Maßgeschneiderte Hilfe für jüdische Zuwanderer
31. März 2011Ob Sprechzeit oder nicht, Boris Bujanow ist der erste Ansprechpartner für die neuen Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Leipzig. Auch heute klingelt sein Telefon, und im Vorraum seines Büros in der Leipziger jüdischen Gemeinde sitzen einige Männer und Frauen und warten auf seine Hilfe. Sie alle sind jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und brauchen seine Unterstützung bei der Wohnungssuche, bei Anträgen für Sozialhilfe oder bei der Einschulung ihrer Kinder.
Seit 1990 können Juden als damals noch so genannte Kontingentflüchtlinge nach Deutschland einwandern. "1991 bestand die jüdische Gemeinde in Leipzig aus 30 Personen", erklärt Boris Bujanow, nachdem er sein Telefonat beendet hat. "Wenn es keine Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion gegeben hätte, dann wäre diese Gemeinde vielleicht nicht mehr existent."
Zuzug aus dem Osten
In den vergangenen 20 Jahren ist die Leipziger Gemeinde auf 1300 Mitglieder angewachsen, sie ist damit neben der in Berlin die größte in Ostdeutschland. Doch dieser Zustrom bringt auch Probleme mit sich. Deutsch sprechen die Zuwanderer anfangs kaum und das Leben in Deutschland ist ihnen fremd. Boris Bujanow hilft wo er kann. Er vermittelt zwischen der alten Kultur und der neuen Heimat. Er ist Sozialarbeiter für die jüdischen Zuwanderer.
"Dadurch, dass ich auch aus der Sowjetunion komme, gehöre ich auch zu dem Begriff 'Sowjetvolk'. Wir haben die gleichen Bücher gelesen, wir sprechen die gleiche Sprache. Und das ist der Unterschied im Vergleich zur hiesigen Bevölkerung, die eine ganz andere Entwicklung hatte."
Studium mit 47 Jahren
Seit 1998 arbeitet Boris Bujanow als Sozialarbeiter in der jüdischen Gemeinde. Viel Erfahrung hat er in der Zeit gesammelt. Durch ein berufsbegleitendes Bachelorstudium Jüdische Sozialarbeit an der Fachhochschule Erfurt hat er gelernt, seine Arbeit zu systematisieren. Er gehört mit diesem Abschluss zu den ersten 20 Sozialarbeitern mit dieser Spezialisierung. Für weitere 25 beginnt in diesem Frühjahr die zugeschnittene Ausbildung, die vom Zentralrat der Juden gefördert wird.
Entwickelt haben dieses europaweit einzigartige Studium die Professorin Esther Weitzel-Polzer und ihr Kollege Professor Doron Kiesel an der Fachhochschule Erfurt. Neben der normalen Ausbildung zum Sozialarbeiter, lernen die Studenten Hintergründe über das jüdische Leben, seine Geschichte und die Philosophie der Religion. Denn dieses Wissen ist essentiell für die Arbeit der Sozialarbeiter, sagt Doron Kiesel. "Die Sozialarbeiter sollen den Zuwanderern den sozialen Kontext einer jüdischen Gemeinde vermitteln", erklärt er. "Der Begriff einer jüdischen Gemeinde war in der Sowjetunion überhaupt nicht bekannt, das ist für die Zuwanderer etwas ganz Neues. Ihre Angebote, ihre Vielfalt, ihre Möglichkeiten der Entfaltung müssen Zuwanderern erst einmal nah gelegt werden."
Soziale Begleitung erleichtert den Einstieg in die jüdische Gemeinde
Für Boris Bujanow bedeutet das, dass er jeden jüdischen Zuwanderer im Übergangswohnheim in Leipzig persönlich begrüßt. Er lädt sie in die Gemeinde ein, was nicht einfach ist, weil die Zuwanderer zwar per se Juden sind, aber nur die wenigsten sind auch gläubig. Boris Bujanow führt deshalb die Zuwanderer an das religiöse Leben heran und bietet zudem seine Hilfe an - bei Fragen, bei der Wohnungssuche oder bei Problemen.
Doron Kiesel hofft, dass die Zuwanderer durch diese Hilfe mehr Zeit haben, sich in ihrer neuen Gemeinde zu engagieren. "Wenn man als Sozialarbeiter den Einwanderern hilft, ihren Alltag zu strukturieren, dann ist Zeit für die Integration vorhanden", sagt er. "Die Klienten bekommen so die Möglichkeiten, sich sowohl in ihrer Gemeinde und in der deutschen Gesellschaft wohlzufühlen und auch ihre Eigenen Ideen formulieren zu können."
Traditionen mit Potential
Doch nicht immer funktioniert die Integration so leicht wie gedacht. Nach Erfahrungen von Boris Bujanow bleiben jüdische Einwanderer oft unter sich, russische Läden, Ärzte und Medien erleichtern zwar den Einstieg in den Alltag in Leipzig, jedoch nicht unbedingt die Integration in die deutsche Gesellschaft. "Es ist in gewisser Weise eine Parallelgesellschaft - Sie und Wir", sagt Boris Bujanow aus jahrelanger Erfahrung. "Sie - das sind die Deutschen mit ihren Sitten, die es nicht zustande bringen, einen Borschtsch zu kochen. Und wir - das sind eben wir mit unseren Traditionen."
Doch in diesen unterschiedlichen Traditionen sieht Doron Kiesel auch ein großes Potential, denn sie sollen das jüdische Leben in Deutschland bunt und vielfältig gestalten. Er ist optimistisch, denn die zweite Generation fasst Fuß in der deutschen Gesellschaft - fast alle von ihnen sind Akademiker und engagieren sich für die Zusammenarbeit von jüdischen Zuwanderern und alteingesessenen Deutschen. Für ihn ist sein Studiengang ein Projekt mit Zukunft, allein schon deshalb, weil es in Deutschland inzwischen mehr als einhundert jüdische Gemeinden gibt. Für 25 weitere Studenten beginnt in diesem Jahr das Studium Jüdische Sozialarbeit. Auch sie werden aber den großen Bedarf bei weitem noch nicht decken können.
Autorin: Ulrike Schnabel
Redaktion: Hartmut Lüning