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Indische ‘Superbakterien’

Pia Chandavarkar29. Juni 2012

Vor zwei Jahren wurden in Indien Bakterien entdeckt, die gegen die meisten Antibiotika resistent sind. Bis heute habe die Regierung zu wenig gegen deren Ausbreitung unternommen, kritisieren indische Wissenschaftler.

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Eine Blisterpackung mit einer Wochenration TB-Medikamente, aufgenommen im St. Thomas Home in Howrah. Im Hintergrund ein kompletter Therapie-Karton mit der persönlichen Halbjahres-Ration eines Patienten. Die Medikamente müssen unter Aufsicht eines ausgebildeten Arztes eingenommen werden. Alle leeren Blister werden zur Kontrolle aufgehoben und abgezählt um sicherzugehen, dass die Therapie komplett abgeschlossen wurde. Ansonsten drohen gefährliche Resistenzbildungen. Die Medikamente werden vom indischen Staat kostenlos zur Verfügung gestellt. Das St. Thomas' Home ist eine Spezialklinik der Hilfsorganisation "Ärzte für die dritte Welt" und der nordindischen Kirche für tuberkulosekranke Frauen. Sie liegt in der Großstadt Howrah im Großraum Kalkutta. (Aufnahme vom August 2007). Foto: Denis Meyer +++(c) dpa - Report+++
Tuberkulose in Indien Krankenhaus in Howrah Medikamente Tabletten MedizinBild: picture-alliance

Als vor zwei Jahren eine internationale Forschergruppe in Indien Bakterien mit einem neuen Enzym (NDM-1) identifizierte, berichtete das britische Fachmagazin 'Lancet Invectious Diseases' über diese Krankheitserreger, gegen die es kaum noch Medikamente gibt, weil sie gegen die meisten Antibiotika resistent geworden sind. Über diesen Artikel hinaus gibt es bis heute in Indien keine genauen Daten zur Verbreitung dieser sogenanten Superbugs, kritisieren indische Forscher. Sie werfen der Regierung vor, das Thema nicht ernst genug zu nehmen.

"Heute gibt es die antibiotikaresistenten Krankheitserreger überall in Indien. Sie treten vor allem in Krankenhäusern auf, verbreiten sich aber auch in der Umwelt”, sagt Forscher und Mikrobiologe Karthikeyan Kumarasamy, einer der Autoren des "Lancet"-Artikels. "Die Zahlen haben zugenommen, doch wir haben keine genauen Daten." Bisher gebe es keine umfassende Untersuchung.

"Konkrete Maßnahmen fehlen"
"Wir sind bis heute noch nicht in der Lage festzustellen, welche Erkrankungen und Todesfälle auf Bakterien mit dem NDM-1 Enzym  zurückzuführen sind", fügt  Abdul Ghafur, indischer Facharzt für Infektionskrankheiten, hinzu. "In der Praxis sehen wir viele Fälle mit einer Resistenz gegen Antibiotika. Aber ob der Erreger spezifisch NDM-1 ist, kann man nicht sagen, denn der ist bisher nicht genug erforscht worden.

Indische Patientin mit Atmungsgerät
Patientin in einem indischen KrankenhausBild: picture-alliance/dpa

Um die Situation in Indien genauer bewerten zu können, müsste die indische Regierung konkrete Massnahmen ergreifen, fordern indische Wissenschaftler: "Das Gesundheitsministerium sollte eine bundesweite Studie zum Problem der zunehmenden Antibiotika-Resistenz finanzieren", verlangt Mikrobiologin Dr. Renu Bharadwaj. Doch wie viele ihrer Kollegen ist auch sie von der Regierung enttäuscht. "Es gibt schon viele Forschungsanträge, die noch nicht genehmigt worden sind. Delhi handhabt das Problem zu defensiv."

