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Henry Kissinger ist tot - Ein US-Außenminister aus Bayern

Daniel Scheschkewitz
30. November 2023

Der Friedensnobelpreisträger und Ex-US-Außenminister Henry Kissinger ist tot. Kissinger war nicht nur einer der bekanntesten Außenminister Amerikas, sondern bisher auch der einzige deutscher Herkunft.

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Henry Kissinger sitzt 2020 bei einer Diskussion in einem Sessel.
Henry Kissinger, der ehemalige Außenminister der USA ist im Alter von 100 Jahren gestorbenBild: Adam Berry/Getty Images

Henry oder Heinz Alfred Kissinger - wie er ursprünglich hieß - wurde am 27. Mai 1923 als Sohn des jüdischen Gymnasiallehrers Louis und seiner Frau Paula im bayerischen Fürth geboren. 1938 - Kissinger war damals gerade 15 Jahre alt - wanderte er mit seinen Eltern in die USA aus, um der Judenverfolgung der Nazis zu entgehen. Es folgte eine beispiellose Karriere, über die er bis ins hohe Alter selbst erstaunt zu sein schien. "Es erfüllt mich mit Stolz", sagte er bei der Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Fürth im Jahr 1998, "hier als ehemaliger Außenminister des vielleicht einzigen Landes der Welt zu stehen, in dem ein Adoptivbürger die Aufgabe und die Verantwortung übernehmen kann, die ich ausüben durfte."

Kissinger ging in New York zur Schule und diente die letzten beiden Kriegsjahre in der US-Armee, unter anderem in der militärischen Spionageabwehr. Das Studium an der berühmten Harvard-Universität schloss er mit einer Dissertation über das Gleichgewicht der Großmächte vor dem Ersten Weltkrieg ab. Seine Abschlussarbeit gehört heute zu den Klassikern der modernen Geschichtsschreibung.

Eine rasante politische Karriere

Schnell stieg Kissinger in den 1950er Jahren zum Direktor am Internationalen Seminar der Universität auf. In Politikerkreisen machte er sich durch seine brillanten Analysen des Ost-West-Konflikts einen Namen. Nach dem Bau der Mauer in Berlin riet er Präsident Kennedy von militärischen Gegenmaßnahmen ab. 1968 berief Präsident Nixon Kissinger zum außenpolitischen Berater. Vier Jahre später wurde er Nixons Mann für Sicherheitsfragen, 1973 dann Außenminister. Kissinger blieb auch im Amt, als Präsident Nixon wenig später über die Watergate-Affäre stürzte. "Analysiert man Watergate, so ist die ganze Affäre eine Serie von kleinlichen Dummheiten, die Nixon nicht gerade schmeicheln", attestierte er später. "Aber meiner Ansicht nach ist er zu hart bestraft worden."

USA Washington | Außenminister Henry Kissinger
Regierungsmitglied Kissinger (1973): Außenminister unter den Präsidenten Nixon und FordBild: Bob Daugherty/AP Photo/picture alliance

1973 erhielt Kissinger auch den Friedensnobelpreis, eine Auszeichnung, die wegen des US-Engagements im Vietnamkrieg durchaus umstritten war. In Geheimverhandlungen mit dem Vietkong hatte Kissinger dazu beigetragen, den für Amerika verlorenen Krieg zu beenden.

Kissinger für ein starkes Europa

Kissingers besondere Fähigkeit lag in seinem großen Vermögen, in geostrategischen Kategorien zu denken. So erkannte er nicht nur früh die Entwicklung Chinas zur Großmacht und leitete die amerikanische Öffnung zum Reich der Mitte ein, er begriff auch die Chancen, die sich aus dem friedlichen Zerfall der Sowjetunion ergaben. Zudem unterstützte er beratend die deutsche Wiedervereinigung.

Auch nach seiner Karriere als Berufspolitiker blieb Kissinger bis ins hohe Alter als Redner und Berater gefragt. Nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 und der amerikanischen Kriegspolitik in Afghanistan und im Irak warnte Kissinger vor einem Bruch der transatlantischen Partnerschaft. Er tat dies, ohne den Standpunkt seiner Wahlheimat Amerika jemals aufzugeben: "Es geht hier nicht um Unilateralismus gegen Multilateralismus, sondern um die Fähigkeit, einen gemeinsamen Zweck zu ersinnen. Wenn es den gibt, kommt Multilaterlismus gar nicht auf. Ein starkes Europa ist jedenfalls in unserem Interesse."

Für ein starkes Europa warb Kissinger weiterhin auch im hohen Alter: Im der Zuge der Eurokrise warnte er noch 2012 vor einem Rückfall Europas in alte Nationalstaatlichkeit. In einem Interview mit der Financial Times im Sommer 2018 antwortete er auf die Frage, ob der Trump-Schock dazu führen könnte, dass die anderen westlichen Länder endlich auf eigenen Füßen stehen: "Es wäre ironisch, wenn sich gerade das abzeichnen würde. Aber es ist nicht unmöglich." Aus seiner Sicht könnte Trump "eine jener historischen Figuren sein, die von Zeit zu Zeit auftauchen, um das Ende einer Ära zu markieren und um  diese zu zwingen, den alten Schein aufzugeben." Er warnte, dass wir in einer "sehr, sehr besorgniserregenden Zeit" leben.   

Der berühmte Politiker war bis zum Ende aktiv: Mit 95 arbeitete er noch an einem Buch über berühmte Staatsmänner und -frauen, unter anderem Margaret Thatcher. Auch nach seinem 100. Geburtstag im vergangenen Mai blieb Kissinger aktiv, nahm an Sitzungen im Weißen Haus teil, und sagte vor einem Senatsausschuss über die nukleare Bedrohung durch Nordkorea aus. Im Juli 2023 besuchte er überraschend den chinesischen Präsidenten Xi Jinping.

Am 29.11.2023 starb Kissinger in seinem Haus im US-Bundesstaat Connecticut. Die Beisetzung werde bei einer privaten Feier im Familienkreis stattfinden, hieß es. Eine Gedenkfeier solle zu einem späteren Zeitpunkt in New York stattfinden.