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KonflikteIsrael

Gestrandet in Israel: Krebspatienten aus Gaza

23. November 2023

Krebspatienten aus dem Gazastreifen stecken seit dem Terrorangriff der Hamas in Israel fest. Die Grenzübergänge sind blockiert und der Weg zurück versperrt.

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Augusta Victoria Hospital in Ostjerusalem
Im Augusta Victoria Hospital werden Krebspatienten aus dem Gazastreifen behandeltBild: Tania Kraemer/DW

Ein paar Plastikstühle, die im Kreis angeordnet sind, dienen den palästinensischen Krebspatienten im Augusta Victoria Hospital in Ostjerusalem als Treffpunkt. Die Patienten hatten Gaza einige Tage vor dem 7. Oktober verlassen, um sich medizinisch behandeln zu lassen.

Am 7. Oktober verübten Kämpfer der militant-islamistischen Hamas Terrorattacken im Süden Israels. Sie waren aus dem Gazastreifen in Israel eingedrungen und hatten israelische Ortschaften überfallen. 

Die Patienten im Krankenhaus müssen sich nun nicht nur mit ihrer Krebskrankheit auseinandersetzen, sondern auch mit ihren Schuldgefühlen, weil sie nicht nach Hause zurückkehren können, während ihre Familien unter dem Beschuss im Gazastreifen leiden.

"Uns ist klar, dass sie sehr angespannt und nervös sind, und dass wir mehr tun müssen, als ihnen eine Bleibe und etwas Essen anzubieten. Sie müssen über die Ereignisse sprechen können, über das, was sie durchmachen", erklärt eine der Betreuerinnen des Krankenhauses, die nicht namentlich genannt werden möchte.

"Viele von ihnen fühlen sich schuldig, weil sie Strom haben, Wasser, Essen und so weiter. Manchmal hören sie von ihren Kindern [in Gaza], dass sie hungrig sind. Das ist für sie kaum auszuhalten."

Die Kinder blieben in Gaza

Etwa 100 palästinensische Patienten und ihre Familienangehörigen sind im Augusta Victoria Hospital gestrandet. Das Krankenhaus ist nach der Ehefrau des deutschen Kaisers Wilhelm II. benannt, die die Stadt 1898 besuchte.

Es wird vom Lutherischen Weltbund betrieben und liegt auf einem Hügel mit Blick auf die Altstadt Jerusalems. Das Krankenhaus hat sich unter anderem auf die Behandlung von Krebserkrankungen spezialisiert. Die Patienten sind in nahegelegenen Hotels und Pensionen untergebracht.

Im Gazastreifen und im besetzten Westjordanland sind zum Beispiel Bestrahlungen nicht möglich. Abu Dschamal, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, sollte hier nur einige Tage verbringen und am 8. Oktober nach Gaza zurückkehren.

Begleitet wird er von seiner Frau. Ihre sieben Kinder ließen sie in der Obhut von Verwandten zurück. "Oft wollen sie mich schützen und erzählen mir nicht, wie die Situation wirklich ist. Aber ich mache mir große Sorgen um sie", erzählt er.

Ein Mann läuft durch eine mit Trümmern übersäte Straße, im Hintergrund zerstörte Gebäude
Große Teile von Al-Rimal in Gaza-Stadt wurden durch israelische Luftangriffe zerstörtBild: Mohammed Abed/AFP/Getty Images

Abu Dschamal kommt aus Rimal, einem gut situierten Viertel im Zentrum von Gaza-Stadt, das Berichten zufolge stark beschädigt wurde. Als das israelische Militär zu Beginn des Krieges Flugblätter abwarf und die Bevölkerung im Norden des Gazastreifens aufforderte, sich in den Süden zu begeben, folgte die Familie der Aufforderung.

"Meine Familie machte sich auf den Weg in den Süden, doch dort fühlte sie sich auch nicht sicher. Darum gingen sie zurück, aber dort gibt es nichts mehr, keine Bäckereien, keine Sicherheit, nichts."

Sorge um die Angehörigen

Ein weiterer Patient in den Siebzigern, der ebenfalls nicht namentlich genannt werden will, kann kaum sprechen, ohne dass er von Tränen überwältigt wird. "Manchmal erreiche ich meine Familie zwei oder drei Tage lang nicht. Sie sind in verschiedene Richtungen zerstreut."

Bei jedem Gespräch fürchtet er sich vor schlechten Nachrichten. Erst vor einigen Tagen erfuhr er, dass eine seiner Töchter und deren Ehemann bei einem israelischen Luftangriff umkamen. "Von unserem Haus ist nichts mehr übrig, haben sie mir erzählt. Es gibt nichts, wohin wir zurückkehren könnten."

Auf der Kinderstation sitzt Um Ahmed neben ihrer Enkelin Samar, die gerade eine Chemotherapie-Infusion erhält. Sie ist zu klein, um zu verstehen, was in ihrer Heimat passiert, und lächelt tapfer trotz der Kanüle im Arm.