"Keine wissenschaftliche Basis"

Doch die Regierung ist anderer Ansicht." "Wir haben die Studie, auf der der Lancet-Artikel basiert, von Anfang an abgelehnt – sie hat keine wissenschaftliche Basis, und die Absichten dahinter sind äußerst negativ," sagt VM Katoch, Gesundheitssekretär und Generaldirektor des indischen Medizinforschungsrates (ICMR). "Diese Bakterien kann man in jedem Land finden. Es ist ungerecht, einem Land Schuld für deren Verbreitung zu geben."

Entschieden weist die Regierung den Vorwurf von Ärzten zurück, dass Indiens Krankenhäuser nicht sicher seien. Offenbar fürchte Delhi, dass diese Debatte den stark wachsenden Gesundheitstourismus in Indien beeinträchtigen könnte, meinen Beobachter.

Devisenquelle Medizintourismus
Tatsächlich waren in Schweden und Großbritannien Patienten mit den "Superbugs" identifiziert wurden, nachdem sie sich in Indien hatten operieren lassen. Dort erlebt der Gesundheitstourismus einen Boom: Private Kliniken werben mit Schönheitsoperationen, künstliche Befruchtungen, Herzoperationen, orthopädischen Behandlungen und Organtransplantation. Die Patienten kommen vor allem aus den Nachbarländern Südasiens, den USA und Europa.  

Eine Mutter und ihr Kind in auf dem Sofa in einer indischen Privatklinik (Foto: DW/Pia Chandavarkar)
Medizintouristen: "Indien bietet gute Versorgung zu günstigen Preisen"Bild: DW

Der Gesundheitstourismus ist neben der der IT-Industrie zur einer der größten Devisenquelle Indiens geworden. Allein im Jahr 2010 haben sich nach Angaben der indischen Industrie- und Handelskammer ASSOCHAM rund 850,000 Touristen in Indien behandeln lassen."Trotz der Berichte über die neuen Superbugs nehmen die Zahl der Behandlungen in indischen Krankenhäusern zu, bestätigt die Unternehmerin Durairaj Mahendran, deren Firma Care Medical Tourism ausländischen Patienten Unterstützung bei ihrem Indien-Besuch anbietet." Bis 2015 rechnen Experten mit mehr als drei Millionen Patienten jährlich, die Indien Einnahmen von rund 1,5 Billionen Euro einbringen.

Verärgert reagierte die indische Regierung daher auch auf den Rat der Lancet-Forschergruppe, dass sich Medizintouristen nach einer Operation in Indien auf eine NDM-1 Infizierung prüfen lassen sollen. Das sei ein "westlicher Anschlag" auf den indischen Medizintourismus.

Risiko Antibiotika-Resistenz
"Die Sorge Delhis vor einem Verlust von Medizintouristen ist unnötig und lenkt vom Hauptproblem ab: dem übermäßigen Gebrauch von Antibiotika, der erst zu den Resistenzen geführt hat", ärgert sich Manish Kakkar, Mitglied der Gesundheitsstiftung 'Public Health Foundation of India'. Der Facharzt Abdul Ghafur, indischer Facharzt für Infektionskrankheiten weist auf die Konsequenzen hin: "Ich fürchte, dass wir in zwei Jahren fast keine Antibiotika mehr haben werden, um Infektionen mit dem "Superbug" zu behandeln. Das wird zu einem  groβen Gesundheitsrisiko, besonders bei wichtigen Transplantationen, bei Behandlungen mit Chemotherapie- oder auf der Intensivstation."

Indische Apotheke (Foto: DW/Pia Chandavarkar)
Antibiotika gibt es in jeder Apotheke - häufig ohne ärztliches RezeptBild: DW

Um das Problem der antibiotikaresistenten "Superbugs" in den Griff zu bekommen, habe Indien noch einen weiten Weg vor sich, sagen die Wissenschaftler. In der Zwischenzeit suchen ihre Kollegen nach neuen Wegen um sich mit Naturmedizin oder traditionellen Methoden auf eine mögliche Zukunft ohne Antibiotika vorzubereiten.