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BildungEuropa

Griechenland: Schüler und Studenten fordern bessere Bildung

Sofia Kleftaki (aus Athen)
7. November 2024

Marode Schulen, große Klassen, Lehrermangel - in Athen und anderen Städten Griechenlands sind Schüler und Studenten auf die Straßen gegangen, um gegen das schlechte und unterfinanzierte Bildungswesen zu protestieren.

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Schülerproteste in Athen: Jungen und Mädchen stehen hinter einem Transparent mit griechischer Aufschrift am Beginn eines Demonstrationszuges. Einer der Jugendlichen hat eine Trillerpfeife im Mund
Schülerinnen und Schüler demonstrieren in Athen und anderen Städten Griechenlands für bessere BildungschancenBild: Sofia Kleftaki/DW

Ein wolkenverhangener Himmel spannt sich über Athen. Es ist grau und kühl, untypisch für die griechische Hauptstadt im Herbst. Vor dem Hauptgebäude der Universität, direkt neben dem Ausgang der gleichnamigen Metro-Station, hat sich eine große Menschenmenge versammelt: Schüler und Studenten, Eltern und Lehrkräfte.

Sie sind Anfang dieser Woche bewusst dem Unterricht ferngeblieben, um ihre Forderungen nach besseren Lernbedingungen und fairen Bildungschancen auf die Straße zu tragen. Ihre Gesichter wirken ernst und entschlossen. Auf dem Platz vor der Uni steht eine junge Frau an einem Mikrofon. Sie ist Mitglied des griechischen Schülerverbandes, der zu den Protesten in der Hauptstadt Athen, der nördlichen Hafenstadt Thessaloniki und anderen Städten aufgerufen hat.

Faire Bildungschancen für alle

Die Stimme der Schülerin am Mikrofon hallt über den Platz. "Wir akzeptieren es nicht, wie Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden", ruft sie. Bildung solle eine Perspektive für alle bieten, "nicht nur für die, deren Familien es sich leisten können", so die junge Rednerin. "Wir werden nicht aufgeben. Wir werden weiter für unsere Rechte kämpfen."

Jugendliche stehen nebeneinander in einer Reihe. Sie halten ein Transparent mit griechischer Aufschrift und recken die Arme in die Höhe. Ein Teenager hat eine blaue Trillerpfeife im Mund
Der Lehrermangel sei zum Dauerzustand in Griechenland geworden, kritisieren protestierende Schülerinnen und Schüler Bild: Sofia Kleftaki/DW

Inzwischen hat sich ein Protestzug geformt, der sich nun in Bewegung setzt. Alexandra, Gabriel und Kasey laufen ganz vorne mit. Auf ihrem Plakat ist zu lesen: "Bildung wird nicht durch Suspendierungen und Tadeln erreicht." Die Teenager im Alter zwischen zwölf und fünfzehn Jahren gehen ins 21. Gymnasium von Athen. Ihre Schule gehört zum Schulkomplex Gravas, der sich im nördlichen Teil der Hauptstadt befindet. Es ist der größte Schulkomplex in Griechenland und beherbergt 24 verschiedene Schulen.

Die Schüler beklagen, dass sie oft ohne erkennbaren Grund vom Unterricht ausgeschlossen werden. "Wir werden ständig bestraft", so Gabriel. "Ich wurde einen Tag von der Schule suspendiert, weil ich im Unterricht eine Kapuze aufhatte." Auch die Qualität des Unterrichts lasse zu wünschen übrig, ergänzt Alexandra. "Die Lehrer erzählen uns private Geschichten anstatt zu unterrichten. Und die Schuldirektorin unternimmt nichts dagegen." Kasey fügt hinzu: "Das traurigste ist, dass Ausflüge und Klassenfahrten ständig ausfallen. Außerdem können wir nur einmal im Monat mit einer Schulpsychologin sprechen." 

Große Klassen, schlecht bezahlte Lehrer

Die jungen Leute, die an diesem Morgen in Griechenland für bessere Bildungschancen demonstrieren, fordern vor allem besseren Unterricht und gut ausgebildete Lehrkräfte. Oft komme es vor, dass der Unterricht zu Beginn des neuen Schuljahres ausfalle, weil noch keine neuen Lehrkräfte eingestellt seien, kritisieren sie.

