit Assange sei in keiner Weise mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu vereinbaren, sagt Sozialdemokrat Frank Schwabe. Das "Schauspiel" müsse wegen der schlechten gesundheitlichen Verfassung des Wikileaks-Gründers umgehend beendet werden.

Die Grünen-Abgeordnete Margit Stumpp fasst den Appell zusammen: Wenn die USA und die westliche Staatengemeinschaft glaubhaft für den Schutz von Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit einstehen wollten, müssten sie aufhören, an Assange ein Exempel für die Verfolgung unliebsamer Journalisten zu statuieren. Die Kriminalisierung von investigativem Journalismus, der im Fall von Wikileaks grausame Kriegsverbrechen, Folter und Korruptionsskandale zu Tage gebracht habe, "schwächt nicht nur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern untergräbt zudem das Vertrauen der Menschen in die öffentlichen Institutionen".

Hochzeit im Gefängnis?

Auch "Reporter ohne Grenzen" (ROG) appelliert erneut an die Politik: "Julian Assanges 50. Geburtstag muss der letzte sein, den er hinter Gittern verbringt. Es ist längst überfällig, dass er freigelassen wird und dass die USA die Anklage gegen ihn fallenlassen", sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr auf DW-Anfrage. "Es wäre ein starkes Zeichen für die Pressefreiheit weltweit und eine starke humanitäre Geste, wenn Bundeskanzlerin Merkel sich beim Treffen mit US-Präsident Biden für Assange einsetzen würde." Der jüngst in der isländischen Zeitung "Stundin" erschienene Artikel werfe neue Fragen zur Substanz der US-Anklage auf. "Die USA können und dürfen nicht länger daran festhalten."

In Großbritannien geht der Protest ebenfalls weiter. Am Donnerstag fuhr ein Boot die Themse entlang, um in Sichtweite des Londoner Parlaments und der US-Botschaft für die Freilassung von Assange zu protestieren. An Bord war auch seine Verlobte und Mutter der gemeinsamen Kinder, Stella Moris. Die beiden wollen so bald wie möglich heiraten. Am liebsten in Freiheit, notfalls aber auch im Gefängnis.  

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland