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PolitikAfrika

Hat Macron das "undankbare Afrika" endgültig verprellt?

10. Januar 2025

Die frühere Kolonialmacht Frankreich hat in Afrika schon lange einen schlechten Ruf. Eine regelrechte Wutrede von Präsident Emmanuel Macron könnte die Gräben deutlich vertiefen. Was ist dran an seinen Vorwürfen?

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Emmanuel Macron und Umaro Sissoco Embalo fahren im offenen Wagen durch eine Palmenallee in Bissau
Emmanuel Macron 2022 in Guinea-Bissau mit Präsident Umaro Sissoco EmbaloBild: LUDOVIC MARIN/AFP/Getty Images

Emmanuel Macrons Gesichtsausdruck wirkt ernst, enttäuscht und frustriert. "Manche haben vergessen, Danke zu sagen", beklagt der französische Präsident - und wird noch direkter: "All die afrikanischen Regierungen hatten angesichts der öffentlichen Stimmung nicht den Mut, anzuerkennen, dass ihre Länder heute nicht souverän wären, wenn die französische Armee nicht in der Region aktiv gewesen wäre." Macron unterstreicht seine Aussage mit einem rhythmischen Auf und Ab des ausgestreckten Zeigefingers, die Augenbrauen ernst zusammengezogen.

Emmanuel Macron hält seine Rede vor den französischen Botschaftern unter einer prunkvollen Decke des Élyséepalasts.
Einmal jährlich versammelt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Botschafter seines Landes im Élyséepalast - die nach Afrika entsandten Diplomaten dürften nach ihrer Rückkehr einiges zu erklären habenBild: Aurelien Morissard/AP Photo/picture alliance

Diese Szene von Montag erregt seitdem viele Gemüter. Es ist ein Ausschnitt aus Macrons Rede vor den französischen Botschafterinnen und Botschaftern in aller Welt, die zu ihrer jährlichen Konferenz in den Pariser Élysée-Palast zusammengekommen waren. Zur Veranstaltung waren auch Medienvertreter eingeladen - es muss Macron also bewusst gewesen sein, dass seine brisanten Äußerungen ein Echo auslösen würden.

Nicht der erste derartige "Fehler" Macrons

Von einem "strategischen Fehler" spricht Nina Wilén vom belgischen Egmont-Institut für Internationale Beziehungen im Gespräch mit der DW. So etwas sei Macron schon mehrfach passiert: "Bei Besuchen in Afrika hat er schon mehrere Kommentare abgegeben oder unangebrachte Witze gemacht, die vom jeweiligen afrikanischen Gastgeber nicht goutiert wurden."

Unvergessen ist seine lockere Plauderstunde in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou Ende 2017 mit Studierenden und dem damaligen Staatschef Roch Marc Kabore. Es sei dessen Aufgabe, das Stromnetz zu stabilisieren, meinte Macron - schließlich sei Frankreich keine Kolonialmacht. Als Kabore für eine Toilettenpause den Raum verließ, rief Macron: "Seht, er geht die Klimaanlage reparieren!"

Emmanuel Macron steht an einem Rednerpult vor den Flaggen der EU, Frankreichs, der DR Kongo und der AU. Daneben sitzt Felix Tshisekedi.
Die DR Kongo war einst belgische Kolonie, unterhält als französischsprachiges Land aber dennoch enge Verbindungen nach FrankreichBild: JACQUES WITT/POOL/AFP/Getty Images

Ernster war die Stimmung bei einer Pressekonferenz in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa mit Gastgeber Felix Tshisekedi im Frühjahr 2023: Dieser beschwerte sich, Frankreich würde Wahlen in Afrika mit strengeren Standards bewerten als jene im Westen. Macron beschwichtigte, das sei die Einzelmeinung eines Journalisten und keine offizielle Position Frankreichs. Daraufhin unterbrach ihn Tshisekedi, sichtlich verärgert: Er beziehe sich konkret auf eine Aussage von Jean-Yves Le Drian - also keines Journalisten, sondern des damaligen französischen Außenministers.

Nina Wilén sieht Macrons jüngste Äußerungen in derselben Linie: "Es ist schwer zu sagen, ob es sich um durchdachte Kommentare handelt oder er einfach etwas ausspricht, was er wichtig findet. Auf jeden Fall unterminieren solche Kommentare die Anstrengungen so einiger französischer Diplomaten und Militärs, die das Image Frankreichs als arrogante frühere Kolonialmacht abschütteln wollen."

Sollte stattdessen Macron Danke sagen?

Aus Sicht von Juste Codjo, Assistenzprofessor für Sicherheitsstudien an der New Jersey City University und zuvor 20 Jahre Berufssoldat in Benin, sind Macrons Aussagen nicht zu rechtfertigen. So sei der französische Anti-Terror-Einsatz in Mali ab 2013 von französischen Interessen geleitet gewesen. "Auch aus historischer Perspektive ist es Unsinn: Macron vergisst anscheinend, dass Afrikaner gezwungen wurden, auf der Seite Frankreichs im Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie in Kolonialkriegen etwa im Indopazifik zu kämpfen."

