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Die lange Nacht der Abweichler

Jannis Papadimitriou, Athen23. Juli 2015

Nach einer Rekord-Marathonsitzung hat das griechische Parlament Teil zwei der Sparauflagen angenommen. Damit rücken Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket näher. Aus Athen berichtet Jannis Papadimitriou.

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Parlament in Griechenalnd (Foto: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki)
Bild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

Eine Parlamentsabstimmung um oder sogar nach Mitternacht ist keine Seltenheit in Hellas. Doch diesmal haben die Abgeordneten jedes Maß überschritten: Erst am Donnerstagmorgen um halb fünf stand das Ergebnis der Abstimmung fest. 230 Volksvertreter stimmten für das Reformpaket, 63 votierten dagegen, fünf enthielten sich der Stimme.

Damit verfügt Linkspremier Alexis Tsipras anscheinend über eine breite Mehrheit für den eingeschlagenen Reformkurs im Parlament. Allerdings ist es nicht seine eigene Mehrheit: 36 Abgeordnete der regierenden Linkspartei Syriza verweigerten ihrem Chef die Gefolgschaft. Nur mit Hilfe der Oppositionsparteien konnte Tsipras die Reformauflagen durchboxen.

Alexis Tsipras (Foto: Reuters/Y. Kourtoglou)
Hat noch immer keine eigene Mehrheit und braucht die Opposition: Alexis TsiprasBild: Reuters/Y. Kourtoglou

Varoufakis wieder auf Regierungskurs

Ähnliches hatte der Regierungschef bei der wegweisenden Abstimmung über erstes Sparpaket in der vergangenen Woche erlebt. Damals gab es insgesamt 39 Abweichler. Zuletzt erhöhten Mitarbeiter von Tsipras den Druck auf die innerparteiliche Rebellenbewegung, dem Syriza-Chef doch noch den Rücken zu stärken. Mit bescheidenem Erfolg, glaubt Politanalyst Pavlos Tsimas: "Insgesamt hatten wir keine gravierenden Änderungen im Vergleich zur letzten Woche" bilanziert Tsimas die Situation im TV-Sender Skai.

Nur der ehemalige Finanzminister Yanis Varoufakis, der noch bei der letzten Abstimmung den Aufstand probte, votierte diesmal für die Sparauflagen. "Dass ausgerechnet Varoufakis mit Ja stimmt, ist die größte Überraschung des Abends und auch der größte Zugewinn für Tsipras - soweit man Varoufakis als Zugewinn bezeichnen kann" erläutert der Analyst.

Yanis Vaoufakis im Parlament (Foto: picture-alliance/AP Photo/T. Stavrakis)
Immer für eine Überraschung gut: Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis stimmte diesmal für das ReformpaketBild: picture-alliance/AP Photo/T. Stavrakis

Hoffen auf ein weiteres Hilfsabkommen

Laut Regierungsangaben würden nach der Abstimmung Gespräche mit den Geldgebern über ein drittes Rettungspaket in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro aufgenommen. Ziel sei es, die Verhandlungen bis zum 20. August abzuschließen. An diesem Tag wird eine Kreditrate von 3,2 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank fällig.

"Das Schwerste steht noch bevor, das haben wir uns noch gar nicht richtig vergegenwärtigt" mahnt Alexis Papachelas, Direktor der Zeitung Kathimerini, im TV-Interview. Nun gehe es darum, bis Mitte August ein Rettungspaket im Detail auszuhandeln. Die bisherige Erfahrung lehre allerdings, dass ein dermaßen strikter Zeitplan in Griechenland schwer einzuhalten sei. "Ich befürchte, dass wir unter Zeitdruck kommen und Mitte August vielleicht gezwungen werden, eine weitere Übergangsfinanzierung zu beantragen" erklärt Papachelas.

Rücktritt der Parlamentspräsidentin?

Unterdessen scheint der innerparteiliche Aufstand bei der Linkspartei aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Besonders schrille Töne schlägt Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou an, die dem Syriza-Linksflügel angehört: In einer flammenden Rede vor der Abstimmung rief die streitbare Juristin zur Ablehnung der Reformpläne auf und sprach dabei von einer "offenkundigen Erpressung" der EU-Regierungen, wodurch der Parlamentarismus, die Volkssouveränität und die Demokratie in Griechenland missachtet würde.

Griechenland Parlamentsabstimmung Sparauflagen
Vehemente Gegnerin der Reformpakete: Parlamentspräsidentin Zoe KonstantopoulouBild: picture-alliance/AP Photo/T. Stavrakis

Konstantopoulou mahnte, sie wolle bei ihren Kollegen in Europa in dieser Sache vorstellig werden und verlangte dabei auch die Unterstützung des griechischen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos. In einer kurzen Stellungnahme erklärte sich das Staatsoberhaupt für nicht zuständig. Daraufhin wurde für Donnerstag ein Treffen von Konstantopoulou mit Regierungschef Tsipras anberaumt. In Athen machten Spekulationen die Runde, die Parlamentspräsidentin würde eventuell zurücktreten oder zum Rücktritt aufgefordert.

Wortgefechte mit der Opposition

Ungewöhnlich lange Wortgefechte lieferten sich Premier Tsipras und der konservative Oppositionschef Evangelos Meimarakis während der Parlamentsdebatte. Nachdem sämtliche Linksabgeordnete den EU-Partnern vorhielten, einen Putsch gegen den griechischen Staat angezettelt zu haben und Parlamentspräsidentin Konstantopoulou den Geldgebern sogar "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vorwarf, kommentierte Meimarakis derartige Verbalattacken mit beißender Ironie: "Von den Putschisten und Verbrechern Europas haben wir gerade sieben Milliarden Euro überwiesen bekommen, damit wir unseren dringendsten Verpflichtungen nachkommen", rief er in Richtung der Regierungsbänke.

Nachdem der glücklos agierende Ex-Ministerpräsident Antonis Samaras das Handtuch geworfen hat, gilt Meimarakis eigentlich als Übergangslösung im Vorsitz der griechischen Konservativen. Er scheint dabei keine allzu schlechte Figur abzugeben: In einer gemeinsamen Erklärung forderten ihn 48 von insgesamt 76 konservativen Abgeordneten am Mittwoch auf, bis auf weiteres die Geschicke der Partei zu leiten.

Evangelos Meimarakis (Foto: dapd)
Der neue Mann der Konservativen: Evangelos MeimerakisBild: dapd