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"Heute gibt es zwischen Russland und Aserbaidschan keine Probleme mehr"

4. Februar 2004

- Präsident Alijew im Vorfeld seines Besuches in Moskau

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Moskau, 4.2.2004, ISWESTIJA, russ., Oleg Zyganow

Der Präsident Aserbaidschans Ilham Alijew trifft zu seinem ersten offiziellen Besuch in Moskau ein. In dieses Amt wurde er im Oktober letzten Jahres gewählt. Um so aufmerksamer beobachten sowohl die unmittelbaren Nachbarn als auch die Staaten der Europäischen Union seine ersten Schritte. Kraft der in der Region stattfindenden geopolitischen Änderungen könnte die Rolle Aserbaidschans nicht nur im Rahmen der GUS, sondern auch in Europa – als wichtiger Teilnehmer des Marktes der Energieträger (...) - wesentlich steigen. Über die Schlüsselrichtungen der aserbaidschanischen Politik spricht Ilham Alijew im Vorfeld seines Besuches in Moskau in einem Interview mit dem "Iswestija"-Korrespondenten Oleg Zyganow.

Frage:

In der letzten Zeit haben sich die Akzente der Außenpolitik Russlands in Richtung regionale Probleme verschoben. Was überwiegt in den aserbaidschanisch-russischen Beziehungen, die Politik oder das Business? Was halten Sie vom Vordringen russischer Unternehmen auf den Energiemarkt Aserbaidschans?

Alijew:

Für die erfolgreiche Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen gibt es eine ausgezeichnete Basis – die politische gegenseitige Verständigung zwischen der Führung Russlands und Aserbaidschans. Das Niveau der Beziehungen ist sehr hoch. Die Grundlagen haben die Präsidenten Wladimir Putin und Hejdar Alijew gelegt. Ich werde meinerseits alles tun, um diese zu festigen. Ich habe mich bereits mehrmals mit Wladimir Wladimirowitsch Putin getroffen. Sowohl in den bilateralen Beziehungen als auch den regionalen Problemen ist die gegenseitige Verständigung ausgezeichnet. Sie haben die russischen Unternehmen erwähnt. Die nehmen an vielen Energieprojekten in Aserbaidschan teil. Heute wird das aserbaidschanische Erdöl über Russland transportiert. Gas aus Russland wird nach Aserbaidschan geliefert. Der Warenumsatz steigt von Jahr zu Jahr in hohem Tempo, und ich bin überzeugt, dass er in der Zukunft noch zunehmen wird. Die Wirtschaften Russlands und Aserbaidschans werden von Jahr zu Jahr immer stärker, was ein gutes Potential für die Zunahme des Warenumsatzes schafft. Vor dem Jahr 2000 gab es viele Probleme, die unlösbar aussahen, sowohl in der Energetik, als auch bei den Pipelines, die Kaspisee usw. Wir haben sie alle gelöst. Heute gibt es zwischen Russland und Aserbaidschan keine Probleme. Überhaupt keine. Keine, die Streitigkeiten hervorrufen, unterschiedliches Herangehen hervorrufen würden. Russland ist für uns ein strategischer Partner. Das war der Standpunkt von Hejdar Alijew. Das ist auch mein Standpunkt.

Frage:

Herr Präsident, sind Sie mit der derzeitigen russischen Politik im Kaukasus zufrieden? Worin bestehen unsere gemeinsamen Interessen?

Alijew:

Ich möchte nicht die Rahmen der bilateralen Beziehungen verlassen und die Beziehungen Russlands zu anderen Staaten bewerten. Russland und Aserbaidschan brauchen in gleichem Maße Stabilität und Frieden im Kaukasus. Russland gibt sich alle Mühe, diese Stabilität zu erreichen, sowohl im Rahmen der Vermittlermission der Gruppe für den Konflikt in Nagornyj Karabach als auch in Bezug auf andere empfindliche Momente im Südkaukasus. Leider sind auf diesen kleinen Abschnitt des Planeten so viele Probleme, so viele Kriege und Blutvergießen entfallen.

