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Herausgabe der ältesten oppositionellen Zeitung Weißrusslands für drei Monate eingestellt

30. Mai 2003

– Eigentümer der "Belorusskaja delowaja gaseta" spricht von politischer Entscheidung

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Köln, 30.5.2003, BELARUS TODAY, ISWESTIJA

Das Informationsministerium Weißrusslands hat am Donnerstag (29.5.) die Herausgabe einer der größten unabhängigen Zeitungen des Landes – der "Belorusskaja delowaja gaseta" und ihrer wöchentlichen Beilage "BDG. Für dienstliche Zwecke" – für drei Monate eingestellt. Grund für das Verbot der Zeitung seien "grobe Verletzungen des Gesetzes über Massenmedien".

Die "Belorusskaja delowaja gaseta" wurde zwei Mal (am 20. und am 21. Mai) wegen Verletzung von Artikel 5 des Gesetzes über Massenmedien verwarnt, der unter anderem verbietet, die Ehre und die Würde des Präsidenten Weißrusslands zu verletzen. Die erste Verwarnung wurde wegen des am 18. April veröffentlichten Artikels "Großherrenimage" ausgesprochen. Die zweite Verwarnung wurde der "Belorusskaja delowaja gaseta" einen Tag später wegen des am 29. April veröffentlichten Artikels "Wo sind die Leonow-Millionnen?... Die Staatsanwaltschaft der Republik kann diese Frage nicht beantworten. Sie sucht" ausgesprochen. Das Informationsministerium ist der Ansicht, dass "im Artikel ohne schriftliche Genehmigung Material über ein Verfahren veröffentlicht wurde, dass noch nicht abgeschlossen ist".

Eine ähnliche Verwarnung wurde am 22. Mai der größten Tageszeitung "Narodnaja wolja" ausgesprochen, die sich erlaubt hatte, sich auf eine Erklärung des Beschuldigten Michail Leonow zu berufen, die er vor Gericht abgegeben hatte.

Der Generalsekretär des Verlagshauses "Marat", der Gründer und Eigentümer der "Belorusskaja delowaja gaseta", Pjort Marzew, hat den Beschluss des Informationsministeriums, die Herausgabe der Zeitung einzustellen, auf einer Pressekonferenz am 29. Mai als politische Entscheidung bezeichnet. "Wir hoffen, dass sich die Personen, die diesen Beschluss gefasst haben, der möglichen Folgen bewusst sind. Kaum wird diese Entscheidung das von ihnen gewünschte Ergebnis herbeiführen. Zeitungen wurden in Weißrussland herausgegeben und werden auch weiterhin erscheinen. Wir werden den ganzen juristischen Weg gehen und die Haltlosigkeit der Beschuldigungen uns gegenüber beweisen. Die Herausgabe beider Zeitungen wird wieder aufgenommen werden. Wir werden uns weiterhin an die Prinzipien bei der Präsentation des Materials halten, für die uns unsere Leser schätzen", erklärte Marzew.

Neben den bereits geschlossenen Zeitungen "Belorusskaja delowaja gaseta" und ihrer Beilage sowie "Narodnaja wolja" stehen in Weißrussland die Zeitungen "Wetschernij Stolin" und "Nawinki" kurz vor der Schließung.

Gemäß der weißrussischen Gesetzgebung kann eine Zeitung nach zwei Verwarnungen per Gericht ganz geschlossen werden. (lr)

ISWESTIJA, russ., 30.5.2003

(...) "Iswestija" hat den Generaldirektor der "Belorusskaja delowaja gaseta", Pjotr Marzew, gebeten, auf die Situation um die Schließung der Zeitung einzugehen.

Frage:

Sie waren schon immer dem Druck der Machthaber ausgesetzt?

Antwort:

Ständig. In den letzten Jahren wurden wir mindestens zweimal die Woche verwarnt. Jedesmal ist es uns gelungen, vor Gericht zu beweisen, dass wir Recht haben. Wir hatten den Eindruck, dass das Informationsministerium doch irgendwie bestrebt war, die Gesetze einzuhalten, nach den Regeln zu spielen. Jetzt hat es das wahrscheinlich satt.

Frage:

Wie hat sich die jetzige Situation entwickelt?

Antwort:

Drei Tage hintereinander wurden uns Verwarnungen ausgesprochen - am 20., am 21. und am 22. Mai. Die erste Verwarnung wurde wegen der Umfrage ausgesprochen, "ob Aleksandr Lukaschenka berechtigt ist, nach eigenem Ermessen über die Flugzeuge des Staatsoberhauptes zu verfügen?", die zweite wegen des Artikels "Wo sind die Leonow-Millionen?" über den Gerichtsstreit um den Traktorenbetrieb. Im Wortlaut des Beschlusses heißt es, dass in diesem Artikel angeblich "ohne schriftliche Genehmigung Material des Strafverfahrens veröffentlicht wurde", was Artikel 5 des Gesetzes "Über Massenmedien" widerspreche. Es handelt sich jedoch um eine Reportage von einer öffentlichen Gerichtsverhandlung, bei der der Korrespondent der "Belorusskaja delowaja gaseta" offiziell akkreditiert war. Der dritte Artikel, der dem Informationsministerium missfiel, wurde in unserer Wochenzeitschrift "BDG. Für dienstliche Zwecke" veröffentlicht. Im Artikel "Magischer Kristall" geht es um einen großen Spirituosen-Skandal im Unternehmen "Belpischtscheprom". Zu unterschiedlichen Haftstrafen wurden der Chef des Unternehmens und dessen Sohn verurteilt. Der Informationsminister geht davon aus, dass in diesem Artikel "falsche Angaben verbreitet werden". Um welche es sich handelt, wird jedoch in der Verwarnung nicht gesagt.

Frage:

Womit haben Sie denn die Machtorgane so verärgert?

Antwort:

Unsere Zeitungen haben in der letzten Zeit damit begonnen, mehr Aufmerksamkeit dem Business der Leiter unseres Staates zu widmen. Als wir nur über Politik schrieben, war die Situation nicht so zugespitzt. Als wir jedoch darüber zu sprechen begannen, wer von unseren weißrussischen Politikern welche Geschäfte macht, folgte eine einmalige Reaktion. Außerdem nehme ich an, dass die Machthaber von einem sehr ernsten Artikel erfahren haben, den wir vorbereiten. Es geht um die höchste Machtstaffel.

Frage:

Keine Einzelheiten?

Antwort:

Vorläufig nicht.

Frage:

Wie werden Sie jetzt vorgehen? Wollen Sie sich an das Gericht wenden?

Antwort:

Natürlich werden wir von diesem Recht Gebrauch machen. Wir gehen davon aus, dass das Informationsministerium, die Staatsanwaltschaft und andere Behörden verstehen, dass die gegen uns erhobenen Beschuldigungen sogar vor unserem weißrussischen Gericht nicht überzeugen. Wir hatten uns auf diese Entwicklung eingestellt. Haben wir doch bewusst eben diesen Weg des Journalismus, den Weg der ehrlichen und wahrheitsgetreuen Berichterstattung über die Lage im Land gewählt. Wir haben nicht vor, diesen Weg zu verlassen. (lr)