Ihre Eltern leben im Flüchtlingslager Al-Schati, einem Bezirk in Meeresnähe im Norden von Gaza-Stadt, in dem heftige Kämpfe stattfanden. Weil sie nicht mit ihrer Tochter nach Jerusalem reisen durften, wird sie von ihrer Großmutter begleitet. "Sie vermisst ihre Mutter", sagt Um Ahmed.

Ohne Genehmigung Israels geht nichts

Für die palästinensischen Patienten, die im Augusta Victoria Hospital behandelt werden, war es schon immer schwierig, den Gazastreifen zu verlassen. Israel und Ägypten kontrollieren schon seit 16 Jahren streng, wer in das von der Hamas regierte Gebiet ein- oder ausreisen darf.

Ein Ambulanzfahrzeug in einer Straße mit Trümmern
Der Grenzübergang Erez ist seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel gesperrtBild: Bashar Taleb/AFP/Getty Images

Patienten, die Behandlungen benötigen, die in Gaza nicht verfügbar sind, konnten sich in Israel behandeln lassen. Sie mussten jedoch bei den israelischen Behörden die Genehmigung beantragen, den Gazastreifen über den nur für Personen ausgelegten Übergang Erez zu verlassen.

Die Antragsverfahren waren oft bürokratisch und langwierig. Wer eine Genehmigung erteilt bekam, wurde dann entweder in Krankenhäuser im besetzten Westjordanland oder in Israel überwiesen. Diese galt für den Patienten und ein begleitendes Familienmitglied.

Der Weg nach Hause bleibt den Patienten im Augusta Victoria Hospital jetzt verschlossen. Seit dem 7. Oktober hält Israel beide Grenzübergänge in den Gazastreifen - Kerem Shalom für Waren und Erez für Fußgänger - geschlossen. Ob und wann sie wieder geöffnet werden ist noch völlig unklar.

Mindestens drei Patienten aus Gaza sind verstorben. Ihre Familienmitglieder wurden von den israelischen Behörden nach Gaza abgeschoben, ebenso wie mehrere tausend Arbeitskräfte aus Gaza, die sich am 7. Oktober in Israel befanden.

Dem medizinischen Personal des Krankenhauses bereitet die Situation große Sorgen. Ihre Gedanken gelten nicht nur ihren in Ostjerusalem gestrandeten Patienten, sondern auch denen in Gaza, die nun nicht mehr zur Behandlung nach Ostjerusalem kommen können.

"Unsere Patienten sind chronisch krank. Sie benötigen fortlaufende, langfristige Betreuung", sagt Dr. Fadi Atrash, Geschäftsführer des Augusta Victoria Hospitals.

Gazas einzige Klinik für Krebskranke schließt

Seit dem 7. Oktober konnten mindestens 39 Patienten aus Gaza ihre Bestrahlungstermine im Krankenhaus nicht wahrnehmen, weil sie den Gazastreifen nicht verlassen konnten. Weitere 180 mussten ihre Chemotherapie aussetzen.

"Wir wissen noch nicht einmal, ob sie noch leben", sagt Atrash und fügt hinzu, ohne Behandlung würden die Patienten "schlicht und einfach sterben, denn wir sprechen von Krebs. Wenn die Krankheit nicht rechtzeitig und angemessen behandelt wird, ist das Sterberisiko hoch."

"Manchmal wollen wir nicht anrufen"

In Gaza sind mindestens 25 der 36 Krankenhäuser laut dem jüngsten Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO nicht mehr betriebsbereit. Schwere Kämpfe in den umliegenden Straßen und der Mangel an Material, Strom und Wasser haben dazu geführt, dass viele medizinische Einrichtungen Verletzten nicht mehr helfen können - geschweige denn chronisch Kranken.

Das medizinische Personal am Augusta Victoria Hospital steht weiterhin mit seinen Kollegen in Gaza in Kontakt, insbesondere mit dem türkischen Krankenhaus im Norden Gazas, das Krebspatienten behandelte.

"Manchmal wollen wir gar nicht anrufen, weil wir nicht von einem weiteren Kollegen hören wollen, der getötet wurde"; sagt Atrash. "Und weil wir wissen, dass ihre Lage sehr schwierig ist, ohne Material, ohne Strom, ohne Wasser, ohne ausreichende Lebensmittel, um die hohe Zahl der Verwundeten zu behandeln. Aber auch, weil wir Kollegen verlieren, und das bricht einem das Herz."

Abu Dschamal versichert, dass die Patienten trotz des Risikos und ihrer Beschwerden lieber heute als morgen zurückkehren würden. "Wir sind sehr dankbar dafür, wie wir hier versorgt werden, aber ich will zurück. Ich will bei meiner Familie sein."

 Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin