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Deutschland: Regierung streitet wieder ums Geld

6. August 2024

Die Ampelkoalition in Deutschland streitet wieder um den Haushalt, obwohl sie sich Anfang Juli auf den Plan für 2025 geeinigt hatte. Nun äußert Finanzminister Lindner verfassungsrechtliche Bedenken.

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Auf einigen 100, 500 und 200 Euro-Scheinen sind in diesem Themenbild drei Stapel mit Ein-Euro und Zwei-Euro Münzen zu sehen
Bei der Suche nach Einnahmen für zusätzliche Ausgaben streitet die Ampel-Koalition mal wieder um Haushalt und FinanzenBild: Wolfilser/Zoonar/picture alliance

Nach nervenaufreibenden Wochen freute sich die Bundesregierung aus den drei Parteien SPD, Grüne und FDP auf erholsame Sommerferien. Trotz schlechter Umfragewerte und vieler Streitpunkte bei Sachthemen hatten die Spitzenvertreter der Ampel-Koalition Anfang Juli endlich Erfolg: Nach intensiven Verhandlungen und einer letzten Nachtsitzung einigten sie sich auf den Entwurf für den Haushalt 2025.

"Die Nerven zu verlieren, hinzuschmeißen, vor der Verantwortung wegzulaufen, dafür hätte ich als Bundeskanzler keinerlei Verständnis in dieser Zeit. Und die Bürgerinnen und Bürger schon zweimal nicht", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf einer Pressekonferenz in Berlin. 

Lindner will Nachverhandlungen

Danach verabschiedete sich Scholz in den Urlaub. Aber in Berlin ist der eigentlich beschlossene Haushaltsplan erneut zum heftigen Streitthema geworden.

In der vergangenen Woche verkündete Finanzminister Christian Lindner (FDP) , dass über einige Punkte im Haushalt neu verhandelt werden müsste. Gutachten, die Experten in seinem Ministerium erstellt hätten, seien zu dem Ergebnis gekommen, dass einige Punkte der Haushalts-Einigung verfassungswidrig seien. Dadurch gebe es im Etatentwurf eine Lücke von fünf Milliarden Euro.

SPD: "Das ist kein guter Stil"

Sofort begann in den Regierungsparteien eine heftige Debatte. Vertreter von SPD und Grünen  erregten sich vor allem darüber, dass Lindner die Öffentlichkeit gesucht hatte, anstatt zunächst intern mit den Regierungspartnern zu sprechen.

Der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert, sagte, es sei eine Art Selbstvermarktung des Finanzministers, wenn er an die Öffentlichkeit gehe, während der Kanzler im Urlaub sei: "Sich jetzt hinter vermeintlichen oder tatsächlichen Gutachten zu verschanzen und zu sagen, war alles nicht so gemeint, ist kein guter Stil." 

SPD-Chefin Saskia Esken bezeichnete das Vorgehen des Finanzministers in einem Post auf X, vormals Twitter, als "unanständig".

Ein alter Haushaltstrick weckt böse Erinnerungen

In der Debatte geht es vor allem darum, dass der Haushaltsplan vorsieht, die rund 4,9 Milliarden Euro, die für die sogenannte Gaspreisbremse vorgesehen waren, umzuwidmen und sie wie normale Haushaltsmittel zu verwenden. Bei einem Haushalt von insgesamt 480 Milliarden Euro klingt dies zunächst nicht nach einem großen Posten.

Doch die geplante Umwidmung weckt unangenehme Erinnerungen: Die Gaspreisbremse wurde Ende 2022 eingeführt, um die hohen Energiepreise in Deutschland nach dem russischen Angriff auf die Ukraine abzufedern. Obwohl die Gaspreisbremse inzwischen ausgelaufen ist, sind noch besagte 4,9 Milliarden Euro übrig. Warum dieses Geld nicht einfach verwenden, um die leeren Kassen aufzufüllen?

Lindners Experten äußerten Bedenken, da ein ähnlicher Trick – in weitaus größerem Umfang – die Regierung bereits früher in große Schwierigkeiten gebracht hatte. Im November 2023 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Regierung rund 60 Milliarden Euro nicht für den Klimaschutz verwenden dürfe.

Dieses Geld war ursprünglich dafür vorgesehen, die gravierenden Folgen der Corona-Krise zu bewältigen, wurde aber nicht ausgegeben. Seit dieser wegweisenden Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts fehlt der Regierung das Geld an allen Ecken und Enden.

Finanzminister Christian Lindner (FDP, links) , Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, Mitte) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, rechts) stehen im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin nebeneinander
Da war noch alles gut: Am 5. Juli stellten Finanzminister Christian Lindner (FDP, links), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, Mitte) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, rechts) den Haushaltsentwurf 2025 vorBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

FDP will sparen und keine neuen Schulden

"Das passiert mir nicht ein zweites Mal", sagte Lindner in Bezug auf das Karlsruher Urteil. Und er nutzte die Gelegenheit, sich als eisernen Sparkommissar der Regierung in Szene zu setzen. Der Bundesfinanzminister vergaß auch nicht, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu verteidigen, die grob besagt, dass der Staat im Wesentlichen nur so viel Geld ausgeben darf, wie er auch einnimmt .

Vertreter von SPD und Grünen plädieren aber schon lange dafür, die Schuldenbremse angesichts der herausfordernden Zeiten zu modernisieren und weniger streng auszulegen. Aber für Lindner und seine wirtschaftsliberale FDP ist die Schuldenbremse unverzichtbar.

Wirtschaftsweise auf Seiten der Liberalen

Unterstützung erhielt Lindner nun von der Ökonomieprofessorin an der Universität Nürnberg, Veronika Grimm. Sie ist eine der fünf "Wirtschaftsweisen", einem unabhängigen Gremium, das seit 1963 alle Bundesregierungen in Finanzfragen beraten hat. 

"Gerade in der aktuellen Lage sollte die Regierung unbedingt vermeiden, einen angreifbaren Haushalt aufzustellen", sagte sie der Funke Mediengruppe. Es dürfe nicht zur Gewohnheit werden, die Gesetzeslage zu ignorieren. "Könnte gegen den Haushalt wieder in Karlsruhe aussichtsreich geklagt werden, würde dies die Unsicherheit zusätzlich erhöhen und brächte auch die Akteure in Verruf", warnte Grimm.

Bundesfinanzminister Christian Lindner blickt im Kabinettssaal im Bundeskanzleramt in die Kamera. Er trägt eine rote Krawatte
"Das passiert mir nicht ein zweites Mal": Finanzminister Lindner will einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance/dpa

Nur eine Aufregung der Presse? 

Die Regierungsvertreter, die im Sommerloch in Berlin bleiben, bemühen sich derweil, die Wogen zu glätten. Bei der Pressekonferenz der Regierung wurde der stellvertretende Sprecher des Bundeskanzlers, Wolfgang Büchner, gefragt, wie er die erneuten Spannungen zwischen den Regierungsparteien bewerte.

"Die Berichterstattung über das Knirschen ist meistens lauter als das Knirschen selbst. Abgerechnet wird am Schluss. Und die Bundesregierung wird weiter gute Arbeit leisten und sich am Ende den Wählern stellen. Und dann müssen die Wähler das beurteilen", sagte er. 

Diese Wahl findet im kommenden Jahr, am 28. September 2025, statt. Im Moment ist kaum vorstellbar, wie die zerstrittene Koalition erneut eine Mehrheit der Stimmen erreichen könnte. Dem Haushaltsentwurf muss am Ende noch der  Deutsche Bundestag zustimmen.