Hass im Netz bei Olympia: Können Athleten geschützt werden?
31. Juli 2024Owen Ansah hat es geschafft. Er ist der schnellste deutsche Sprinter. Der erste, der die 100 Meter in unter zehn Sekunden gelaufen ist. Bei den Deutschen Leichtathletik -Meisterschaften Ende Juni brauchte er nur 9,99 Sekunden für die Prestige-Strecke. Doch die Headlines dominierte nach seinem Erfolg etwas anderes: Rassistische Kommentare im Netz, die ihm aufgrund seiner Hautfarbe das Deutsch-sein absprachen. Ansah musste sich mehr Fragen zu den Hasskommentaren stellen als zu seiner außergewöhnlichen Leistung.
Doch ihn selbst interessiert das Thema nicht. "Ich konzentriere mich auf die positiven Sachen. Die Hater sind nun mal da. Dagegen kann man nichts machen. Da gucke ich gar nicht erst drauf" sagt Ansah der DW.
"Owens Leistung mit solchen Aussagen in den Schatten zu rücken, ist einfach nur traurig", sagt der in Angola geborene ehemalige deutsche Sprinter Aleixo-Platini Menga. "Ich bin froh und weiß, dass er ein starkes Umfeld hat und sich von niemandem seine Leistung schlecht reden lässt."
Woher kommt der Hass im Netz?
Immer wieder lösen Sportereignisse solche Hasskampagnen aus. So gab es vor Ansahs Rekord auch rassistische Äußerungen gegen die deutschen Fußballer Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam bei der U21-Europameisterschaft Mitte 2023 in Rumänien und Georgien. Der Grund: Sie hatten im Spiel gegen Israel Elfmeter vergeben. Auch bei der U17-Weltmeisterschaft in Indonesien im Herbst 2023 gab es trotz des Erfolgs des DFB-Teams Hasstiraden im Internet.
"Selbstbewusste und erfahrene Athleten haben vielleicht schon Mechanismen entwickelt, damit sie sich von Hasskommentaren nicht aus der Fassung bringen lassen", sagt Menga der DW. "Aber wir müssen hier auch an den Nachwuchs denken, der schon sehr früh mit Social Media zu tun hat. Dort können solche Kommentare verheerende Folgen haben."
Sogenannte "Hate-Influencer" teilen die Beiträge in Gruppen, um Hass zu verbreiten. "Unglaublich viele Personen fallen darauf herein und lassen sich 'anzünden'", sagt Oberstaatsanwalt Benjamin Krause. Der Jurist arbeitet für die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT). Sie kooperiert mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), um während der Olympischen Spiele in Paris gegen Hate Speech vorzugehen.
Mit KI gegen Hasskommentare
Der DOSB setzt zum ersten Mal eine künstliche Intelligenz (KI) ein, um Hasskommentare schneller zu finden. Die KI durchforstet Kommentarspalten nach bestimmten Wörtern oder Wortkombinationen. Sobald sie einen Kommentar markiert, entscheidet der DOSB, ob sie ihn rechtlich prüfen lassen will. Auch das Internationale Olympische Komitee setzt in Paris erstmals zum Schutz der Athleten eine solche KI ein.
Sobald die Kommentare bei der ZIT landen, wird geprüft, ob die Kommentare rechtlich verfolgt werden können. Und das ist kompliziert. Juristisch kann dasselbe Wort - je nachdem, in welchem Kontext es verwendet wurde - rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen oder eben nicht. Es ist Interpretationssache. "Wenn es einen Sachbezug hat, ist Kritik, auch völlig unbrauchbare Kritik, von der Meinungsfreiheit geschützt", sagt Oberstaatsanwalt Krause der DW. Das heißt: Es hat möglicherweise keine Konsequenzen, wenn ein Schimpfwort in Verbindung mit Kritik an einer sportlichen Leistung benutzt wird. Wenn es um die reine Herabstufung von Personen geht, zum Beispiel aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe, ist die juristische Verfolgung wahrscheinlicher.
Während der Olympischen Spiele beobachtet Krause im Internet "sehr, sehr viele rassistische Äußerungen, in denen dann beispielsweise gesagt wird: 'Es sind keine Deutschen und die sollen nach Afrika gehen.' Das ist eine ganz verrückte Rassenideologie." Damit es künftig weniger von diesen Aussagen gibt, soll es häufiger rechtliche Konsequenzen für die Urheber der Posts geben. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Geldstrafen oder die Verpflichtung zu sozialen Trainingskursen.
Das betrifft auch scheinbar anonyme Accounts. Die sozialen Plattformen müssen bei der Identifizierung von Usern helfen und alle Daten an die Behörden weitergeben. So findet das ZIT in rund 80 Prozent der Fälle heraus, wer sich hinter einem anonymen Account versteckt.
Das Problem mit dem Strafantrag
Eine Hürde für eine Verurteilung besteht darin, dass die Athleten in vielen Fällen den Strafantrag selbst stellen müssen. Das liegt daran, dass rechtlich eine Beleidigung auch als solche wahrgenommen werden muss. Viele Athleten, wie Owen Ansah, wollen sich jedoch so wenig wie möglich mit dem Thema beschäftigen. Gerade bei den Olympischen Spielen will man die Athleten nicht noch zusätzlich damit belasten, sich mit Hasskommentaren im Netz auseinandersetzen zu müssen. Die Folge: Es kommt seltener zu Konsequenzen für die Täter.
Um das zu ändern, liegt nun ein Vorschlag auf dem Tisch des Justizministers. Danach müssten die Athleten nicht mehr selbst einen Strafantrag stellen. Das würde die Staatsanwaltschaft übernehmen. Die Beleidigung eines deutschen Olympia-Starters würde dann genauso behandelt wie die Beleidigung eines Politikers, der Deutschland repräsentiert. Laut Oberstaatsanwalt Krause gibt es allerdings noch "keine Signale", dass dieser Vorschlag auch in die Tat umgesetzt wird.
"Rassismus darf nicht zur Normalität werden"
"Wenn der ganze Rassismus [im Internet - Anm. d. Red.] stehen bleiben würde, hieße das, dass es kein Rechtsverstoß ist. Deswegen würden Personen irgendwann sagen: 'Es ist doch völlig normal, dass man Menschen, nur weil sie anders aussehen oder anders handeln, rassistisch beleidigt oder bedroht'", sagt Jurist Krause. "Deshalb wollen wir gerade bei großen Veranstaltungen wie den Olympischen Spielen zeigen, dass das nicht normal ist und auch strafrechtlich verfolgt wird."
Owen Ansah hat bei den Spielen ein ganz anderes Ziel. "Ich möchte meinen eigenen Rekord nochmal brechen", sagt der 100-Meter-Sprinter der DW. Das wäre die wahrscheinlich beste Antwort auf die Hasskommentare im Netz.