Hochfinanz und Journalismus: Martin Suter
21. März 2015Der Schweizer Erfolgsautor Martin Suter schickt seinen Helden Jonas Brand im neuen Roman "Montecristo" auf eine aufregende Reise. Der wenig erfolgreiche Journalist gerät nach klassischer Thrillermanier in eine Spirale aus Mord und Finanzschwindel, aus Verschwörungstheorien und globalisiertem Verbrechen. Und wie immer bei diesem Autor gerät der Leser in einen Sog, dem er sich kaum entziehen kann. Suter schreibt unterhaltsam, baut aber auch Widerhaken ein. Hinter der unterhaltenden Oberfläche stößt man auf kritische Anmerkungen. Die betreffen diesmal insbesondere die Themen Finanzwelt und Journalismus. Die Deutsche Welle traf Martin Suter am Rande des Kölner Lesefestes "lit.COLOGNE" zu einem Gespräch.
Deutsche Welle: Herr Suter, wir sprechen an dem Tag, an dem es in Frankfurt bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank zu schweren Krawallen kommt. Das Thema Hochfinanz spielt auch in Ihrem Buch eine Hauptrolle. Was hat Sie an dem Thema so fasziniert?
Martin Suter: Ich hab nicht nach einem Thema gesucht, so gehe ich nie vor. Ich habe nach einer Geschichte gesucht - und in dieser Geschichte sollte durch einen sehr unwahrscheinlichen Zufall eine große Sache aufgerollt werden. Es musste um sehr viel, um sehr viel Materielles gehen. Dann kommt man schnell zur Finanzwirtschaft, wenn man viel Geld und große Verluste sucht.
Wie würden Sie Ihren Protagonisten, den Journalisten Jonas Brand, beschreiben? Wie sieht sein Verhältnis zur Hochfinanz aus?
Er hat kein Verhältnis dazu. Er möchte eigentlich Filmregisseur werden. Er träumt von einem großen Filmprojekt mit dem Arbeitstitel "Montecristo". Er stößt dann aber zufällig auf diese Finanzsache, weil er an zwei Einhundert-Frankenscheine gerät, die beide die gleiche Seriennummer haben.
Der Wert des Geldes
In Ihrem Roman spielen, ganz haptisch, Banknoten aus Papier ja noch eine Hauptrolle. Das scheint ja fast anachronistisch, in Zeiten von Bankgeschäften, die fast nur noch digital auf Computern ablaufen…
Natürlich sind diese gigantischen Beträge, von denen wir jeden Tag in den Zeitungen lesen, nur Zahlen auf Bildschirmen. Aber ich habe auch immer wieder gesehen, wenn es darum geht, Banken vor einem sogenannten 'Bank-Run' zu retten, also der Situation, dass die Kunden die Schalter stürmen, um ihr Geld zu sichern, dass dann immer noch mit diesen sehr symbolkräftigen Banknoten gearbeitet wird.
Die Banken in Griechenland achten sehr darauf, dass die Geldautomaten immer schön gefüllt sind, weil sie Angst haben, dass das sonst eine Panik auslösen könnte. Ich habe von einer chinesischen Bank, die sich in der Krise befand, gelesen und das auch auf Bildern gesehen, die hat hinter die Scheiben ihrer Bankfilialen riesige Stapel mit Banknoten gelegt. Einfach, weil das das psychologische Mittel war, die Kunden zu beruhigen. Auch in meiner Geschichte beugen die Banken einem sogenannten 'Bank-Run' vor. Sie bereiten sich darauf vor: Sie wollen genug Cash haben, um so etwas abzuwenden.
"Die EZB macht nichts anderes als Geld zu drucken"
Haben Sie den Eindruck, dass die riesigen Summen, von denen man liest, überhaupt noch irgendetwas mit der Wirklichkeit zu tun haben? Ist das noch deckungsgleich?
Ja. Sie sehen das ja an der Bank, die gerade mit viel Protest und Aufwand eröffnet wird, die EZB, die macht jetzt ja nichts anderes als Geld zu drucken. Ich glaube schon, dass das noch deckungsgleich im Sinne von "gedeckt durch andere Werte" ist. Es ist zwar nicht mehr die Golddeckung. Aber 100 Euro sind immer noch 100 Euro und man kriegt dafür etwas im Wert von 100 Euro.
Wie würden Sie ihren Helden, Jonas Brand, der also per Zufall in diese Finanzbranche gerät, charakterisieren?
Er ist ein Typ, wie es viele gibt. Leute, die einen Traum und einen Traumberuf haben, den aber nicht ausüben können und in einem anderen zwischengelandet sind. Und er macht den Fehler, den viele machen bei diesen Zwischenlandungen. Er übt seinen Beruf, den des Videojournalisten, widerwillig aus und ist dadurch auch nicht besonders gut.
Journalismus im Wandel
Ihr Roman "Montecristo" ist ja nicht nur ein Roman über die Hochfinanz, er ist auch ein Buch, das das Thema "Journalismus" behandelt. Es ist ja auch ein kritischer Blick auf den Journalismus, weil Sie - wohl nicht zufällig - einen Videojournalisten in den Mittelpunkt stellen?
Der Videojournalist ist natürlich ein Thema. Die Videojournalisten sind ein Resultat der Einsparungen in den Redaktionen. Es wird immer seltener, dass ein Interview mit einem Redakteur, einem Kamermann und einem Ton-Mann gemacht wird. Jetzt macht das einer allein. Meistens werden dann die Texte eingespart und die Techniker. Das Thema der Pressekrise kommt natürlich in "Montecristo" vor.
Ich schreibe ja Romane über heute, über Leute von heute. Wenn ich da Journalisten beschreibe, dann kann ich ja nicht gut verheimlichen, dass die Journalisten immer mehr ihre Unabhängigkeit verlieren. Weil sich die Verlage zusammenlegen, weil sich die Redaktionen in News-Rooms zusammenfinden, wo die gleichen Leute für ganz unterschiedliche Titel schreiben. Man kann auch nicht verleugnen, dass das durch den Klick-Journalismus, also durch den Druck, der auf den Journalisten lastet, dass möglichst viele Leute ihre Schlagzeilen anklicken, Unabhängigkeit und Stil leiden.
Martin Suter: Montecristo, Roman, Diogenes Verlag 2015, 310 Seiten, ISBN 978-3- 257-86261-4.
Das Interview führte Jochen Kürten.