Großer Tag für den Dalai Lama
6. Juli 2005
Als ein Umfrage-Institut in Deutschland kürzlich ermitteln wollte, wen die Deutschen für den weisesten lebenden Menschen auf Erden halten, lag der Dalai Lama mit einem Drittel der Nennungen weit vor dem inzwischen verstorbenen Papst Johannes Paul II., Südafrikas Freiheitshelden Nelson Mandela und UN-Generalsekretär Kofi Annan.
Mit fünf Jahren an die Macht
Der so Geschätzte wurde am 6. Juli 1935 im Nordosten Tibets geboren. Mit nur fünf Jahren bestieg er den Löwenthron, mit 15 erhielt er auch die weltliche Macht, denn der chinesische Einmarsch stand unmittelbar bevor. Das Ende seiner Jugend betrachtet er selbst mit gemischten Gefühlen: "In der Zeit, als ich die Verantwortung auf mich genommen habe, oder besser gesagt, als die Verantwortung unter schwierigen Bedingungen auf meine Schultern gelegt wurde, war ich noch jung, sehr jung und allein mit der Bürde der Macht. Ich hatte keine Erfahrung mit der traditionellen Art des Regierens. Ich war wirklich nur ein sehr fauler, dummer, jünger Mönchsstudent."
Kein Hass gegen die Chinesen
Unter der chinesischen Besetzung blieb dem Dalai Lama nur noch die Flucht, um sein Leben zu retten. Seit 1959 lebt er im nordindischen Dharamsala. Ungeachtet der traumatischen Erfahrungen hegt er keinen Hass gegenüber den Chinesen und seinem erzwungenen Aufenthalt im Exil kann er sogar Positives abgewinnen: "Das Schlimmste in all diese Jahren sind die Nachrichten aus Tibet, die fast alle traurig in einigen Fällen sogar herzzerreißend sind. Aber wenn ich auf die letzten vierzig Jahre zurückschaue, so sehe ich auch, wie das Bewusstsein für Tibet gewachsen ist. Dazu hat meine Anwesenheit außerhalb des Landes einen kleinen Beitrag geleistet."
Einfluss aus dem Exil
Der Kampf für die Freiheit Tibets prägt sein Leben, doch er ist nicht bereit, jeden Preis dafür zu zahlen. Es gibt etwas, das ihm noch wichtiger ist, nämlich die Wahl der richtigen Mittel. Politischer Pragmatismus, der sich an dem orientiert, was gerade erfolgversprechend erscheint, ist ihm vollkommen fremd. So ist sein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit nicht taktischer Natur angesichts der chinesischen Übermacht, sondern seine tiefe Überzeugung. Um die völlige Zerstörung der tibetischen Kultur zu verhindern, akzeptiert der Dalai Lama die chinesische Herrschaft, wenn Tibet im Gegenzug eine wirkliche Autonomie gewährt wird. Diese Initiative stößt unter vielen Tibetern auf unverhohlene Kritik. Damit würden im Vorfeld von Verhandlungen Kompromisse eingegangen werden, die vielleicht an deren Ende stehen könnten, bemängeln viele.
Ähnlichkeiten mit Gandhi?
Auch seine Strategie löst zusehends Irritationen aus: Häufig wird der Dalai Lama mit Mahatma Gandhi verglichen, doch ihre Vorgehensweisen unterscheiden sich grundlegend. Als der Tibetische Jungendkongress im März 2004 vor dem UN-Hauptquartier in New York einen unbefristeten Hungerstreik begann, wurden er vom Dalai Lama heftig kritisiert: Ein solches Mittel sei Gewalt gegen sich selbst.
Erste Erfolgsaussichten
Immerhin, einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es, dass die Politik des Dalai Lama doch nicht ganz ohne Resonanz in Tibet bleibt. Seit Herbst 2002 konnte eine von ihm ernannte Delegation drei Mal China und Tibet besuchen. Es war der erste Kontakt nach neun Jahren völliger Funkstille. Veränderungen in Tibet selbst lassen sich jedoch noch nicht erkennen. Auch die persönliche Diffamierung des Dalai Lama wurde nicht beendet.