1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Heißes Herz und kühler Kopf"

Stephanie Höppner2. Februar 2014

Menschen helfen, Gutes tun - wer in die Entwicklungszusammenarbeit geht, will oft die Welt verbessern. Doch das Berufsbild hat sich rasant verändert: Gefragt sind mittlerweile vor allem Berater mit Hochschulabschluss.

https://p.dw.com/p/1B0UA
Zwei Männer - einer europäisch, der andere afrikanisch aussehend - sitzen nebeneinander (Foto: Tomas Halasz/DW)
Bild: Tomas Halasz/www.to-mas.net

Mal fällt der Strom aus, mal kommt kein Wasser aus dem Hahn: Thorsten Nilges wird in Kamerun nahezu täglich mit den Folgen von Armut konfrontiert. "Man sollte für alles offen sein", sagt er. Seit 2012 ist der 35-Jährige mit seiner Familie in dem zentralafrikanischen Land stationiert und arbeitet dort als entsandte Fachkraft für die katholische Bischofskonferenz vor Ort: Nilges setzt sich ein für den Schutz von Menschenrechten in Rohstoffabbaugebieten. Die katholische Hilfsorganisation Misereor finanziert seine Stelle, unterstützt durch Geld des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Nicht nur sein Arbeitsalltag ist herausfordernd. Schwierig sind auch die Situationen, in denen dem Sozialwissenschaftler die höchst unterschiedlichen Chancen und Privilegien des Lebens ganz praktisch vor Augen geführt werden - etwa dann, wenn zeitgleich zur Geburt seines gesunden Sohnes auch sein Kameruner Kollege ein Kind bekommt. Es ist ein Mädchen mit Albinismus, das vermutlich sein Leben lang unter einer Sehschwäche und einer höchst empfindlichen hellen Haut leiden wird - ohne die Möglichkeit, ein gut ausgebautes Gesundheitssystem in Anspruch nehmen zu können. Oder etwa dann, wenn auf Nilges Arbeitsweg die einheimischen Kinder am Kreisverkehr stehen und mit Putzlappen sein Auto bearbeiten, in der Hoffnung ein bisschen Geld zu verdienen.

Thorsten Nilges bei seiner Arbeit in Kamerun (Foto: privat)
Offen sein: Thorsten Nilges in KamerunBild: Thorsten Nilges

Der Sozialwissenschaftler versteht seinen Beruf - trotz dieser Herausforderungen - als Gewinn: "Man versucht etwas zu verändern und nicht einfach nur Geld zu verdienen und seinen Job zu machen." So wie der 35-Jährige wollen viele Menschen in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sein. Auf die 20 Traineeplätze der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bewerben sich jedes Jahr zwischen 1500 und 2000 Hochschulabsolventen.

Manche versuchen es auch ohne Ausbildung: "Gerade nach Katastrophenfällen bekommen wir viele Anrufe von Menschen, die sagen: Ich bin davon berührt, und ich möchte einfach helfen", erzählt Katharina Engels von der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe der DW. "Das ist sicherlich eine ehrenwerte Einstellung, aber es reicht nicht für eine Tätigkeit, die ich drei Jahre im Ausland ausführen will."

Weniger Praxis, mehr Beratung

Stattdessen steht den meisten ein langer Weg bevor: "In den letzten Jahrzehnten hat sich eine Akademisierung vollzogen", sagt Ulrich Heise von der GIZ im DW-Gespräch. Noch vor rund 20 Jahren wurden hauptsächlich Fachkräfte ins Ausland vermittelt, die dort auch in ihrem Beruf, zum Beispiel als Krankenschwester, tätig waren. Heute würde besagte Krankenschwester eher für die Beratung eines Gesundheitsdienstes eingesetzt. "In der Tendenz ist es also deutlich weniger "hands-on" und praktisch - es geht vielmehr um Netzwerkarbeit und Prozesssteuerung", sagt Heise, der für die Personalauswahl bei der GIZ mitverantwortlich ist.

Schild der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ (Foto: dpa)
Über 130 Länder, mehr als 16.000 Mitarbeiter: das ist die GIZBild: picture-alliance/dpa

Besonders gefragt sind Absolventen der Wirtschafts- und Politikwissenschaften, Pädagogik, Umweltwissenschaften, Geographie, Agrarwirtschaft oder Ingenieurwissenschaften. Daneben können sich Interessierte auch in zahlreichen Mastern zum Beispiel im Bereich Global Governance ausbilden lassen. Eine der renommiertesten Ausbildungsstätten ist das Berliner Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE). Ebenso wichtig sind Praktika, etwa bei Ministerien oder Nichtregierungsorganisationen.

Nicht nur die Tätigkeiten, auch die Themen haben sich verändert: Klimaschutz steht bei vielen Ländern ganz oben auf der Agenda. Und die Spanne der Einsatzländer wird breiter - sie reicht von fragilen Staaten wie Südsudan, Tschad oder Afghanistan bis hin zu Schwellenländern wie Brasilien, Indonesien oder Vietnam. Wer hier arbeitet kann als Juniorfachkraft bei der GIZ jährlich etwa 40.000 Euro verdienen, bei Führungspositionen sind auch rund 100.000 Euro möglich.

Soziale Kompetenz genauso wichtig

Neben der Fachkompetenz ist die Einstellung der Entsandten wichtig: "Es sollten Menschen sein mit klarem Kopf und ausgeprägtem Realitätssinn", sagt Heise. "Zu viel Idealismus ist schädlich und realitätsfern." Die beste Kombination seiner Ansicht nach: "Heißes Herz und kühler Kopf". Denn ein klassischer Fehler in den ersten Jahrzehnten der Entwicklungshilfe: Die Konzepte, die in den Geberländern funktioniert haben, eins zu eins auf die Nehmerländer zu übertragen. "Eine Lösung, die in Uganda gut angenommen und nachhaltig funktioniert, muss schon in Eritrea nicht mehr funktionieren und erst recht nicht in Peru oder Jordanien."

GIZ: Fachwissen als Exportgut

Diese Erfahrung teilt auch Thorsten Nilges in Kamerun. "In Deutschland denkt man so oft: Ich lerne hier etwas und werde zum Beispiel Experte für Rohstoffextraktion." Vor Ort seien dagegen andere Kompetenzen gefragt: Zuhören und im Gespräch die Probleme erkennen. "In Kamerun werden nicht die Ideen von Thorsten Nilges umgesetzt, sondern die der dortigen Bevölkerung", sagt er. Es gehe nicht um Selbstverwirklichung, sondern darum, Menschen auf diesem Weg zu unterstützen. "Das ist etwas, das man erstmal lernen muss."