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Flusswärmepumpen: Großes Potenzial für Industrie und Heizen

Tim Schauenberg in Mannheim
29. Januar 2024

Die deutsche Stadt Mannheim heizt tausende Wohnungen mit kaltem Wasser aus dem Rhein. Auch die Industrie profitiert. Der DW Reporter erklärt wie die Technik funktioniert und taucht dafür sogar selber in den Fluss.

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DW-Reporter Tim Schauenberg steht in Badehose und mit Mütze hüfthoch im Rhein
DW-Reporter Tim Schauenberg macht den Selbsttest: Das Wasser ist minus ein Grad kalt Bild: DW

Schon beim Ausziehen meines T-Shirts bekomme ich Gänsehaut. In Badehose stehe ich im Januar an einem Seitenarm des Rheins bei Mannheim und tauche meinen Fuss vorsichtig in das eisige Wasser. Bei minus ein Grad Lufttemperatur ist der Fluss ist nur wenige Grad wärmer.  

Ich bin hier, um herauszufinden, wie mit dem eiskalten Wasser ganze Wohnviertel geheizt werden. Dafür hatte ich die fixe Idee, als erstes meine eigene Erfahrung mit der Kälte zu machen. War das so schlau? 

Doch für einen Rückzieher ist es jetzt zu spät und ich wage mich Schritt für Schritt ins Wasser. Es ist so eisig wie befürchtet. Ich warte vergebens auf die Endorphine, die der Körper angeblich ausschütten soll und halte mein winterliches Bad eher kurz. 

Während ich mich abtrockne und hoffe, dass meine Zehen bald wieder auftauen, blicke ich auf die andere Seite des Rheins. Dort drüben im Kraftwerk sollen mit diesem Wasser 3500 Haushalte geheizt werden: in diesem Moment kaum vorstellbar.  

Kaltes Wasser soll Kohle ersetzen als Energieträger 

Eine Stunde später führt mich Felix Hack, Projektleiter des Energieversorgers MVV über das Gelände des Großkraftwerks Mannheim. "Durch den Rhein fließen Millionen Liter Wasser," erklärt er. Darin sei genug Wärmeenergie um den Heizbedarf der Stadt Mannheim um ein Vielfaches zu decken, auch im Winter. "Wir haben jetzt sechs, sieben Grad Celsius im Wasser, auch da steckt physikalisch noch genug Wärme drin." 

Noch wird in Mannheim Strom und Wärme vor allem mit der besonders klimaschädlichen Steinkohle erzeugt. Das soll sich aber bald ändern. Langfristig soll die Wärme aus Kohle ersetzt werden durch einen Mix aus Flusswärme, Erdwärme und Abwärme, die bei der Abfallverbrennung entsteht.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die 2023 in Betrieb genommene Flusswärmepumpe. Es ist die größte in ganz Deutschland, erklärt Hack, der mich zu einer großen Halle mit Aluminiumfassade führt. 

Kraftwerk am Fluss
Spätestens 2033 soll Schluss sein für das Kohle-Großkraftwerk in MannheimBild: DW

Der rauchenden Schornstein des Kohlekraftwerks ist hinter der glänzenden neuen Anlage zu sehen. Drinnen wird es sofort laut.

Die Wärmepumpe, so groß wie ein LKW, läuft unter ohrenbetäubendem Lärm auf Hochtouren. 800 Liter Wasser werden hier pro Sekunde durchgepumpt.  

Flusswärme: So funktioniert’s mit dem Heizen

Die Anlage funktioniert nach dem selben Prinzip wie andere Wärmepumpen, die Wärme aus der Luft oder der Erde nutzen, hier wird die Wärmeenergie aus dem Fluss verwendet.  

Das kalte Wasser aus dem Fluss wird durch Rohre geleitet und bringt ein schnell verdampfendes Kältemittel in einen gasförmigen Zustand. Es dehnt sich aus. In der Wärmepumpe wird dann dieses Gas komprimiert, also zusammengedrückt, dabei entsteht Wärme. Der Prozess ist vergleichbar mit einer Fahrradpumpe, bei der man das Ventil zu hält, während man weiterpumpt: Die Pumpe wird heiß.

