Haiti wechselt den Ministerpräsidenten aus
11. November 2024Die politische Krise in Haiti verschärft sich. Nach nur fünf Monaten im Amt ist der Ministerpräsident des Karibikstaates ausgetauscht worden, wie das Amtsblatt "Le Moniteur" verkündete. Der Präsidialrat von Haiti ersetzte Garry Conille demnach durch den Geschäftsmann Alix Didier Fils-Aimé. Dem Amtsblatt zufolge beschloss der Übergangsrat - der aus Vertretern unterschiedlicher Gruppen aus Politik und Zivilgesellschaft Haitis besteht - die Entlassung Conilles einstimmig. Die US-Zeitung "Miami Herald" berichtet, der Regierungschef und das Gremium hätten sich überworfen: Der Übergangsrat wollte demnach mehrere Minister gegen Conilles Willen austauschen.
Bislang ist indes unklar, ob der Übergangsrat überhaupt ermächtigt ist, den Regierungschef zu entlassen. Die erneute Zuspitzung der Lage droht, ein Machtvakuum in Haiti zu schaffen - und die Lage im Land erneut zu verschärfen. Die Schaffung des Präsidialrates war erst am 11. März bei einem Treffen der Karibischen Gemeinschaft Caricom in Jamaika als Ausweg aus der schweren Staats- und Sicherheitskrise in Haiti vereinbart worden.
Entlassung rechtmäßig?
Conille, der das Land bereits vor über einem Jahrzehnt kurzzeitig geführt hatte, zweifelte in einem Schreiben die Legitimität seiner Absetzung an und sprach von "Machtmissbrauch". Der Übergangsrat habe zwar die Macht, einen Ministerpräsidenten zu ernennen, nicht jedoch, ihn abzusetzen. "Diese Resolution, außerhalb jedes rechtlichen und verfassungsmäßigen Rahmens getroffen, wirft ernsthafte Bedenken hinsichtlich ihrer Legitimität und ihrer Auswirkungen auf die Zukunft unseres Landes auf", heißt es in dem Dokument. Der Politiker erklärte weiter, er akzeptiere die Entscheidung jedoch, um die Krise des Landes nicht zu vertiefen, erklärte er.
Conille war erst Ende Mai von dem Rat zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Der Arzt und ehemalige UNICEF-Regionaldirektor war angetreten, um der Korruption und der Bandengewalt in Haiti Einhalt zu gebieten. Zudem sollte er mit der neuen Übergangsregierung das Land aus einer anhaltenden politischen und sozialen Krise führen. Seit der Kabinettsbildung im Juni hatte Conille nach einem Bericht der Zeitung "Miami Herald" jedoch Konflikte mit einem Großteil des Übergangsrates.
Präsidialrat steht in der Kritik
Während US-Außenminister Antony Blinken nach einem Besuch auf Haiti im September Fortschritte konstatierte, haben sich Vertreter der haitianischen Zivilgesellschaft ernüchtert gezeigt. Doch auch der provisorische Präsidialrat ist harscher Kritik ausgesetzt: Drei seiner acht Mitglieder sind in einen Korruptionsskandal verwickelt.
Haiti ist das ärmste Land des amerikanischen Kontinents und leidet seit Jahren unter der Gewalt schwer bewaffneter Banden, die weite Teile der Hauptstadt Port-au-Prince und umliegende Gebiete größtenteils unter ihrer Kontrolle haben. Dies führte zu zunehmender Gewalt, Hunger und Vertreibungen.
Gewählt wurde in Haiti zuletzt im Jahr 2016. Der letzte Präsident Jovenel Moïse wurde 2021 erschossen. Erst vor etwa einem Monat wurden bei einem Bandenüberfall auf eine kleine Ortschaft in Haiti nach UN-Angaben mindestens 70 Menschen getötet. Mit einer Eskalation der Gewalt ab Ende Februar zwangen die kriminellen Banden den damaligen Interims-Ministerpräsidenten Ariel Henry im April 2024 zum Rücktritt.
Internationale Polizeitruppe
Sein Nachfolger Garry Conille versuchte seitdem, die Ordnung wiederherzustellen - unter anderem mit Hilfe einer multinationalen Sicherheitsmission. Die Schutztruppe unter der Führung Kenias bemüht sich derzeit um die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung in Haiti. Die Sicherheitsmission mit geplanten 3.000 Einsatzkräften war im Oktober vergangenen Jahres vom UN-Sicherheitsrat genehmigt worden. Erst im Juni kamen die ersten kenianischen Polizisten in Haiti an - bisher sind es nur wenige Hundert Beamte.
Die Lage im Land hat sich bisher noch nicht durchgreifend gebessert. Im Oktober teilten die Vereinten Nationen mit, dass allein in dem Karibikstaat von Juli bis September mehr als 1200 Menschen getötet worden seien. Entführungen und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen sind demnach an der Tagesordnung. Infolge der Bandengewalt sind UN-Angaben zufolge mehr als 700.000 Menschen in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land auf der Flucht.
kle/sti (epd, dpa, rtr, afp)