Frage:

Sie wiederholen immer wieder, dass die Kaspi-Region zu einer Zone des Friedens werden muss. Wie kann der Kaukasus in eine Zone des Friedens verwandelt werden? Sehen Sie doch mal: der armenisch-aserbaidschanische Konflikt in Nagornyj Karabach, in Georgien das Problem mit Adscharien, Abchasien und Südossetien, in Russland das tschetschenische Problem. Kann denn der Kaukasus in der überschaubaren Zukunft in eine Zone des Friedens verwandelt werden?

Alijew:

Das ist ein sehr ernstes Problem. Es wird wahrscheinlich mehrere Varianten einer Lösung geben. Das Wichtigste ist jedoch, dass sich jedes Land mit seinen Angelegenheiten beschäftigt und nicht die anderen behindert. Oft kommt es zum Unheil, weil sich die einen Staaten in die Angelegenheiten anderer einmischen. Nagornyj Karabach ist z. B. eine innere Angelegenheit Aserbaidschans. Tschetschenien ist eine innere Angelegenheit Russlands. Abchasien eine Angelegenheit Georgiens. Es kommt zu solchen Konfliktherden, wenn äußere Kräfte, wie in unserem Fall Armenien, im Spiel sind.

Frage:

Ihr Besuch in Russland findet gleich nach dem erfolgreichen Besuch in Frankreich statt. Er zeugt davon, dass Aserbaidschan seine Bemühungen zur Integration in die europäischen Strukturen rapide verstärkt hat. Wie sehen die strategischen Ziele des Landes in diesem Zusammenhang aus? Ist es bereit, die Frage des künftigen Beitrittes des Landes zur Europäischen Union zu stellen?

Alijew:

Mit dieser Frage werden wir uns beschäftigen, wenn wir für den EU-Beitritt reif sein werden. Unser Kurs auf die Integration in die europäischen Strukturen ist unabänderlich. Wann es dazu kommen könnte? Vorläufig schwer zu sagen, aber wir werden das prüfen. Politisch ist dieser Beitritt für uns sehr wichtig.

Frage:

Fast alle ehemaligen Sowjetrepubliken arbeiten auf die eine oder andere Weise mit der NATO zusammen. (...) Beabsichtigt denn Aserbaidschan in der Zukunft der NATO beizutreten?

Alijew:

Wie viele GUS-Staaten nehmen auch wir am Programm "Partnerschaft für den Frieden" teil. Wir haben mehrmals Seminare und Sitzungen abgehalten, die NATO-Manöver sowie die gemeinsamen aserbaidschanisch-amerikanischen Manöver der NATO unterstützt. Ich möchte jetzt jedoch nicht ausführlich auf den NATO-Beitritt eingehen. Das ist ein Thema der Zukunft, es ist verfrüht, jetzt schon darüber zu sprechen. Es muss vorher alles ernst abgewogen und überdacht werden, effektive Wege müssen gesucht werden. (...)

Frage:

Die Aktivitäten der USA auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR nehmen zu. In Russland verhält man sich nicht eindeutig dem gegenüber: die einen Politiker sind der Ansicht, dass die Zeiten des Kalten Krieges vorbei sind, und deshalb die Zusammenarbeit mit den USA in Gang gebracht werden sollte, die anderen sind kategorisch gegen die "Einmischung der USA" und halten die GUS für eine Zone der "Sonderinteressen Russlands". Welche Rolle könnten die USA Ihrer Meinung nach bei der Beilegung der Konflikte in Kaukasus spielen?

Alijew:

Der armenisch-aserbaidschanische Konflikt wegen Nagornyj Karabach steht weiterhin im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Die USA und Russland sind Kovorsitzende der Kommission zur Beilegung des Konfliktes in Nagornyj Karabach. Die USA, Russland und Frankreich müssen gemeinsam nach einer annehmbaren Lösung dieses Problems suchen. Wir hoffen, dass deren Tätigkeit dazu führen wird, dass die Normen des internationalen Rechtes siegen. Die müssen zur Beilegung des Problems beitragen, um Aserbaidschan die eroberten Gebiete zurückzugeben. Wir möchten mit Armenien zusammenarbeiten und nicht mit ihm konkurrieren.