Das ist auch hier der Fall. Mit der gewonnenen Wärme wird hier Wasser für den Heizkreislauf der Stadt auf 99 Grad erhitzt, bevor es ins Netz eingespeist wird.  

Zwei Männer in gelben Westen vor einer Flusswärmepumpe
Diese Flusswärmepumpe heizt schon, zwei weitere Wärmepumpen sind für die Stadt in PlanungBild: DW

Noch hat die Flusswärmepumpe nur einen Anteil von drei Prozent im Fernwärmenetz, das sei aber nur der Anfang, sagt Hack. Zwei weitere Module sind bereits in der Planung, zehnmal mehr Heizungen sollen dann mit Flusswärme laufen. "Wir wollen künftig 50.000 Aushalte mit Wärme aus Flusswasser versorgen."  

Neben Mannheim sind auch in Berlin, Hamburg, Stuttgart und Rosenheim bei München Wasserwärmepumpen geplant oder schon in Betrieb.

Grosses Potential für Umweltwärme bei der Industrieproduktion

Die Heizung für Gebäude und Wärme für die Industrieproduktion verbraucht weltweit bei weitem die meiste Energie. 72 Prozent des Bedarfs wird mit fossilen Brennstoffen gedeckt. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) könnten große und kleine Wärmepumpen zusammen bis 2030 so viele Emissionen einsparen, wie alle Autos in Europa pro Jahr verbrauchen. 

Fabian Ahrendts, Leiter der Abteilung Hochtemperatur-Wärmepumpen des Fraunhofer Institut IEG, sieht großes Potential. In Deutschland werden derzeit 15 Prozent der Gebäude mit Fernwärme versorgt. Bis 2045 könnten Großwärmepumpen über 70 Prozent der Fernwärme in Deutschland bereitstellen und Kohle, Öl und Erdgas weitestgehend ersetzen.  

Eine Studie des Instituts, an der auch Ahrendts beteiligt war, zeigt: Die in Deutschland verfügbare Umwelt- und Abwärme, die von Wärmepumpen genutzt werden kann, übersteigt den Wärmebedarf für Gebäude und industrielle Prozesswärme bis 200 Grad  bei weitem.

Gerade in skandinavischen Ländern setzt man schon länger auf diese Technologie. In der schwedischen Hauptstadt Stockholm werden seit Jahren über 90.000 Wohnungen mit Wärme aus industriellem Abwasser beheizt. Und in der norwegischen Stadt Drammen heizen mehr als die Hälfte der über 100.000 Einwohner mit der Wärmeenergie aus dem Fjord. 

 Luftaufnahme der Stadt Ludwigshafen und Mannheim mit dem Rhein
Bis 2030 will die Stadt Mannheim ein klimafreundliches Fernwärmenetz betreibenBild: Robert Buchel/Pond5 Images/IMAGO

Schadet die Flusswärmepumpe der Umwelt?

Nachdem das Flusswasser in der Wärmepumpe genutzt wurde, wird es auch in Mannheim kälter zurück in den Rhein geleitet, mit möglichen Folgen für den Fluss. Doch weil bisher nur geringe Wassermengen zur Wärmegewinnung genutzt werden, ändert sich die Temperatur im Rhein laut MVV nur minimal.

Ahrendts warnt jedoch, dass es schwieriger werden könnte, wenn alle Städte und Industriebetriebe entlang des Rheins die Flusswärme nutzen würden. 

"Die meisten unserer Gewässer sind aufgrund des Klimawandels oft überhitzt. Es ist also bis zu einem gewissen Punkt von Vorteil," so Ahrendts. 

Die Wärmepumpentechnologie ist seit Jahren verfügbar. Trotzdem hat es lange gedauert, bis solche Großprojekte auch in Deutschland umgesetzt wurden. Das lag laut Hack auch an den früher günstigen Preisen für Kohle, Öl und Gas. Höhere CO2-Steuern, städtische Klimaziele und Förderprogramme der Regierung hätten inzwischen zum Umdenken geführt. 

Während Wohnungen und Häuser gemütlich warm werden, haben meine Zehen eine ganze Weile gebraucht, um wieder aufzutauen nach den Bad im eiskalten Flusswasser. Trotz den riesigen Menge Wärmeenergie, die darin schlummert. 

Grüne Wende mit Hindernissen