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Gott im Gehirn

Britta Jahn17. Februar 2003

Gott lebt! Genauer gesagt in unserem Hirn, zwischen Scheitellappen und limbischem System. Dies behaupten amerikanische Wissenschaftler, die untersuchen, welche Gehirnregionen bei religiösen Erlebnissen aktiv sind.

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Sieht so Gottes Wohnstätte aus?Bild: AP
Fjodor Dostojewskis "Idiot" ist Epileptiker, genau wie sein Autor. Da er kurz vor seinen Anfällen göttliche Offenbarungen erlebt, wurde er zum Paradebeispiel für die sogenannte "Neurotheologie". Diese untersucht seit einigen Jahren, was sich bei religiösen Erlebnissen im Gehirn abspielt. Die Erforschung der Epilepsie könnte helfen, das Rätsel der Spiritualität zu lösen.

Vilayanur Ramachandran ist Direktor des "Center for Brain and Cognition" an der Universität von Kalifornien. Er untersucht Epileptiker, die Störungen im Schläfenlappen aufweisen, wo Gefühl und Erinnerung zu Hause sind. Diese machen im Vergleich auffallend viele spirituelle Erfahrungen, glauben beispielsweise während ihrer Anfälle, sie hätten Einsicht in die wahre Natur des Kosmos. Laut der Londoner "Financial Times" stellen die Epileptiker für Ramachandran nur ein Extrem dar, da alle menschlichen Gehirne so gebaut seien, dass sie religiöse Erfahrungen machen könnten.

Gott zeigt sich im Magnetfeld

Epilepsie bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, einen elektrischen Sturm im Gehirn. Könnte man die Offenbarungen, die manche Epileptiker während ihrer Anfälle erfahren, vielleicht auch von außen provozieren? Michael Persinger, Neurologe an der Laurentian University in Kanada, probierte es aus. Er entwickelte einen Helm, der schwache elektromagnetische Felder erzeugt. Diesen setzte er Testpersonen auf und reizte bestimmte Regionen des Gehirns. Das Ergebnis war verblüffend: Vier von fünf Leuten erfuhren "Spirituelles", wie die "Washington Post" berichtet. Viele fühlten ein übersinnliches Wesen in ihrer Nähe, einige weinten, andere meinten, Gott habe sie berührt, wieder andere bekamen Angst und sprachen von Dämonen und bösen Geistern.

Katholische Nonnen in China
Im tiefen Gebet verändert sich die Arbeitsweise des GehirnsBild: AP

Doch nicht immer sind unfreiwillige Reize im Gehirn der Auslöser. Die Radiologen Andrew Newberg und Eugene d'Aquili von der Universität Pennsylvania baten Franziskanernonnen und buddhistische Mönche zu Gebet und Meditation. Auf dem Höhepunkt ihrer Entrücktheit, ließen die Forscher schwach radioaktives Kontrastmittel durch die Blutbahn der Probanden laufen. Mit einer Spezialkamera konnten sie dann aufnehmen, welche Gehirnregionen schwach, und welche stark durchblutet wurden, sprich, welche aktiv und welche im Dämmerzustand waren.

Bei beiden Gruppen konnten die Wissenschaftler das gleiche Phänomen beobachten: Der hintere Bereich des Gehirns, der Scheitellappen, war fast "abgeschaltet". Dort wird normalerweise zwischen Selbst und Umwelt unterschieden. Newberg vermutet in der "Stilllegung" dieses Bereichs den Grund, dass die Menschen im tiefen Gebet mit ihrer Umwelt "verschmolzen", bzw. "eins mit dem Kosmos" wurden. Doch Newberg macht nicht allein den Scheitellappen, sondern auch das limbische System mit dem Schläfenlappen für die Spiritualität verantwortlich.

Weder Gottesbeweis noch das Gegenteil

So unterschiedlich die Forschungsergebnisse auch ausfallen, in einem sind sich die meisten Forscher einig: Sie können weder Gottes Existenz noch das Gegenteil beweisen. Schließlich weiß man nicht, was Folge und was Wirkung ist: Glaubt man an Gott, nur weil das Gehirn biochemischen Prozessen unterworfen ist? Oder ist das menschliche Gehirn (mit Bedacht) darauf angelegt, dass wir Göttliches erfahren können? Theologen machen zusätzlich darauf aufmerksam, dass vereinzelte mystische Erlebnisse noch nichts mit Religiosität zu tun haben. Daniel Batson, Psychologe an der Universität von Kansas, fasst dies in der "Washington Post" zusammen: "Zu sagen, das Gehirn produziere Religion ist wie zu sagen, das Klavier produziere Musik."