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Großbritannien will gegen stärker gegen Frauenhass vorgehen

19. August 2024

Großbritannien will Gewalt gegen Frauen und Mädchen eindämmen - und deswegen seine Extremismus-Strategie grundlegend überprüfen. Auch extremer Frauenhass soll unter die Lupe genommen werden.

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Frauen und Männer halten bei einer Demonstration in London Schilder hoch, auf denen ein Ende der Gewalt gegen Frauen gefordert wird
Demo in London: In den vergangenen Jahren ist Gewalt gegen Frauen stark angestiegen Bild: Wiktor Szymanowicz/NurPhoto/IMAGO

Es ist laut Polizei eine "nationale Notlage": Jeden Tag werden allein in England und Wales etwa 3000 Fälle von Gewalt gegen Frauen und Mädchen gemeldet - dazu gehören zum Beispiel sexualisierte Gewalt, häusliche Gewalt, Stalking oder Kindesmissbrauch. Das geht aus einem Bericht des Verbands der Polizeipräsidenten, der National Police Chiefs' Council (NPCC), von Ende Juli hervor. Vor der Corona-Pandemie waren die Zahlen rund ein Drittel niedriger.

Nun will Großbritanniens neue Innenministerin Yvette Cooper härter gegen Gewalt gegen Frauen vorgehen - und Frauen- und Mädchenhass schon im Keim ersticken. Bis Oktober soll das britische Innenministerium einen Bericht vorlegen, wie die Regierung wachsenden Extremismus erfolgreicher bekämpfen kann. Extremer Frauenhass, auch Misogynie genannt, soll demnach ähnlich wie rechtsextremer oder islamistischer Extremismus in den Blick genommen werden. Die bisherigen Leitlinien des Innenministeriums seien zu eng gefasst, obwohl Frauenhass laut Regierungsaussage zunimmt. Unter Frauenhass wird nach gängigen Definitionen die radikale Abwertung von Frauen verstanden, die bis hin zu Gewalt und Femiziden reicht - also dem Töten einer Frau, weil sie eine Frau ist.

Porträt der britischen Ministerin Yvette Cooper
Die britische Ministerin Yvette Cooper will die Extremismusstrategie neu überprüfenBild: Lucy North/PA Wire/dpa/picture alliance

Frauenfeinde - radikalisiert im Netz

Schon lange warnt Großbritanniens Polizei vor einer dramatischen Verschlechterung der Lage für Mädchen und Frauen in Großbritannien. Das liege auch an der zunehmenden Radikalisierung junger Männer, die sich etwa den Influencer Andrew Tate zum Vorbild nähmen, erklärte die stellvertretende nationale Polizeichefin Maggie Blyth. Mit frauenfeindlichen Aussagen wurde der selbsternannte "Frauenhasser" schon vor Jahren in Sozialen Netzwerken bekannt. Frauen seien laut Tate und seinen Anhängern als Besitztümer von Männern anzusehen und müssten sexuell zu Diensten stehen. In Rumänien wird ihm nun Menschenhandel und Vergewaltigung vorgeworfen.

Auch laut einer Studie der Vernetzungsstelle gegen Hass im Netz "Das Nettz" ist Frauenfeindlichkeit im Internet in den vergangenen Jahren immer sichtbarer geworden, etwa "durch eine enthemmte Sprache, die Frauen Gewalt und Vergewaltigungen" wünschen. Die Studie "Tracing Online Misogyny" entstand in einer Zusammenarbeit zwischen "Das Nettz" und dem Tech-Unternehmen Textgain aus Belgien.

Der "Frauenhasser" Andrew Tate  vor einem Gerichtsgebäude in Bukarest, Rumänien
Der "Frauenhasser" Andrew Tate (links) ist vielen ein Vorbild Bild: Andreea Alexandru/AP/picture alliance

"Wir müssen eine Generation aufziehen, die eine gesunde Einstellung gegenüber Mädchen und Frauen hat, sonst haben wir es später mit einer ganzen Generation von Frauenhassern zu tun", sagte die britische Bildungsministerin Bridget Philippson. Die Radikalisierung sei bereits an der Schule zu beobachten.

Mit einer neuen Extremismus-Strategie könnte es auch der sogenannten "Incel"-Kultur an den Kragen gehen. Incels bezeichnen sich selbst als "unfreiwillig zölibitär", also sexuell enthaltsam, und machen dafür Frauen und sogenannte Alpha-Männer verantwortlich. In Foren oder Sozialen Netzwerken tauschen sie sich über ihr frauenfeindliches Weltbild aus. Teilweise rufen sie auch zu Hass und Gewalt auf oder schießen sich auf Einzelpersonen ein, die mit Steckbriefen oder Fotos denunziert werden sollen, wie es zum Beispiel in einer Veröffentlichung der Böll-Stiftung zur "Antifeministischen Männerrechtsbewegung" beschrieben wird.

Jugendliche entradikalisieren

Die britische Staatssekretärin Jess Phillips sagte dem Sender LBC, es gehe nicht darum, Menschen zu kriminalisieren, die Anzeichen einer bestimmten Ideologie zeigten, sondern darum, diese Ideologie zu verhindern. Hier könnte laut der deutschen Wochezeitung "Die Zeit" die Anti-Terrorismus-Strategie "Prevent" greifen, die bereits 2007 von der damaligen Labour-Regierung eingeführt wurde und die sich hauptsächlich mit Rechtsextremismus und Islamismus beschäftigt.

Fachkräfte, zum Beispiel in der Jugendsozialarbeit oder in der Pflege, müssen laut "Prevent" Menschen melden, bei denen erste Radikalisierungstendenzen erkennbar sind. Anschließend entscheiden unter anderem Behörden, ob der Jugendliche an einem Entradikalisierungsprogramm teilnehmen muss. Auf der Webseite der britischen Regierung zu "Prevent" werden Kennzeichen beschrieben, die auf eine extreme Einstellung hinweisen könnten: Rechtfertigen von Gewalt, Verweigerung der Zusammenarbeit mit bestimmten Personengruppen oder die Verwendung einschlägiger Symbole oder Kleidung, die mit terroristischen Organisationen in Verbindung gebracht werden.

Bei einem Protest zum Internationalen Frauentag in Madrid tragen Demonstranten eine Verkleidung aus Maske, weißem Umhang und einer Kerze
Demo zum Internationalen Frauentag in Madrid: Frauenfeindlichkeit ist ein weltweites Phänomen Bild: Bernat Armangue/AP/dpa/picture alliance

Ab Herbst könnte "Prevent" dann auch bei Schülern zum Einsatz kommen, die im Verdacht stehen, sich extrem frauenfeindlich zu äußern. "Prevent" ist nicht unumstritten und wurde von Kritikern schon vor Jahren auch als "Ausspähprogramm" bezeichnet. Auch in Sozialen Netzwerken gibt es seit der Bekanntgabe der neuen Regierungspläne nicht nur Zustimmung. Nutzer fragen sich zum Beispiel, warum Hass gegen Männer nicht ähnlich extremistisch einzustufen ist oder wer bestimmt, wie extreme Misogynie aussieht.

Andere Akteure wie zum Beispiel die britische Lehrplattform Bold Voices will Jugendliche für frauenfeindliche Aussagen sensibilisieren, bevor sie als Extremisten gemeldet werden. Mädchen seien oftmals einem hohen Maß an sexueller Belästigung und Gewalt ausgesetzt, Jungen hätten oftmals Probleme, über den Druck auf sie zu sprechen, heißt es auf der Webseite der Plattform. Das soll mit Hilfe von Workshops abgemildert werden. 

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft