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Politik

Chinas Einfluss auf Putin ist begrenzt

Alexander Görlach - Carnegie Council for Ethics in International Affairs
Alexander Görlach
11. Oktober 2022

Russlands Präsident droht mit einem Atomschlag. In dieser Situation braucht es besonnene Akteure mit Zugang zu Putin. Doch Chinas Staatschef Xi ist zuletzt immer weiter von ihm abgerückt, meint Alexander Görlach.

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Wladimir Putin mit Xi Jinping in Samarkand
Wieviel haben sie sich noch zu sagen? Chinas Staatschef Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin, hier auf dem SCO-Gipfel in Usbekistan im September 2022Bild: Sergei Bobylyov/Sputnik/AFP

Russlands Vergeltung für die Zerstörung der wichtigen Versorgungsbrücke auf die seit 2014 besetzte Krim ließ nicht lange auf sich warten. Acht Menschen sollen bei der Bombardierung Kiews getötet worden sein. Es waren die ersten Raketen auf die Hauptstadt seit Juni diesen Jahres. Machthaber Putin hatte Rache geschworen und prompt geliefert. Das lässt eine weitere im Raum stehende Drohung in einem anderen Licht erscheinen. Die Drohung Russlands, den Krieg gegen die Ukraine mit einem Atomschlag für sich zu entscheiden. 

Wer hat noch Zugang zu Putin?

Zwar sprach US-Präsident Biden davon, dass die Welt seit der Kuba-Krise 1962 einem nuklearen Armageddon nicht so nahe gekommen sei wie dieser Tage. Allerdings kommentierte das Pentagon den Redebeitrag des Commander in Chief, sagend, dass es derzeit keine neuen Erkenntnisse gäbe und die US-Streitkräfte ihre Waffen nicht in Kampfbereitschaft versetzen würden. 

In der vorliegenden Gemengelage sind vor allem Akteure vonnöten, die Zugang zum russischen Präsidenten haben und ihn davon überzeugen können, dass ein Nuklearschlag verheerende Folgen für Russland haben würde. China und Indien drängen sich auf, die beiden bevölkerungsreichsten Nationen der Erde, die immer noch Beziehungen zum Kriegstreiber im Kreml unterhalten. Indien hat bislang von russischen Öllieferungen profitiert und sich in der internationalen Arena nicht gegen Putin positioniert. Chinas Führer Xi ist in den vergangenen Wochen Stück um Stück von Putin abgerückt. Die Nuklear-Drohung Putins dürfte die Absetzbewegung in Delhi und Peking verstärkt haben. 

Autorenbild | Alexander Görlach
DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Das Magazin Politico meldete, dass die USA versuchen, auf die Partner Moskaus in der Nachbarschaft Russlands und auf Indien einzuwirken. Washington hofft, dass diese Akteure dem russischen Machthaber klar machen können, dass die ökonomischen und diplomatischen Konsequenzen eines Nuklearschlags massiv und drastisch sein würde. Die Biden-Administration scheint jenseits der starken endzeitlichen Rhetorik des Präsidenten nach wie vor davon auszugehen, dass ein potentieller Atomschlag mit einer taktischen Waffe ausgeführt werden würde, deren zerstörerische Wirkung sich in unmittelbarer Nähe des Einschlags entfalten, nicht aber NATO-Territorium bedrohen dürfte. Experten weisen allerdings darauf hin, dass mit einem solchen taktischen Schlag die ukrainische Armee nicht zu besiegen wäre. Ein Schlag mit einer taktischen, "kleinen” Atomwaffe hätte also nur symbolische Wirkung: Wenn ihr jetzt nicht aufgebt, dann setzen wir die großen Kaliber ein. 

Hoffen auf China

Auch bei der NATO hofft man, dass Chinas Machthaber Xi seinen Freund Putin überzeugen kann, von seiner Atomdrohung abzurücken. Die ehemaligen zentralasiatischen Staaten, die von Russland zur Zeit der Sowjetunion besetzt waren und in denen heute Peking seinen Einfluss ausbauen möchte, fühlen sich angesichts des Kriegs in der Ukraine an alte, sowjetische Zeiten zurück erinnert. Unruhe in ihrer unmittelbaren Nähe kann die Volksrepublik nicht gebrauchen. Alleine in Kasachstan hat die Kommunistische Partei Chinas über ihre Einflussmaschine, die "Belt and Road Initiative”, rund 19 Milliarden Dollar in Bahnhöfen und Schienen verbaut. Pekings Traum ist es, eine kommerzielle Bahntrasse in Richtung Europa zu bauen. Ohne die ehemaligen Sowjetrepubliken geht das nicht. 

