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TheaterRumänien

Rumänien: Festival der Freunde und der Künste

28. Juni 2024

Das mittelalterliche Hermannstadt, rumänisch Sibiu, platzt aus allen Nähten, denn auch in diesem Jahr lockt das internationale Theaterfestival mit über 830 Events Hunderttausende Besucher aus dem In- und Ausland an.

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Drei Frauen auf der Bühne stehen nebeneinander und halten sich an den Händen
Viel Applaus gab es für das Stück "karpatenflecken"Bild: Medana Weident/DW

5000 Künstler aus 82 Ländern, darunter Stars wie Tim Robbins, John Malkovich, Isabelle Adjani, Jon Fosse, Susanne Kennedy, Pippo Delbono, Theodoros Terzopoulos oder Anne Teresa de Keersmaeker laden zu Theater- oder Tanzvorstellungen, zu Konferenzen und Begegnungen unterschiedlichster Art ein. Manche haben schon einen Stern auf dem Hermannstädter Walk of Fame, andere bekommen ihn am Wochenende.

Auf einem Stern steht "Walk of Fame" und "Aleea Celebritatilor"
Mehr als 70 bekannte Künstler sind auf dem Walk of Fame in Hermannstadt verewigt, darunter auch Deutsche wie Klaus Peymann, Thomas Ostermeier und Sasha WaltzBild: Medana Weident/DW

Sie kehren als Freunde zurück

Jedes Jahr findet das Festival FITS unter einem anderen Motto statt, das diesjährige Thema scheint passender als alle anderen davor: Freundschaft. Denn wäre das, was man in dieser wundervollen historischen Kulisse Jahr für Jahr erlebt, ohne Freundschaft überhaupt denkbar? Dieses Fest der Künste, betont Festivalgründer und Intendant Constantin Chiriac immer wieder, sei in den letzten drei Jahrzehnten stets gewachsen durch seine Freunde - bedeutende Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die gerne wiederkommen, genauso wie das Publikum. So kehrten Tim Robbins und Pippo Delbono nach Hermannstadt zurück und zeigten gleich am Eröffnungstag die Weltpremieren ihren neuesten Stücke.

Rumänien Theaterfestival FITS in Hermannstadt
​​​​​​​​Freundschaft ist das Motto des diesjährigen Theaterfestivals FITSBild: Medana Weident/DW

Theater mit Botschaft 

"Il Risveglio" ("Das Erwachen"), eine Produktion des Emilia Romagna Teatro und des Teatro Nationale, ist ein sehr poetisches und persönliches Werk des italienischen Künstlers Pippo Delbono, Jahrgang 1959, über das, was ihn und seine Generation bewegt: Da war Ende der 1960er-Jahre der Wunsch, die Welt zu verändern und in Frieden zu leben - doch heute gibt es immer noch Kriege, und die Welt ist polarisiert wie lange nicht mehr. Um so wichtiger das Motto des Festivals, mehr Wert auf Freundschaft und Verständigung, auf Liebe, Musik und Kunst zu legen.

Menschenmassen auf einem Platz
Das Festival sorgt für Besucherandrang in Hermannstadt Bild: Medana Weident/DW

Der amerikanische Oscar-Preisträger Tim Robbins verlas in der Eröffnungsgala mit dem traditionsreichen rumänischen Madrigal-Chor zwei Hymnen an die Freundschaft, speziell für dieses Festival gedichtet. "Eine griechische Tragödie ist diese moderne Welt, in der wir leben / die Bruder gegen Bruder aufbringt / während Freunde Freunde verlieren in der ganzen Welt ", klagt Robbins und appelliert an die Freundschaft: "Was uns trennt in dem Chaos des Lebens ist ephemer, / aber beständig ist die Kraft unserer Freundschaft."

Constantin Chiriac, Tim Robbins und Octavian Saiu stehen lächelnd nebeneinander
Intendant Constantin Chiriac, Schauspieler und Regisseur Tim Robbins mit Moderator Octavian Saiu bei einer Konferenz im FestivalBild: Medana Weident/DW

Anschließend folgte unter seiner Regie die Welturaufführung seines eigenen Stückes "Aphrodite and the Liberation of the World (a musical Greek Vaudeville)" / "Aphrodite und die Befreiung der Welt (ein griechisches Musik-Vaudeville)", in dem es um die zurückliegende Corona-Pandemie geht und Liebe und Freundschaft beschworen werden, als rettende Werte unser Zeit.

Geschichte der deutschen Minderheit in den letzten Jahrhunderten

Aktuelle Geschehen sowie politische und soziale Themen stehen immer im Mittelpunkt der Darbietungen, Konferenzen und Debatten des FITS. Auch europäische sowie lokale Kultur und Geschichte rücken hier, in einer von vielen Ethnien geprägten Region, in den Fokus.

So erzählt Thomas Perles Stück "karpatenflecken" in einer Inszenierung von Mira Stadler am Burgtheater Wien von der bewegten Geschichte der deutschen Minderheit in den letzten Jahrhunderten im heutigen Rumänien, von Faschismus, Kommunismus und Diktatur bis hin zum Traum von einer neuen Heimat in Deutschland und der exodusartigen Auswanderung Anfang der 1990er-Jahre.

Ein Mann im schwarzen Pulli schaut in die Kamera
Thomas Perle: "Da der Begriff Heimat so oft missbraucht wird, bin ich auf das Wort 'Wurzelort' gekommen"Bild: Volker Schmidt

Es geht um Heimat, um Verlust, um Sehnsucht und Hoffnung. Um das Mit- und Füreinander in einer multikulturellen Gesellschaft. "Das Stück ist von meiner eigenen Biographie inspiriert", sagt der 37-jährige Autor im DW-Gespräch. Thomas Perle stammt aus Oberwischau (rumänisch: Viseul de Sus), im Norden Rumäniens, wanderte 1991 mit seiner Familie nach Deutschland aus und hat nicht nur deutsche, sondern auch ungarische, jüdische und rumänische Wurzeln. Sein Stück greife auch die Flüchtlingskrise 2015 auf, sagt er.

"Und da der Begriff Heimat so oft missbraucht wird, bin ich auf das Wort Wurzelort gekommen", erzählt der mit dem Nestroy-Preis 2023 und Retzhofer Dramapreis ausgezeichnete deutsche Autor. "Meine Eltern haben dieses Land wegen einer besseren Zukunft für ihre Kinder verlassen. Jetzt habe ich eine bessere Zukunft und komme immer wieder zurück, weil mir eben der Bezug zu diesem Ort auch den Erfolg verschafft", so Perle. Sein Stück wurde 2021 am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt.

Zwei deutschsprachige Bühnen in Rumänien

"Was ursprünglich ein Minderheitentheater war, ist heute eine moderne, experimentelle europäische Bühne", sagt Hunor Horvath, Leiter der Deutschen Abteilung des Hermannstädter "Radu Stanca"-Nationaltheaters, der DW.

Ein Mann mit Hut und Bart lächelt
Hunor Horvath leitet die Deutschen Abteilung des Nationaltheaters Radu Stanca in HermannstadtBild: Medana Weident/DW

Fünf Produktionen auf Deutsch seien im Festivalprogramm in diesem Jahr dabei, ergänzt der Regisseur stolz. "Woyzeck" unter seiner Regie wurde sogar für den diesjährigen rumänischen Theaterpreis UNITER nominiert. Dasselbe gilt für die sehr frische und flotte Inszenierung des Romans von Wolfgang Herrndorf "Tschick" am  Deutschen Staatstheater Temeswar, das auch das Publikum beim FITS-Festival begeisterte. Denn Rumänien besitzt zwei deutsche Bühnen.

Blick ins Jahr 2025

Mit Spannung erwartet  wird ein Stück der Künstlergruppe Rimini Protokoll über die deutsche Minderheit in Rumänien. Sie soll nächstes Jahr beim Festival als Produktion der Deutschen Abteilung sowie in Karlsruhe gezeigt werden. "Da geht es um die Nachfahren der Deutschstämmigen, die vor 1989 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt sind, die häufig vom kommunistischen Regime regelrecht verkauft wurden und über die Wirkung der Migration in diesen Familien", erklärt Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts Bukarest - eine der Institutionen, die dieses umfassende Projekt unterstützen.

Künstlerischer Austausch des Theater-Nachwuchses 

"New Stages South-East" ist ein weiteres vom Goethe-Institut gefördertes Theaterprojekt, in Zusammenarbeit mit dem Theater Oberhausen. Ziel sei es, den Austausch zwischen jungen osteuropäischen Theaterschaffenden anzuregen, aber auch den Dialog zwischen Ost und West in Europas Theaterlandschaft, betont Umlauf nach einer Podiumsdiskussion bei FITS zu diesem in der Pandemie entstandenen Projekt. Junge Künstler aus sieben europäischen Ländern (Rumänien, Bulgarien, Zypern, Griechenland, Bosnien, Kroatien und Serbien) tauschen Erfahrungen aus und schreiben anschließend Stücke zu aktuellen politischen und sozialen Themen. Einige davor wurden in Deutschland und anderen Ländern bereits aufgeführt. 

Drei Männer und zwei Frauen sitzen in lockerer Runde an Tischen, ein Mann spricht ins Mikro
Zum Projekt "New Stages South-East": Hunor Horvath, Petro Ionescu, Roxana Lepadat, Joachim Umlauf und Matei Visniec (v.l.) Bild: Medana Weident/DW

"Ein Festival voll Energie und wunderbarer Menschen"

FITS ist mehr als Theater, es ist ein bedeutendes Festival der Künste mit hochkarätigen Straßenperformances, Zirkus, Tanz und Konzerten aller Musikrichtungen, von Pop bis Fado, Tango, Flamenco, Gospel und Orgel, mit Veranstaltungen in Theatersälen und Kirchen aller Konfessionen.

Ein Mann spielt eine Orgel
Organist Paul Cristian an der restaurierten Barockorgel der Kirchenburg Großau bei HermannstadtBild: Medana Weident/DW

Der auch in Deutschland sehr erfolgreiche Choreograf Po-Cheng-Tsai und seine Tanztruppe B. Dance gehörten zu den Highlights in diesem Jahr. Nach der "Alice"-Aufführung, eine beeindruckende Darbietung von Perfektion und Ästhetik, zeigte sich Po-Cheng-Tsai überaus begeistert vom Festival und Publikum in Hermannstadt. "Ich war in Avignon und Edinburgh, aber hier gibt es einen ganz anderen Vibe, voller Energie, dazu die wunderbaren Menschen. Wir kommen sicherlich wieder", verspricht der Choreograf im DW-Gespräch.

Balletttänzerinnen- und Tänzer stehen nebeneinander auf der Bühne
Die international erfolgreiche Tanzcompany B. Dance begeisterte mit der Produktion "Alice" das Publikum in HermannstadtBild: Medana Weident/DW

Eine weitere neue Freundschaft, die 2024 in Hermannstadt entstanden ist. Auch Tim Robbins versprach, wieder zu kommen und hier das 45. Jubiläum seiner Schauspieltruppe "The Actor´s Gang" zu feiern - als Zeichen seiner Freundschaft.

Das Festival geht Sonntagnacht mit einer großen Drohnen- und Lasershow zu Ende.

Porträt einer Frau mit schwarzen Haaren
Medana Weident Autorin, Reporterin, Redakteurin, vor allem für DW Rumänisch