Junge Männer und Frauen stehen auf einem Platz. Zwei von ihnen halten ein Transparent mit griechischer Aufschrift in rot und schwarz. Auf dem Boden liegen Flugblätter verstreut. Im Hintergrund sind hohe Gebäude zu sehen
Demonstration am 4.11.2024 in Athen gegen das marode BildungswesenBild: Sofia Kleftaki/DW

Das dreistufige griechische Schulsystem - Grundschule, Mittelschule, Sekundarschule - leidet unter chronischem Finanzierungsmangel. Das führt zu Unterrichtsausfall, großen Klassen und maroden Schulgebäuden. Die griechischen Lehrer gehören zu den am schlechtesten bezahlten in Europa. Ein Lehrer im ersten Berufsjahr bekommt nur rund 1000 Euro im Monat. Ein Sekundarstufenlehrer mit mehrjähriger Berufserfahrung verdiente im Jahr 2023 laut dem griechischen Lehrerverband durchschnittlich 1237 Euro netto pro Monat.

"Die Probleme sind nicht neu, haben sich jedoch seit Schuljahresbeginn drastisch verschärft", erklärt Froso Kondyli, Mutter eines Schülers und Vorstandsmitglied im Elternverband der Region Attika. So habe das für die Bildung zuständige Ministerium im vergangenen Sommer beschlossen, Klassen zusammenzulegen und dadurch Ressourcen einzusparen. Dadurch seien die Schülerzahlen in den einzelnen Klassen auf 25, 26 oder sogar 27 Kinder gestiegen, was den Unterricht erschwere.

"Es wird behauptet, dass größere Klassen pädagogisch sinnvoller seien", sagt Kondyli. In Wirklichkeit aber umfassten diese großen Klassen auch viele Schüler mit Lernschwierigkeiten, die auf individuelle Förderung angewiesen seien. "Wie soll eine Lehrkraft in einer Klasse von 27 Kindern allen gerecht werden?", fragt Kondyli.

Privatschule als Alternative

Auch die Schulgebäude seien alt und seit Jahren nicht mehr saniert worden. Im vergangenen Jahr hat der Elternverband daher den Notstand ausgerufen. Immerhin seien schon Schüler von herabfallendem Putz verletzt worden. 

Kein Wunder, dass sich in Griechenland inzwischen parallel zu den staatlichen Schulen ein System privater Schulen etabliert hat. Rund sieben Prozent aller Schüler besuchen eine Privatschule. Die, die es sich leisten können, die Angehörigen der Oberschicht und der gehobenen Mitteilschicht, schicken ihre Kinder dorthin, um ihnen bessere Chancen für den Zugang zu den Hochschulen zu ermöglichen. An den Privatschulen fällt kein Unterricht aus, weil es genügend Lehrer gibt. Die Schulgebäude sind meist modern und gut ausgestattet. Doch die Schulen sind teuer. Die Gebühren beginnen bei ca. 4000 Euro und reichen für die letzten Klassenstufen bis zu knapp 15.000 Euro jährlich. Hinzu kommen Extrakosten für die privaten Schulbusse und für Ausflüge.

Nicht ausreichend Studentenwohnheime

Nicht nur die Schüler und ihre Eltern haben Grund zur Klage. Auch Studenten nehmen an der Demonstration in Athen teil. Denn für sie ist das Studium inzwischen fast unerschwinglich geworden. "Besonders für Studenten aus der Provinz stellt ein Studium inzwischen fast ein Privileg dar", kritisiert ein Mitglied eines Studentenverbandes die fehlende staatliche Unterstützung.

Eine junge Frau steht an einem Mikrofon auf einem Platz und liest von einem Blatt ab, hinter ihr stehen drei Jugendliche und halten ein Transparent mit griechischer Aufschrift. Hinter ihnen ist die Fassade eines langgestreckten Gebäudes im neo-antiken Baustil zu sehen. In der rechten Bildecke steht ein blauer Lieferwagen vor einer kleinen Steinstatue, die auf einem erhöhten Sockel steht
In Athen fordern Schüler und Studenten bessere BildungschancenBild: Sofia Kleftaki/DW

Die Studenten fordern vor allem mehr Wohnheimplätze, von denen es im ganzen Land viel zu wenige gibt. Zudem sei finanzielle Unterstützung durch den Staat erforderlich, um den gestiegenen Lebenshaltungskosten der Studierenden gerecht zu werden. Die Studiengebühren an griechischen Universitäten sind zwar niedrig, aber die Lebenshaltungskosten und vor allem die Mieten sind hoch. Die meisten Studierenden aus der Provinz, die nicht bei ihren Familien leben können, müssen neben dem Studium arbeiten, um die hohen Kosten decken zu können.

"Was muss noch passieren, damit die Regierung endlich etwas unternimmt?", fragt Froso Kondyli besorgt. Ihr Kind geht zwar noch zur Schule, aber nach dem Abitur steht die Universität oder Technische Hochschule auf dem Programm. Etwa die Hälfte der Schulabsolventen in Griechenland geht an eine der 44 Hochschulen des Landes. "Unsere Kinder haben etwas Besseres verdient", so Kondyli.