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Griechenland: Kein Frust über Erdogans Sieg in der Türkei

Kaki Bali Athen
30. Mai 2023

In Griechenland hofft man auch nach dem erneuten Wahlsieg Recep Tayyip Erdogans auf eine Verbesserung der Beziehungen zum Nachbarn Türkei.

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Nikos Dendias spricht mit Mevlut Cavusoglu
Griechenlands Außenminister Nikos Dendias (li.) trifft seinen türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu nach dem Erdbeben in der SüdtürkeiBild: Greek Foreign Ministry/AP/picture alliance

In Griechenland war das Interesse an der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei sehr groß - obwohl man auch im eigenen Land gerade Wahlen hatte. Die Menschen sehnen sich nach einer dauerhaften Phase der Entspannung mit den schwierigen Nachbarn. Also versuchte man schon im Vorfeld der Wahlen in der Türkei zu erraten, welcher Kandidat eine anhaltende Verbesserung der bilateralen Beziehungen herbeiführen könnte. Denn allen ist klar, dass die Deeskalation, die durch die rasche griechische Hilfe für die Opfer des verheerenden Erdbebens in der Südtürkei ausgelöst wurde, nicht ewig dauern wird.

Problematische Themen wie die schlechte Lage der Demokratie, der Menschenrechte und der Medienfreiheit in der Türkei spielten in den meisten Analysen der griechischen Presse eine zweitrangige Rolle. Am wichtigsten war der Vergleich zwischen den beiden Kandidaten, Präsident Recep Tayyip Erdogan und seinem Herausforderer, Kemal Kilicdaroglu, in Bezug darauf, wie sie die Nachbarn und insbesondere Griechenland sehen.

"Lieber mit dem Teufel, den man schon kennt"

Darum gab es keine große Enttäuschung über den Sieg Erdogans in der zweiten Runde der Wahl. Viele Journalisten, Politikwissenschaftler, Diplomaten und Politiker in Griechenland glauben, dass es besser ist, sich "dem Teufel zu stellen, den man schon kennt".

Zu dieser Kategorie gehört Nikos Dendias, der bis vor wenigen Tagen Außenminister Griechenlands war. Dendias kennt sich gut aus mit dem politischen Personal der Türkei, nennt den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu seinen Freund und bevorzugt Präsident Erdogan am Steuer des Nachbarlandes: "Ich sage nicht, dass Recep Tayyip Erdogan den goldenen Schlüssel zum Paradies für die griechisch-türkischen Beziehungen in der Hand hält, im Gegenteil", sagte er der DW. "Aber das heterogene Bündnis der Opposition konnte mich auch nicht von seinen Absichten überzeugen."

Wechselhafte Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei

Trotz der Angst vor einem autoritären und unvorhersehbaren Recep Tayyip Erdogan kann man in Griechenland nicht vergessen, dass es die größten Probleme mit der Türkei immer unter kemalistischen Regierungen gab. Die türkische Invasion auf Zypern im Jahr 1974 z.B. fand unter Ministerpräsident Bülent Ecevit von der kemalistischen Republikanischen Volkspartei CHP  (Cumhuriyet Halk Partisi) statt. Die Krise um die Felseninsel Imia, die im Jahr 1996 beinahe zu einem griechisch-türkischen Krieg geführt hätte, trug sich unter CHP-Außenminister Deniz Baykal zu.

Präsident Erdogan spricht in ein Mikrofon draußen bei einer türkischen Militärübung in der Nähe von Izmir
Präsident Erdogan warnt Griechenland vor einer Eskalation in der Ägäis bei einer türkischen Militärübung in der Nähe von Izmir im Juni 2022Bild: Turkish Presidency via AP/picture alliance

Hinzu kommt, dass in beiden Bündnissen, die in der Türkei zur Wahl standen, nationalistische Parteien mit von der Partie waren. Als Erdogan im Oktober 2022 Griechenland mit dem Satz drohte "Wir können mitten in der Nacht kommen", attackierte ihn die Opposition mit den Worten: "Wieso sagst Du es, und tust es nicht?" Und kurz vor der ersten Wahlrunde warf Oppositionskandidat Kilicdaroglu dem türkischen Präsidenten vor, nichts unternommen zu haben, um die Griechen zur Entmilitarisierung der ägäischen Inseln zu zwingen. 

Natürlich wollten die meisten Politiker in Griechenland keine Präferenz für den Sieger der türkischen Wahlen zum Ausdruck bringen. So sagte der amtierende und voraussichtlich neue Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis in einer Debatte der Parteivorsitzenden am 10.05.2023: "Wir werden das Urteil des türkischen Volkes respektieren und ich bin bereit, mit jedem zu sprechen, der gewählt wird." Er fügte aber hinzu, dass der türkische Revisionismus tief in der DNA aller türkischen Parteien verankert sei. Das klang so, als ob auch Mitsotakis von einer Wiederwahl Erdogans nicht enttäuscht gewesen wäre. 

"Erdogan wird härter und anspruchsvoller" 

Panagiotis Tsakonas, Professor für Internationale Politik und Sicherheit an der Universität Athen dagegen glaubt nicht, dass die Wiederwahl Erdogans besser für die bilateralen Beziehungen ist. Besser als "der Teufel, den wir kennen" ist "der Teufel, mit dem wir effektiver umgehen können", sowohl kurz- als auch mittelfristig, sagte er im Gespräch mit der DW. Und das sei auf keinen Fall ein absoluter Herrscher Erdogan, der seinen autoritären Regierungsstil im Inland und seine Forderungen im Ausland verschärfen werde.

Präsident Erdogan spricht am Abend seiner Wiederwahl am 28.5.2023 von seinem Präsidentenpalast aus zu seinen Anhängern
Präsident Erdogan feiert mit Anhängern seine Wiederwahl am 28.5.2023Bild: Murat Cetinmuhurdar/Presidential Press Office/Handout/REUTERS

Tsakonas teilt auch nicht den Optimismus mehrerer griechischer Beobachter, dass Erdogan in seiner letzten Amtszeit als Präsident eine versöhnlichere und weniger aggressive Politik sowohl gegenüber den transatlantischen Verbündeten als auch den Nachbarn der Türkei verfolgen wird. Im Gegenteil, er erwartet, dass Erdogans Haltung gegenüber dem Westen noch härter und anspruchsvoller sein wird. Der Sicherheitsexperte warnt, dass der gestärkte türkische Präsident von den USA "Kompromisse" verlangen könnte, um die Türkei wieder in den "westlichen Kreis" zurückzuführen, Kompromisse, die nicht unbedingt angenehm für Athen sein könnten.

Ohne Hoffnung

Enttäuscht von der Wiederwahl Erdogans ist lediglich die griechische Zivilgesellschaft, vor allem die Menschen, die sich um die Opfer der autoritären Herrschaft Erdogans kümmern. Sie erwarten, dass jetzt die Unterdrückung individueller Freiheiten im Nachbarland noch gestärkt wird. "Ich fürchte, dass unsere Kolleginnen und Kollegen, die ohne Grund im Gefängnis sitzen, nicht mehr das Licht der Freiheit sehen werden", klagte am Abend der Stichwahl Ioanna M., eine Journalistin, die für lange Zeit zwischen beiden Ländern gependelt war. Auch die türkischen Journalisten, die in den letzten Jahren Zuflucht in Griechenland fanden, haben die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr in die Heimat verloren.

Foto-Porträt einer Frau mit braunen Haaren, blauen Blazer und grauem T-Shirt
Kaki Bali DW-Korrespondentin in Griechenland