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Hera Lind: Mord an Bord

Ingrid Backes31. Oktober 2000

Burkharda aus Geilenkirchen singt im Kirchenchor, ist aber trotzdem unzufrieden ... Die Vorstadt-Callas wagt per Traumschiff den Ausbruch aus dem miefigen Alltag - mit durchschlagendem Erfolg.

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Alles beginnt wie immer: Eine Frau wagt den Ausbruch aus dem Alltag. Mit Erfolg. Ach wie schön, wird sich der Ullstein-Verlag gesagt haben. Damit haben die Kollegen bei Fischer doch so prima Umsätze gemacht. Die Icherzählerin heißt diesmal Burkharda, ist sexuell unzufrieden. Kein Wunder, stammt sie doch aus dem Städtchen Geilenkirchen bei Aachen. Hera Lind-Leserinnen kennen und schätzen diese Art von Humor.

Buchcover: Lind - Mord an Bord

Burkharda also tritt ein zweiwöchiges Engagement auf dem Kreuzfahrtschiff "MS Blaublut" an, wo sie sofort sehr große Erfolge feiert. Als Künstlerin und besonders als Frau. Sie verliebt sich sofort in den Kreuzfahrtdirektor, der sich auch sofort in sie verliebt. Weil beide aber trotzdem nicht zusammenkommen, schläft Burkharda mit einem Schweizer, der Banker ist. Aus Angst, deshalb erpresst zu werden, kommt es zu "Mord an Bord": Burkharda bringt innerhalb von wenigen Tagen mehrere Passagiere um.

Damenmord = Umsatz?

Das geht alles sehr schnell und passt auch nicht so richtig in die Geschichte rein. Aber, wird man sich beim Ullstein-Verlag gesagt haben: Die Leute von Diogenes haben doch mit den Damenmorden von Ingrid Noll so prima Umsätze gemacht. Lassen wir das also auch bei unserer Hera durchgehen! Die Kreuzfahrt geht rasch vorbei, und der Ehemann in Geilenkirchen hat trotz aller Morde vom Schweizer Seitensprung erfahren. Der maritime Kriminalroman treibt nun auf seinen dramaturgischen Höhepunkt zu: Rückkehr in den Kirchenchor? Weitere Versuche, den Kreuzfahrtdirektor ins Bett zu kriegen?

Nichts von beidem: Denn wo Hera Lind draufsteht, da ist auch Hera Lind drin. Und die hat im wirklichen Leben gerade eine vieldiskutierte Trennung hinter sich. Ihr Neuer ist österreichischer Hotelier und war mal als Schiffshotelier auf der "MS Deutschland". Und deshalb beginnt die Geschichte nach etwa 300 Seiten noch mal von vorn: Sängerin Burkharda tritt noch mal ein Engagement auf der MS Blaublut an. Sie verliebt sich sofort in den charmanten österreichischen Schiffshotelier. Nur noch zwei, drei weitere Leichen, dann ist das Glück perfekt. Das Paar kauft - ganz wie im wirklichen Leben - ein Hotel an Land und der Österreicher wird Direktor.

Hera Lind heiratet Engelbert Lainer
Hera Lind im wirklichen LebenBild: AP

Stärken früh verscherzt

Eine dramaturgische Katastrophe, die den erfahrenen Lektoren beim Ullstein-Verlag körperliche Schmerzen bereitet haben dürfte. Zumal die eigentlichen Stärken der Autorin schon gleich zu Anfang verscherzt werden: Burkharda hat verklebte Eileiter und ist daher kinderlos. Gerade die muntere Hektik des Superweib-Alltags aber, zwischen Bügelwäsche und krakeelenden Rotznasen, war das Erfolgsgeheimnis der Hera Lind. Angesichts der drängenden privaten Probleme der Autorin, was nach der Trennung nun mit ihren vier Kindern passiert, hat sie das ihrer Burkharda erspart.

Damit aber ist es vorbei mit der Identifikation ihrer Leserinnen. Leichenberge produzieren, nur um einen neuen Liebhaber zu kriegen? Nein, das ist es nicht. An Hera Linds Frauenphantasien haben schon viele eine Menge Geld verdient. Sie hätte ein Lektorat verdient, das gelegentlich mit der Faust auf den Tisch haut.

Hera Lind
Mord an Bord
Ullstein, 2000
ISBN 3-548-25095-5
EUR 8,95