Ein altes Bild zeigt senegalesische Soldaten in Uniform in einer europäischen Straße.
Lieferten ihren Beitrag zu französischen Siegen in zwei Weltkriegen: Sogenannte Tirailleure - auf dem Bild sind senegalesische Infanteristen im Ersten Weltkrieg zu sehenBild: The Print Collector/Heritage-Images/picture alliance

Frankreich wäre ohne wirtschaftliche, militärische, diplomatische und kulturelle Beiträge aus Afrika nicht dort, wo es heute steht, sagt Codjo zur DW. "Diese Beiträge wurden nie fair vergolten. Vielleicht sollte Präsident Macron still sein und stattdessen sagen: 'Danke, Afrika, dass du uns auf deinen Schultern hast stehen lassen.'"

Macron steht zu Hause unter großem Druck

Bei den Militärmissionen im Sahel hat Frankreich binnen eines Jahrzehnts 58 Soldaten verloren. Macron sei laut Diplomaten auch enttäuscht, dass trotzdem das Ziel einer gewissen Stabilität verfehlt wurde, sagt Lisa Louis, DW-Korrespondentin in Paris. "Dabei ist die Außenpolitik der einzige Bereich, den Macron in gewisser Weise noch für sich beanspruchen kann. Nach vorgezogenen Parlamentswahlen hat seine Partei in der Nationalversammlung nicht mehr die größte Fraktion", erläutert Louis. Der Premierminister gehöre zu einem anderen Lager und sei in seiner Politik unabhängig. Somit hat Macron kaum noch Einfluss auf die Regierung. "Doch diese Aussage wird den sowieso schon sehr geschwächten Macron wohl kaum beliebter machen."

Warum Frankreich bis heute als Kolonialmacht wahrgenommen wird

20 afrikanische Staaten blicken auf eine französische Kolonialgeschichte zurück, 14 von ihnen erlangten allein im "Afrikanischen Jahr" 1960 ihre Unabhängigkeit. Doch Paris behielt einen größeren Einfluss auf seine Ex-Kolonien als zum Beispiel Großbritannien oder Portugal: So wird in vielen Ländern der "Françafrique" mit zwei Varianten des Franc-CFA bezahlt - also Währungen, die mit festem Kurs direkt an den französischen Franc beziehungsweise inzwischen an den Euro gekoppelt sind. Als Guinea 1960 eine eigene Währung einführte, brachte der französische Geheimdienst sogar Falschgeld in Umlauf, um den Guinea-Franc zu destabilisieren.

Ähnlich präsent blieb Frankreich auch in der Sicherheitspolitik vieler formell unabhängiger Länder: Die französische Armee verfügte über zahlreiche Stützpunkte in ganz Afrika. Doch dieser Einfluss nahm in den letzten Jahren rapide ab: Nach Militärputschen in den Sahel-Staaten Mali, Burkina Faso und Niger warfen die neuen Machthaber die alte Schutzmacht raus. Stattdessen wurde Russland als neuer Partner hofiert. Dessen Sicherheitskräfte bieten aus Sicht von Experten zwar keinen langfristigen Schutz vor Islamisten und Tuareg-Rebellen, sie werden wohl aber als Garanten für den Machterhalt der Regime geschätzt.

Ein Abschied nach dem anderen für Frankreichs Militär

Bald bleiben nur noch Gabun und Dschibuti als Stützpunkte übrig: Rund um Weihnachten verkündeten der Senegal, der Tschad sowie kurz darauf die Elfenbeinküste ein Ende der Partnerschaften mit Frankreich - erste Soldaten wurden bereits abgezogen.

"Frankreich zieht sich nicht zurück, wir organisieren uns bloß um", sagte Macron in seiner Rede vor den Botschaftern. "Wir haben den afrikanischen Staatschefs vorgeschlagen, uns neu aufzustellen. Da wir sehr höflich sind, haben wir es ihnen überlassen, dies anzukündigen", sagte er weiter.

Ein CJ27-Spartan-Transportflugzeug der tschadischen Armee, einzelne Männer sind auf dem Rollfeld
Einen ersten Stützpunkt im Tschad hat Frankreich bereits geräumt - hier ein Transportflugzeug der tschadischen Armee auf dem Flugplatz Faya-Largeau im Norden des LandesBild: Aurelie Bazzara-Kibangula/AFP/Getty Images

Der tschadische Staatschef Idriss Déby Itno wies diese Darstellung zurück: "Die Entscheidung, die militärische Zusammenarbeit mit Frankreich zu beenden, ist eine souveräne Entscheidung des Tschads", betonte er. Macrons Haltung sei Ausdruck einer "herablassenden Haltung gegenüber Afrika und den Afrikanern".

Auch Sicherheitsexperte Codjo glaubt nicht an vorherige Beratungen mit Senegal und Tschad. Hingegen mutmaßt er, dass Macron die Elfenbeinküste bedrängt haben könnte, als dem Präsidenten unmissverständlich klar wurde, dass Frankreichs Präsenz in Senegal und Tschad nicht länger willkommen war: "Es war womöglich ein strategischer Schritt, Präsident Ouattara zu drängen, Frankreichs Rückzug aus der Elfenbeinküste zu akzeptieren." In der Elfenbeinküste sind aktuell noch rund 600 französische Soldaten stationiert. Ihr Stützpunkt wird von der ivorischen Armee übernommen. Ouattara sagte in seiner Neujahrsansprache, das Land könne stolz auf seine Armee sein, deren "Modernisierung nun abgeschlossen ist".

Mitarbeit: Phil Gayle