Frage:

(...) Während Ihres Besuches in Frankreich haben Sie unterstrichen, dass die Lösung des Karabach-Konfliktes völlig vom Willen der armenischen Führung, sich von den besetzten Territorien zurückzuziehen, abhängt. Könnten Sie sich auf einen Kompromiss im Falle einer etappenweisen Beilegung des Konfliktes einlassen? Was könnte Ihrer Meinung nach Russland tun, um den Prozess der Beilegung des Karabach-Konfliktes zu verstärken? Werden Sie diese Fragen mit Putin erörtern?

Alijew:

Ich hoffe, dass diese Fragen während meines Besuches in Moskau angeschnitten werden. Es gibt allgemein anerkannte Normen des internationalen Rechtes, die greifen müssen. Es darf keine doppelten Standards geben. Es darf keine Abhängigkeit von der politischen Konjunktur geben. Tatsache ist, dass Armenien ein Aggressor ist, dass es einen Teil unseres Territoriums erobert hat. Dieser Aggression muss ein Ende bereitet werden. Wir plädieren für die Beibehaltung der territorialen Integrität eines jeden Staates. Aber wir wollen auch, dass unsere territoriale Integrität nicht verletzt wird. Das kann nicht Gegenstand eines Handels, Gegenstand von Verhandlungen oder Gesprächen sein. Wir müssen unser Territorium zurückbekommen und den Karabach-Konflikt friedlich beilegen.

(...)

Frage:

Ihr Besuch in Frankreich hat in einer Zeit stattgefunden, als die OSZE ihren endgültigen Bericht über den Zustand der Demokratie in Aserbaidschan veröffentlicht hat. Es wurde eine ganze Reihe kritischer Bemerkungen gemacht. Welche Bedeutung messen Sie diesem Aspekt der Innenpolitik bei? Begrüßen Sie die Tätigkeit der OSZE-Beobachtungsgruppe? Worin besteht Ihrer Meinung nach die positive und die negative Rolle der Opposition bei der Lösung der Probleme des modernen Aserbaidschan?

Alijew:

Was den OSZE-Bericht betrifft, so muss ich sagen, dass die Wahlen in Aserbaidschan von über 1000 ausländischen Beobachtern verfolgt wurden, die verschiedene internationale Organisationen vertraten. Gleich nach den Wahlen haben alle diese Organisationen sich neben der Kritik auch in dem Sinne geäußert, dass die Wahlergebnisse bei niemandem Zweifel hervorrufen, haben mir zum Sieg gratuliert. Aber später haben sie, besonders bei der OSZE, ihren Standpunkt aus welchem Grund auch immer kardinal verändert. Wir glauben, wir sind praktisch überzeugt, dass das im Zusammenhang mit dem Wunsch steht, politischen Druck auf die Führung Aserbaidschans auszuüben. Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass Aserbaidschan vom geopolitischen Standpunkt her ein sehr wichtiger Staat ist – sowohl, was die geographische Lage als auch die Bodenressourcen betrifft. In einigen Jahren, sobald alle unsere Projekte in den Bereichen Energie und Transport greifen werden, wird die Bedeutung Aserbaidschans weiterhin zunehmen. Deshalb ist der Wunsch bestimmter Kreise klar, Hebel des Drucks auf die aserbaidschanische Führung zu besitzen. Jemand ist daran interessiert, die Führung zu schwächen. Deshalb bin ich der Ansicht, dass der OSZE-Bericht nicht ganz der realen Situation entspricht. Aber die Führung Aserbaidschans bleibt hart, betreibt eine selbständige Politik. Es hat keinen Sinn, Druck auf uns auszuüben. Jegliches Handeln ruft Widerstand hervor. Die Bevölkerung Aserbaidschans hat ihre Wahl auf demokratischem und offenem Wege getroffen. Es muss einfach erreicht werden, dass alle das nicht nur hinter geschlossen Türen, wie das jetzt der Fall ist, sondern auch öffentlich zugeben.

(...) (lr)