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Was Karikatur darf - oder besser lassen sollte

5. November 2023

Die Gewinnerinnen und Gewinner des Deutschen Karikaturen-Preises 2023 stehen fest. Unter dem Motto "Daten sind auch nur Menschen" widmete er sich in diesem Jahr dem Thema Künstliche Intelligenz (KI).

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Ein Mädchen in rotem Kleid hüpft vor dem Weihnachtsbaum in die Höhe und streckt dabei die Hände aus. In einer Sprechblase steht: “Juhuu!! Ein Pony!” Eine Frau und ein Mann schauen vom Sofa aus zu. Einreichung von Bettina Bexte beim Deutschen Karikaturenpreis 2023.
So geht moderne Wunscherfüllung einer Karikatur von Bettina Bexte zufolge Bild: Bettina Bexte

Er gilt als der "Oscar" der Szene mit dem gespitzten Bleistift: Der Deutsche Karikaturenpreis ist heute Morgen in Bremen vergeben worden. Die Gewinner heißen Bettina Bexte, Christina Salz, Oliver Ottitsch und Anna Luise Sturm. 

Der "Geflügelte Bleistift in Gold" sowie das damit verbundene Preisgeld in Höhe von 4000 Euro ging an die Cartoonistin und Illustratorin Bettina Bexte. Sie verlieh einer möglichen "Virtual Christmas-Reality" Gestalt. Demnach können dank einer KI-gesteuerten Datenbrille auch unerfüllbare Kinderwünsche unter dem Weihnachtsbaum digital wahr werden. 

Nicht weniger als 293 Cartoonistinnen und Cartoonisten aus dem deutschsprachigen Raum hatten mehr als 1300 Werke zum Thema KI eingereicht. "Es geht schließlich um Fragen der menschlichen Existenz", sagt Juror Martin Kessler, Politikredakteur der Zeitung "Rheinische Post", "und das ist für Zeichner, die versuchen, die Pointe mit einem Schlag zu setzen, natürlich eine große Herausforderung." Über die Vergabe der begehrten "Geflügelten Bleistifte" entschied eine Preisjury aus Kultur- und Medienleuten. 

Wie KI Kreative überflüssig macht

Das Spektrum der Arbeiten war breit wie immer. Das Blatt "Autorenstreik" des Kölner Cartoonisten Burkhard Fritsche zeigt einen Autor an seinem PC, der schimpft: "Nein, ich streike nicht wegen Chat GPT, mir fällt einfach nichts ein!" Der Karikaturist Peter Butschkow zeichnete einen Vater mit seinem halbwüchsigen Sohn: Der Vater fragt: "Na?! Hast habilitiert?", der Knirps antwortet: "Yep!". Auf seinem T-Shirt steht: "I love KI". 

Chancen und Risiken der KI

Künstliche Intelligenz birgt, wie auf dem ersten globalen KI-Gipfel im englischen Milton Keynes schnell deutlich wurde, sicherlich beides - Chancen wie Risiken. Der Vormarsch KI-gestützter Systeme wie Chat GPT scheint unaufhaltsam. Ein Themenfeld voller Fluch und Segen - wie gemacht für Karikaturistinnen und Karikaturisten. Schließlich sind Cartoonisten Grenzgänger zwischen Ernst und Humor, die ein Thema humoristisch spiegeln, hinterfragen oder kritisieren. Eine Erwartung die auch Juror Kessler an jeden Wettbewerbsbeitrag hatte: "Der Witz, über den man lachen muss, macht eine schwierige Botschaft erträglicher - selbst wenn das Lachen im Halse stecken bleibt."

Ein Mann arbeitet im Garten, ein Junge mit dem T-Shirt Aufdruck: "I love KI" geht an ihm vorbei
Dialog zwischen Vater und Sohn: Dank KI hat sich der Sohn erfolgreich habilitiertBild: Peter Butschkow/Deutscher Karikaturenpreis

In diesen Tagen stößt das Genre der gezeichneten Satire auch schon mal an seine Grenzen. Der Cartoonist Gymmick alias Tobias Hacker, kann davon ein Lied singen. Er gewann den Karikaturenpreis 2022, dessen Motto lautete "Lass mich in Frieden". Gymmicks Zeichnung zeigte - in Anspielung auf den russischen Überfall auf die Ukraine - zwei gegnerische Soldaten im Schützengraben. Sie haben die Waffen aufeinander gerichtet, bis plötzlich einer den Namen des andern brüllt. Schnell stellt sich heraus: Die beiden kennen sich vom "Schüleraustausch 2011".

Was darf Satire?