China Chongqing | Symbolbild wirtschaftliche Beziehungen China - Deutschland
Ein chinesischer Güterzug nimmt Kurs auf Duisburg; Peking sieht durch den Ukraine-Krieg seine "Neue Seidenstraße" in GefahrBild: Tang Yi/Xinhua News Agency/picture alliance

Chinesische Staatsmedien jedenfalls dürfen mittlerweile die Mobilmachung Russlands und die Atomdrohung Putins offen kritisieren, ein Novum, denn bislang haben sich diese Sprachrohre der Kommunistischen Pater derselben Sprache bedient wie der Kreml und den Krieg eine "militärische Spezialoperation” genannt. Ein Kommentator in der Parteizeitung "Global Times” sagte, dass Putins Atomdrohung den Weltfrieden gefährde. "Wenn Herr Putin glaubt, er könne den Krieg nur mit dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen gewinnen, dann werden er und seine Regierung fallen”, heißt es in dem Text laut der Übersetzung von Asia News. 

Pekings Medien haben nicht direkt die Annexion der ukrainischen Landesteile in gefälschten Referenden kritisiert. Diese will Putin nutzen, um einen Nuklearschlag zu rechtfertigen, da jeder Versuch der Ukraine, ihr eigenes Territorium zurück zu erobern, vom Kreml nunmehr als Angriff auf sein eigenes Territorium gewertet werden würde. Für einen solchen Fall behält sich Russland das Recht "zur Selbstverteidigung” vor. Allerdings hat Chinas Außenminister Wang Yi am Rande der UN-Vollversammlung Ende September gesagt, dass jedes Land Respekt vor seiner Souveränität verdiene. Dies wurde als Kritik an der Landnahme Russlands gewertet. 

Diplomatischer Vorstoß aus Delhi?

In der vergangenen Woche sprachen die Präsidenten Indiens und der Ukraine, Modi und Selenskyj, miteinander am Telefon. Veröffentlichungen der beiden Büros im Anschluss legen nahe, dass Delhi sich als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine ins Spiel bringen will. Narendra Modi sagte demnach, dass es keine militärische Lösung für den Konflikt gebe und die beiden Parteien verhandeln sollten. Selenskyj lehnte dies unter Verweis auf die Scheinreferenden im Donbas ab. Vor dem Hintergrund der Annexion und gewaltsamen Loslösung von Landesteilen der Ukraine seien Verhandlungen nicht mehr möglich. Die Ukraine werde kein Territorium an Putin abtreten. 

Wladimir Putin mit Narendra Modi in Samarkand
Auch Indiens Präsident Modi konnte Putin bislang nicht von seinem Kurs abbringenBild: Alexandr Demyanchuk/SPUTNIK/AFP

Modi und Putin trafen sich zuletzt am 16. September am Rande des Gipfels der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit, einer Runde von Staaten in Zentralasien unter der Führung Pekings. Bei der kurzen Begegnung sagte der indische Präsident zu Putin, dass die gegenwärtige Zeit keine Ära für Kriege mehr sei. Für diese Äußerung wurde er von demokratischen Staats- und Regierungschefs gelobt. Gleichzeitig hat die indische Initiative es nicht vermocht, den russischen Machthaber von seinem Kriegskurs abzubringen. 

Weiterhin die Hoffnung auf Peking zu setzen, ist verfehlt. Dort wird gerade unter Hochdruck der XX. Parteikongress vorbereitet, der am 16. Oktober beginnen wird und auf dem Xi ein weiteres Mal zum Präsidenten ausgerufen werden soll. Das Verhältnis zwischen Xi und Putin ist keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Die gegenseitige Unterstützung, Putin in Sachen Taiwan, und Xi bezüglich der Ukraine, hat nur deshalb bis hierher funktioniert, weil sich hier die Interessen der beiden Diktatoren nicht kreuzen. Sobald sich das ändert, mag sich das schnell ändern. Da die Volksrepublik es aus Angst vor westlichen Sanktionen abgelehnt hat, Russland mit Waffen zu versorgen, wird der Kreml vielmehr Peking mit verantwortlich machen, wenn die russische Armee wirklich zu einem Atomschlag ausholen sollte. 

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne.