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PolitikTaiwan

Görlach Global: Politisches Patt in Taiwan

Alexander Görlach
31. Dezember 2024

Taiwan steckt in einer politischen Krise, in der sich Regierung und Parlament blockieren. Das erinnert nicht nur an die Staatskrise in Südkorea. Es drängen sich auch historische Lehren auf, meint Alexander Görlach.

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Rechts im Bild steht ein Mann (Taiwans Präsident Lai Ching-te) an einem Rednerpult, links weht Taiwans Nationalflagge (Nationalfeiertag 2024).
Machtkampf in Taiwan - Gegenwind für Präsident Lai Ching-teBild: Ann Wang/REUTERS

Nur einen knappen Monat nach dem versuchten Staatsstreich in Südkorea erlebt auch das benachbarte Taiwan eine Verfassungskrise. Beide Länder haben gemeinsam, dass die politische Macht auf zwei Parteien verteilt ist. Im demokratischen Süden der koreanischen Halbinsel steht auf der einen Seite der konservative Präsident, auf der anderen eine liberale Parlamentsmehrheit. Im Inselstaat Taiwan ist es umgekehrt: Die liberale Demokratische Fortschrittspartei (DPP) stellt den Präsidenten und die Regierung - das Parlament dagegen wird von den konservativen Nationalisten der Kuomintang (KMT) dominiert.

Südkorea kämpft um seine Demokratie – wieder einmal

Auf Taiwan sind es die Nationalisten, die eine Krise provozieren. Sie wollen die Regeln neu verhandeln, nach denen sieben derzeit leere Richterstühle am Verfassungsgericht neu besetzt werden. Die Regierung hat dafür sieben Personen vorgeschlagen. Das Druckmittel der KMT ist, diese Vorschläge nicht zu bestätigen. So liegt der Gerichtsbetrieb lahm.

Zwar wird Taiwans Präsident Lai Ching-te diesen Stillstand sicher nicht als Vorwand missbrauchen, um das Kriegsrecht auszurufen - anders als Südkoreas inzwischen suspendierter Präsident Yoon Suk Yeol, der genau das getan hatte. Aber sollte Lai nicht nachgeben, dann wäre Taiwan mit einer ebenso handfesten Staats- beziehungsweise Demokratiekrise konfrontiert wie Südkorea. Und das in einem Moment, in dem Taipeh unbedingt handlungsfähig bleiben muss.

Kuomintang: Pro-Peking-Propaganda in Taiwan

Angesichts der nahenden Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident, angesichts der Kriegsgefahr durch die Volksrepublik China und der gefährlichen Lage in der Straße von Taiwan und im westphilippinischen Meer, braucht das Land eine belastbare und gute Führung. Genau das hintertreiben die Nationalisten von der KMT mit Absicht, sagen ihre Kritiker.

Alexander Görlach steht mit verschränkten Armen vor einer Betonwand und blickt lächelnd in die Kamera.
DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: privat

Die KMT ist traditionell Peking-nah und könnte sich eine "Wiedervereinigung" mit dem chinesischen Festland durchaus vorstellen. Nach wie vor gibt es Nationalisten, die ihren "Generalissimus" Chiang Kai-shek verehren. Er war im chinesischen Bürgerkrieg der Gegenspieler Mao Zedongs, unterlag ihm schließlich 1949 und zog sich auf die Insel zurück, wo er ein Terrorregime errichtete. Chiang teilte mit Mao nicht viel - außer der Auffassung, dass die Insel Taiwan ein Teil Chinas sei. Die KMT heute ist dieselbe Partei, die Chiangs fast vier Jahrzehnte währende Gewaltherrschaft absicherte.

Allerdings folgen heute nur noch die wenigsten Inselbewohner der Auffassung der KMT, dass die Zukunft Taiwans in einer größeren Annäherung an die Volksrepublik China liegt. Die Bewohner geben in Umfragen mit großer Mehrheit an, sich als Taiwaner zu fühlen. Am Status quo wollen sie nicht rütteln. Die KMT muss also mit Kniffen und Tricks versuchen, ihre Pro-Peking-Agenda durchzusetzen. Gleichzeitig erfreut sich allerdings auch die liberale DPP keineswegs ungeteilter Beliebtheit. Die Partei steht vor allem bei jungen Wählern in der Kritik und muss sich angesichts steigender Mieten und Lebenshaltungskosten als die linke Kraft erweisen, die sie vorgibt zu sein.

Taiwan und Südkorea: Einst Vorbilder der Demokratisierung

Hier zeigen sich wieder Parallelen zu Südkorea. Auch dort ist die Geschichte der Konservativen eng verwoben mit der Militärdiktatur des Landes. Beide Länder begannen Ende der achtziger Jahre, sich zu demokratisieren. In beiden Ländern, in Südkorea und Taiwan, wurde der Übergang zur Demokratie dadurch erkauft, dass die ehemaligen Unterdrücker weiterhin einbezogen wurden. Und beide Länder zeigen, dass dieser Preis zunächst einen gewaltfreien demokratischen Aufbruch ermöglicht hat.

Deutsche Fregatte im Südchinesischen Meer

Heute aber, fünfunddreißig Jahre später, wird sichtbar, dass totalitäre Akteure, die sich vermeintlich in demokratische Politiker gewandelt haben, ihr autoritäres Erbgut nicht aufgeben wollen. Sie können demokratische Projekte torpedieren und sogar rückabwickeln. Diese Entwicklung ist derzeit gleich in zwei der Demokratien Ostasiens zu sehen. Das hat potentiell fatale Konsequenzen für die demokratische Welt insgesamt. Taiwan und Südkorea galten ihr einst als neue Vorbilder - Vorbilder, die sie angesichts der Eiszeit, die die Demokratien der Alten und Neuen Welt befallen hat, so dringend braucht.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Adjunct Professor an der Gallatin School der New York University, wo er Demokratietheorie unterrichtet. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die Demokratien in Asien bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und den Universitäten von Cambridge und Oxford inne. Alexander Görlach lebt in New York und in Berlin.