Zwei Soldaten liegen sich im Schützengraben gegenüber, einer sagt: "Schüleraustausch 2011?"
Sieger-Karikatur von 2022: Ein ukrainischer und ein russischer Sodat kennen sich vom Schüleraustausch 2011, eine Karikatur von Gymmick Bild: Gymmick

In der Folge ergoss sich ein Shitstorm über den Zeichner Gymmick. "Die ukrainische Community hat sich angegriffen gefühlt", erinnert er sich im DW-Gespräch, "weil ich die ukrainische und die russische Seite auf eine Ebene gebracht hätte." Das Beispiel zeigt: So spitz der Bleistift des Cartoonisten sein mag, so schnell sitzt der Zeichner schon mal zwischen den Stühlen. Was also darf Satire? "So lange Leute noch aufeinander schießen, wird man zu dem Thema noch was zeichnen dürfen", sagt Hacker. "Eigentlich darf man nämlich nicht aufeinander schießen."

Beifall von der falschen Seite mag er nicht. "Grundsätzlich sollten wir alles machen dürfen, gerade im Humor. Humor ist ja auch dazu da, um zu entwaffnen", so Gymmick. Seine Zeichnungen schickt er deshalb manchmal zur Sicherheit seiner Schwester. "Dann frage ich sie, ob man das so machen kann." Meistens verlässt er sich aber auf sein Gespür. Und was, wenn das Thema so kompliziert ist wie der eskalierende Nahostkonflikt? Was ist da der Job des Karikaturisten? "Der muss eigentlich den Konflikt lösen - mit einer einzigen Karikatur", sagt Hacker. "Theoretisch müsste man den Witz so treffen, dass sich alle Seiten angesprochen fühlen und sofort die Waffen weglegen." Wie das geht, weiß er leider nicht.

Rauswurf nach Nahost-Cartoon 

Frecher Witz und feine Feder - wie verletzend das Handwerkszeug des Cartoonisten sein kann, musste kürzlich auch Steve Bell erfahren, der Star-Cartoonist der britischen Zeitung "The Guardian".

Bells Entwurf zeigt Israels Premier Benjamin Netanjahu im blauen Anzug mit hochgezogenem Hemd. Auf seinem nackten Bauch sind die Umrisse des Gazastreifens markiert. Der Politiker, von einem Boxhandschuh behindert, setzt das Skalpell an, in einer Sprechblase steht: "Bewohner von Gaza, verlassen Sie den Streifen jetzt." Bells Cartoon wurde nicht veröffentlicht.

Chefredakteurin Katherine Viner beendete die 42-jährige Zusammenarbeit mit Bell. Laut dessen eigenen Angaben warf man ihm Antisemitismus vor, da die Redaktion sich an Shakespeares Figur des jüdischen Geldverleihers Shylock aus dem Stück "Der Kaufmann von Venedig“ erinnert fühlte. Dieser fordert "ein Pfund Fleisch", falls sein Schuldner den Kredit nicht zurückzahlen kann - ein antisemitisches Stereotyp.

Bell lehnt diese Deutung ab, er habe sich bei seiner Zeichnung auf ein bekanntes Spottbild des Karikaturisten David Levine vom US-amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson bezogen. Damit habe er die Parallele zwischen dem Vietnamkrieg und der Gaza-Offensive von Netanjahus Regierung nach dem Terrorangriff der militant-islamistischen palästinensischen Hamas ziehen wollen.

Von den Grenzen der Meinungsfreiheit

Zwei Männer stehen vor Einmachgläsern mit Gehirnen, darunter steht: Im Museum für Künstliche Intelligenz
Zwei Menschen bestaunen Hirne, die im Museum für Künstliche Intelligenz ausgestellt sindBild: BECK/Deutscher Karikaturenpreis

Politische Satire gleicht einer Gratwanderung. Was ist erlaubt, was schon nicht mehr? "Ich finde Meinungsfreiheit - und da gehört die Karikatur dazu - hat ihre natürlichen Begrenzungen", sagt Juror Martin Kessler, "aber sie ist ein Wert an sich." Selbst bei stark polarisierenden Themen wie dem Nahost-Konflikt sollte ein Karikaturist den Mut haben, die ehrliche Meinung zu sagen. "Die Grenze ist da, wo Menschen herabgewürdigt werden", stellt Kessler klar. "Es ist nicht möglich, sich über die israelischen oder jüdischen Opfer - oder umgekehrt, über die palästinensischen Opfer - lustig zu machen."

Wie sieht für den Juror der ideale Cartoon beim Deutschen Karikaturenpreis aus? "Wenn ich sofort lache und das Gefühl habe, man hätte es nicht besser sagen können - das muss eine Siegerzeichnung haben", sagt Kessler. Auch formal sollte es stimmen. "Sie kann ruhig hässlich sein, drastisch oder vulgär. Auch in der Hässlichkeit liegt eine gewisse Ästhetik."