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Hochprozentige EU-Politik

Bernd Riegert, Brüssel14. Juli 2004

Wen interessieren schon Stabilitätspakt, Kommissionspräsident oder finanzielle Vorschau? Die echten europäischen Themen sind ganz andere: Diese Woche hat die EU-Kommission ihr Herz für schwedische Schnapsnasen entdeckt.

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Die Brüsseler Behörde hat Schweden vor dem Europäischen Gerichthof verklagt, weil die Stockholmer Regierung ihren Bürgern die freie Einfuhr von alkoholischen Getränken nach wie vor verwehrt. Nach europäischem Recht darf jeder Schwede von jeder Shoppingtour im Ausland 10 Liter Schnaps, 20 Liter Likör, 90 Liter Wein und 110 Liter Bier mitbringen.

Der Alkoholtourismus nach Finnland, Dänemark und in die am 1. Mai beigetretenen Wodka-Paradiese im Baltikum floriert, denn in Schweden ist Hochprozentiges durch exzessive Steuern sündhaft teuer, etwa doppelt so viel wie in Deutschland.


Alkohol am Körper tragen

Die Einfuhr der alkoholischen Getränke koppelt Schweden allerdings an die Auflage, dass der Käufer den Fusel auch selbst "körperlich" transportieren muss. Dagegen will die EU-Kommission jetzt vorgehen. Sie glaubt, Schnapskäufe per Internet, Kurier oder Paketversand sind zulässig und müssen über die Grenze gelassen werden. Der schwedische Staat hält dagegen, die Vorstellungen der Kommission würden hemmungslosen Alkoholmissbrauch weiter fördern und der Volksgesundheit schaden.

Genauso schwer wiegt die Sorge, das staatliche Handels- und Herstellungsmonopol für Alkohol könnte unterlaufen werden. Außer dünnem Bier kann man in einem schwedischen Supermarkt nur alkoholfreie Getränke kaufen. Alles andere gibt es nur gegen viele Kronen beim staatlichen "Systembolaget". Diese Monopolkette und vor allem der ebenfalls staatliche Getränkehersteller "Vin und Sprit" spülen viel Geld in die schwedische Staatskasse.


Steigender Konsum

Seit Dänemark und Finnland die Steuern auf Alkohol gesenkt haben und Estland von schwedischen Touristen vermehrt angesteuert wird, klagen die staatlichen schwedischen Läden und die Kneipen in Grenznähe über Umsatzeinbrüche. Alkoholforscher in Schweden schlagen mittlerweile Alarm. Der Pro-Kopf-Verbrauch habe seit dem Beitritt zur EU 1995 um ein Viertel zugenommen.


Schwedische Unterhändler waren deshalb extra nach Brüssel gereist, um dafür zu werben, auch den Rest Europas auf den eher abstinenten Pfad zu bringen. Ohne Erfolg. Die französischen EU-Beamten genehmigen sich zur Mittagspause gerne einen kleinen Rotwein. Ihre deutsche Kollegen verzichten nicht auf das Feierabendbier.

"Vin und Sprit" mit Umsatzplus

Ein EU-Beamter meinte nach dem Gespräch mit den schwedischen Gesandten gar, so ernst kann der Staat sein Bemühen um ein trockenes Europa gar nicht meinen. Denn der staatliche Spritkonzern "Vin und Sprit" verdient sehr gut im Export und zählt sich zur Liga der weltgrößten Alkoholhersteller. 60 Millionen Euro Reingewinn rannen durch durstige Kehlen in die schwedische Staatskasse.


Um den "Saufreisen" ins Ausland ein wenig den Reiz zu nehmen, hat sich Schweden entschlossen, seine hohen Alkoholsteuern zu senken. Es bleibt aber nach wie vor einsam an der europäischen Spitze. Die nordischen Länder wollen jetzt zusammen mit den Niederlanden versuchen innerhalb der EU eine Mindeststeuer für Bier, Wein und Schnaps durchzusetzen. Denn manche Mitgliedsländer erheben überhaupt keine Abgaben.


Nun müssen die Richter in Luxemburg darüber entscheiden, ob staatlich reguliertes "Saufen" in Schweden mit Artikel 28 des Vertrages über den Binnenmarkt zu vereinbaren ist. Erst vor ein paar Tagen urteilten sie, dass das Werbeverbot für Alkohol im Fernsehen und im Kino in Frankreich rechtens ist: aus Gründen der Volksgesundheit und Vorbeugung. Ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Antialkoholiker in Schweden.